Remdesivir: Wahrscheinlich kein Lebensretter bei COVID-19

Das Medikament Remdesivir kann wahrscheinlich Todesfälle bei COVID-19 nicht verhindern. Das ergeben die zusammengefassten Daten bisheriger Studien.

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Verhindert das Medikament Remdesivir Todesfälle bei COVID-19?

In Remdesivir wurde eine Zeitlang große Hoffnung im Kampf gegen die Pandemie gesetzt. Laut den bisher durchgeführten Studien kann das Mittel Todesfälle durch Covid-19 jedoch nicht verhindern. Da hilft es auch wenig, dass sich die Krankheit mit Remdesivir etwas langsamer zu verschlechtern scheint.

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© stockfour - shutterstock.com Remdesivir kann im Spital als Infusion verabreicht werden. Leben dürfte es allerdings keine retten.
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Dieser Beitrag ist Teil unserer Faktencheck-Serie Mythen und Fakten zum Coronavirus

Seit Beginn der Pandemie wird intensiv an wirksamen Medikamenten gegen das neue Coronavirus geforscht. Bisher ohne durchschlagenden Erfolg.

Im Fokus der Forschung stehen auch verschiedene Medikamente, die eigentlich für andere Erkrankungen bestimmt waren. Darunter auch das Medikament Remdesivir, das ursprünglich gegen das Ebola-Virus helfen sollte. Es wird in Form von Infusionen verabreicht.

In Europa und in den USA ist Remdesivir seit Oktober 2020 als Notfall-Behandlung bei Covid-19 zugelassen [3,4].

Inzwischen liegen Ergebnisse großer Studien zu Remdesivir gegen das Coronavirus vor – rechtfertigen diese die Hoffnungen in das Medikament? Wir haben die Datenlage genau unter die Lupe genommen.

Deutliche Wirkung unwahrscheinlich

Bisher gibt es sieben gut durchgeführte Studien, die die Wirksamkeit von Remdesivir gegen Covid-19 untersucht haben [1]. Insgesamt nahmen daran 8 410 Patientinnen und Patienten aus über 30 Ländern teil.

Die Ergebnisse sind ernüchternd: Eine Behandlung mit Remdesivir verhindert wahrscheinlich keine Todesfälle durch Covid-19 [1,2].

Auf den ersten Blick wirken die Studiendaten allerdings etwas widersprüchlich – denn sie legen gleichzeitig nahe, dass das Mittel eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes etwas verzögern kann. Auf die Überlebenswahrscheinlichkeit scheint sich das aber nicht positiv auszuwirken.

Angesichts dieser Studienergebnisse rät auch die Weltgesundheitsorganisation in einer Aussendung vom 20. November 2020 von Remdesivir explizit ab [5].

Die Schwankungsbreite der Studiendaten kann einen geringen Nutzen zwar nicht völlig ausschließen. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass Remdesivir bei der Behandlung von Covid-19 eine deutliche Hilfe sein kann.

Zweckentfremdete Wirkstoffe

Sind Krankheitserreger so neu, dass es noch keine Wirkstoffe dagegen gibt, müssen manchmal Medikamente gegen andere Erkrankungen „zweckentfremdet“ werden. Dann bekommen schwer Erkrankte probeweise Medikamente, wenn sonst keine Therapie helfen konnte, in der Hoffnung auf eine Wirkung. So auch beim Coronavirus SARS-CoV-2.

Bald nach Beginn der Pandemie waren besonders die beiden Medikamente Remdesivir und Hydroxychloroquin als mögliche Heilmittel in den Medien präsent. Das Anti-Malaria-Medikament Hydroxychloroquin kann Covid-19 Patientinnen und Patienten nicht helfen, im Gegenteil – es könnte sogar schaden. Darüber haben wir in diesem Beitrag berichtet.

Remdesivir kam als Wirkstoff-Kandidat infrage, weil es zu den antiviralen, also gegen Viren wirksamen Medikamenten gehört. Es wurde ursprünglich gegen die ebenfalls von Viren verursachte Infektionskrankheit Ebola entwickelt – ohne Erfolg allerdings. Solche Fehlschläge sind leider kein Einzelfall, und es gibt nur wenige wirksame Medikamente gegen Viruserkrankungen.

Warum Medikamente gegen Viren so selten sind

Während es viele wirksame Medikamente gegen Bakterien gibt, gestaltet sich der Kampf gegen Viren weit schwieriger.

Forscherinnen und Forscher stehen hier vor drei großen Herausforderungen [6].

Zum einen sind Viren unheimlich vielfältig. Während Bakterien in Aufbau und Stoffwechsel relativ ähnlich sind, unterscheiden sich Virenarten stark in ihrer Größe, ihren Schutzmechanismen oder in der Art, wie und wo sie sich vermehren.

Ob Grippe-Virus, Herpes-Virus oder Coronavirus – gegen jeden einzelnen Erreger muss ein maßgeschneiderter Wirkstoff entwickelt werden. Ein antivirales Medikament, das nach dem Prinzip eines Breitband-Antibiotikums gegen eine ganze Reihe von Viren gleichzeitig wirkt, gibt es nicht.

Auf fremde Körperzellen angewiesen

Das zweite Problem: Viren brauchen die Zellen anderer Lebewesen, um sich zu vermehren. Krankmachende Viren „überfallen“ die menschlichen Körperzellen und bringen sie dazu, für sie zu arbeiten. Sie zweckentfremden die Produktionsstätten der gekaperten Zellen, um neue Viren zu produzieren.

Genau hier versuchen viele antivirale Medikamente anzusetzen. Die richtige Strategie zu finden, ist jedoch nicht einfach. Die Zell-eigene Produktionsstätten zu attackieren, ist keine Option für ein antivirales Medikament. Will man das Virus bekämpfen, steht man also vor einem Problem: Einerseits das Virus am Vermehren zu hindern, ohne dabei andererseits den befallenen Körperzellen und somit dem infizierten Menschen Schaden zuzufügen.

Wettlauf mit dem Wandel

Doch auch wenn ein Wirkstoff feststeht, bedeutet das nicht, dass dieser auch auf Dauer gegen ein Virus wirksam bleibt. Das dritte Problem bei der Entwicklung von antiviralen Medikamenten ist die Wandlungsfähigkeit der Viren – sie mutieren. Ein Medikament, das sich gegen einen bestimmten Virusbestandteil richtet, kann durch Veränderung rasch unwirksam werden.

Aus diesem Grund gibt es etwa jedes Jahr eine neue Impfung gegen die Grippe: Das verantwortliche Influenza-Virus sieht jedes Jahr ein bisschen anders aus und der Impfstoff des Vorjahres wirkt nicht mehr.

Die Studien im Detail

Wir fanden zwei Übersichten der bisher verfügbaren Studien zu Remdesivir gegen COVID-19. Beide kommen zu sehr ähnlichen Einschätzungen. Eine Übersichtsarbeit wurde vom Wissenschaftsnetzwerks Cochrane veröffentlicht [2] und fasst die Ergebnisse von fünf randomisierten kontrollierten Studien zusammen, die bis Mitte April 2021 veröffentlicht worden waren.

Die zweite Übersichtsarbeit [1] stammt vom internationalen Wissenschaftsteam „Covid-NMA-Initiative“. Sie wird regelmäßig im Wochenrhythmus auf den neuesten Stand gebracht und ist somit aktueller. Derzeit (18. 6. 2021) berücksichtigt sie die Ergebnisse von sieben randomisierten kontrollierten Studien.

Darin fließen im Moment die Daten von insgesamt 8410 Patientinnen und Patienten aus der ganzen Welt ein, die wegen Covid-19 im Krankenhaus lagen. Die Menschen waren sehr unterschiedlich erkrankt: von leicht bis so schwer, dass ein tödlicher Ausgang zu befürchten war.

Etwa die Hälfte erhielt per Zufallszuteilung eine 5- oder 10-tägige Behandlung mit Remdesivir-Infusionen, die andere Hälfte ein Scheinmedikament (Placebo) oder kein zusätzliches Medikament. Alle Covid-Patientinnen und -Patienten erhielten darüber hinaus noch die jeweils übliche medizinische Versorgung.

Die Forschungsteams untersuchten einerseits, wie viele Patientinnen und Patienten verstarben. Die Mehrzahl überlebte glücklicherweise, und bei ihnen war von Interesse, wie schnell sie sich erholten.

Hatten die Personen aus der Remdesivir-Gruppe einen Vorteil? Nicht, wenn es um das Risiko zu versterben geht: Nach zwei bis vier Wochen waren mit Remdesivir etwa gleich viele Menschen verstorben wie ohne Remdesivir. Das wurde in allen vier Studienuntersucht. In den Studien verstarben innerhalb eines Monats durchschnittlich 10 bis 11 von 100 Patientinnen und Patienten, egal ob sie Remdesivir, ein wirkungsloses Scheinmedikament (Placebo) oder die übliche medizinischen Versorgung erhalten hatten [1,2].

Remdesivir scheint also keine Todesfälle zu verhindern.

Die nachweisbare Menge an Viren („Viruslast“) im Körper konnte Remdesivir ebenfalls nicht verringern, wie in einer Studie mit 196 Personen berichtet wurde [1].

Fünf Studien mit insgesamt 2834 Erkrankten untersuchten, wie sich der Covid-19-Schweregrad innerhalb von vier Wochen auf einer Skala von 0 (völlig gesund) bis 10 (verstorben) entwickelt hatte [7]. Hier gab es einen kleinen Vorteil für die Remdesivir-Gruppe: Ohne Remdesivir erkrankten 18 von 100 so schwer, dass sie auf der Skala einen Wert von 7 oder höher erreichten. Mit Remdesivir waren es nur 14 von 100 [1].

Zwei Studien mit 1159 Patientinnen und Patienten untersuchten die Notwendigkeit für künstliche Beatmung. Ohne Remdesivir mussten innerhalb von 28 Tagen 15 von 100 Erkrankten künstlich beatmet werden. Mit Remdesivir war das nur bei 9 von 100 Erkrankten nötig [2].

Auf die Wahrscheinlichkeit zu versterben schien das aber keinen Einfluss zu haben. In manchen Studien wussten zudem jene Personen, die den Schweregrad der Erkrankung einschätzten, wer Remdesivir und wer ein Scheinmedikament erhalten hatte. Das macht die Ergebnisse fehleranfällig und weniger aussagekräftig.

Zwei der sieben verfügbaren Studien sind methodisch einwandfrei durchgeführt. Bei vier Studien wurden leichte Mängel festgestellt, und nur bei einer Studie grobe Mängel. Insgesamt gab es ausreichend viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Deswegen ist unser Vertrauen in die zusammengefassten Ergebnisse der sieben Studien recht hoch. Aufgrund der Schwankungsbreite der Studienergebnisse kann ein möglicher kleiner Nutzen von Remdesivir zwar nicht gänzlich ausgeschlossen werden. Wahrscheinlich ist das jedoch nicht.

[1] Covid-NMA Initiative (2021)
Studientyp: laufend aktualisierte Systematische Übersichtsarbeit
Analysierte Studien: 7 randomisierte kontrollierte Studien
Fragestellung: Kann eine Behandlung mit Remdesivir den Krankheitsverlauf bei Covid-19 günstig beeinflussen und die Mortalität verringern? Gibt es vermehrt unerwünschte Ereignisse durch die Behandlung?
Interessenkonflikte: keine laut Autorenteam

Living mapping and living systematic review of Covid-19 studies: Pharmacologic treatments for COVID-19 patient – Remdesivir vs placebo. Abgerufen am 18. 8. 2021 unter www.covid-nma.com

Boutron I, Chaimani A, Devane D, Meerpohl JJ, Rada G, Hróbjartsson A, Tovey D, Grasselli G, Ravaud P. Interventions for the prevention and treatment of COVID‐19: a living mapping of research and living network meta‐analysis. Cochrane Database of Systematic Reviews 2020, Issue 11. Art. No.: CD013769. (vorab registriertes Protokoll der Übersichtsarbeit)

[2] Ansems u.a. (2021)
Studientyp: laufend aktualisierte Systematische Übersichtsarbeit
Analysierte Studien: 5 randomisierte kontrollierte Studien
Teilnehmende: 7452 Covid-19-Erkrankte
Fragestellung: Kann eine Behandlung mit Remdesivir den Krankheitsverlauf bei Covid-19 günstig beeinflussen und die Mortalität verringern? Gibt es vermehrt unerwünschte Ereignisse durch die Behandlung?
Interessenkonflikte: keine laut Autorenteam

Ansems K, Grundeis F, Dahms K, Mikolajewska A, Thieme V, Piechotta V, Metzendorf MI, Stegemann M, Benstoem C, Fichtner F. Remdesivir for the treatment of COVID-19. Cochrane Database Syst Rev. 2021 Aug 5;8:CD014962. (Übersichtsarbeit in voller Länge)

Andere Quellen

[3] U.S. Food and Drug Administration (FDA)
Abgerufen am 19. 8. 2021 unter www.fda.gov

[4] European Medicines Agency (EMA)
Abgerufen am 19. 8. 2021 unter www.ema.europa.eu

[5] WHO Living Guidelines
WHO (2020). Therapeutics and COVID-19: living guideline. Stand 6. 7. 2021 (Bericht in voller Länge)

[6] García-Serradilla u.a. (2019)
García-Serradilla, M., Risco, C., & Pacheco, B. (2019). Drug repurposing for new, efficient, broad spectrum antivirals. Virus research, 264, 22–31. (Arbeit in voller Länge)

[7] WHO (2020)
WHO Working Group on the Clinical Characterisation and Management of COVID-19 infection. A minimal common outcome measure set for COVID-19 clinical research. Lancet Infect Dis. 2020 Aug;20(8):e192-e197. (Veröffentlichung über die Skala in voller Länge)

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