Artemisia annua: unklare Wirkung gegen das Coronavirus

Gerüchten zufolge soll die Pflanze Artemisia annua gegen das Coronavirus helfen. Wissenschaftlich ist das bisher jedoch nicht aussagekräftig überprüft worden.

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Wirken Extrakte aus Artemisa annua (Einjähriger Beifuß) oder der daraus gewonnene Wirkstoff Artemisinin gegen das Coronavirus?

Bisher findet sich nur eine einzige Studie, die eine Artemisia-Behandlung bei einem milden Covid-19-Verlauf untersucht hat. Aufgrund zahlreicher Mängel sind die Ergebnisse jedoch nicht aussagekräftig. Nicht untersucht wurde, ob Artemisia bei einer schweren Covid-19-Erkrankung hilft oder davor bewahrt, oder ob die Pflanze einer Infektion mit dem Coronavirus vorbeugen kann.

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© DW2630 - shutterstock.com Zu Extrakt aus Artemisia annua ist noch mehr Forschung nötig
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Dieser Beitrag ist Teil unserer Faktencheck-Serie Mythen und Fakten zum Coronavirus

Seit Beginn der Corona-Pandemie macht das Gerücht die Runde, Extrakte aus der Pflanze Artemisia annua (Einjähriger Beifuß) könnten wirksam Infektionen mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 bekämpfen. Auch Ansteckungen sollen sich damit angeblich vorzubeugen lassen.

Keine aussagekräftige Forschung

Wir haben uns auf die Suche nach Belegen gemacht und wissenschaftliche Datenbanken nach Forschungsergebnissen zu Artemisia durchforstet. Zur Vorbeugung einer Corona-Infektion haben wir keine Studien gefunden. Die Behandlung von Covid-19-Erkrankten hat eine einzige Studie [1] erforscht. Diese hat jedoch mehrere Ungereimtheiten, sodass sie nicht beantworten kann, ob Artemisia Erkrankten hilft.

Zwei wichtige Fragen hat die Studie zudem nicht untersucht: ob schwer an Covid-19-Erkrankte von einer Artemisia-Behandlung profitieren, und ob Artemisia einen schweren Verlauf von Covid-19 verhindern kann – etwa bei Risikopersonen im höheren Alter oder mit Vorerkrankungen. Alle Teilnehmenden waren nur leicht an Covid-19 erkrankt und sowohl mit als auch ohne Artemisia nach zwei Wochen wieder gesund. Personen über 60 oder mit Vorerkrankungen haben an der Studie nicht teilgenommen.

Heilpflanze mit Nebenwirkungen

Die Gerüchte um die angebliche Anti-Corona-Wirkung gehen auf die traditionelle chinesische Medizin (TCM) zurück. Ihr zufolge hat Artemisia annua verschiedene Heilkräfte. So sollen Wirkstoffe aus der krautigen Pflanze das Wachstum von Viren und anderen Krankheitserregern hemmen.

Nachgewiesen ist, dass der darin enthaltene Wirkstoff Artemisinin eine gewisse Wirksamkeit bei Malaria hat. Diese ist jedoch begrenzt, wie wir in einem eigenen Beitrag erklären.

Von der beschränkten Anti-Malaria-Wirkung des Artemisinin lässt sich allerdings nicht auf eine Wirksamkeit gegen andere Krankheiten schließen. Etwa weil Malaria nicht durch ein Virus ausgelöst wird, sondern durch Parasiten namens Plasmodien, die sich mit Hilfe von Stechmücken verbreiten.

Artemisinin hat auch Nebenwirkungen: Möglich sind Allergien, Gleichgewichtsstörungen und eine Verminderung der Anzahl weißer Blutkörperchen [3].

Die Studien im Detail

Ob Artemisia bei einer Covid-19-Erkrankung helfen kann, lässt sich am aussagekräftigsten in einer randomisiert-kontrollierten Studie untersuchen. Dabei werden Covid-19-Patientinnen und Patienten per Zufall (randomisiert) zwei Gruppen zugeteilt: Die Artemisia-Gruppe nimmt eine Zeit lang Artemisia-Extrakt zu sich, die Kontrollgruppe nicht. Für einen idealen Vergleich bekäme die Kontrollgruppe ein gleich aussehendes Mittel ohne Artemisia (Placebo). Damit weder die Erwartungen der Teilnehmenden noch des Studienteams die Ergebnisse beeinflussen kann, sollte bis zum Studienende niemand wissen, wer die echte und wer die Placebo-Behandlung bekommt. Man sagt auch, die Studie ist „verblindet“.

Bei unserer umfangreichen Recherche haben wir nur eine randomisiert-kontrollierte Studie zu Artemisia und Covid-19 gefunden [1]. Sie berücksichtigt die Daten von 60 leicht an Covid-19-Erkrankten. Zusätzlich zur Standard-Behandlung nahmen 39 von ihnen fünf Tage lang einen Artemisia-Extrakt ein. Die 21 Teilnehmenden in der Kontrollgruppe bekamen nur die Standard-Behandlung.

Fünf Tage nach Studienbeginn waren 80 Prozent aus der Artemisia-Gruppe wieder symptomfrei, aber nur 57 Prozent aus der Kontrollgruppe. Innerhalb von zwei Wochen waren jedoch alle Teilnehmenden wieder gesund – egal ob sie Artemisia bekommen haben oder nicht.

Aus mehreren Gründen halten wir diese Ergebnisse nicht für verlässlich: So unterschied sich die Standardbehandlung stark: manche der Teilnehmenden erhielten beispielsweise als wirksam bekannte Cortison-haltige Medikamente, andere hingegen nicht. Ein fairer Vergleich ist so nicht möglich.

Zudem war die Studie nicht verblindet – sowohl die Teilnehmenden als auch das Studienteam wussten, wer Artemisia-Extrakt bekam und wer nicht. Das kann die Daten und deren Auswertung verzerrt haben.

Laut ursprünglichem Plan sollten 120 Personen an der Studie teilnehmen. Wie viele es tatsächlich waren, und ob Daten von Teilnehmenden fehlen, ist unklar. Ausgewertet wurden die Daten von nur 60 Personen – viel zu wenige für aussagekräftige Ergebnisse. Finanziert hat die Studie ein Unternehmen, das Artemisia-Extrakt vertreibt.

Die Studienergebnisse sind in einer wissenschaftlichen Online-Zeitschrift des Verlags „Open Access Journals“ erschienen. Dieser Verlag steht seit Jahren im Verdacht, Studien ohne die sonst übliche Begutachtung durch andere Forscherinnen und Forscher zu veröffentlichen [2].

Selbst wenn die Studienergebnisse verlässlich wären, hätten sie nur wenig Relevanz. Die Studie hat nämlich weder untersucht, ob Artemisia bei einem schweren Verlauf von Covid-19 helfen kann, noch ob die Pflanze eine Verschlechterung der Erkrankung bei Risikopersonen mit hohem Alter oder mit Vorerkrankungen vorbeugt. Teilgenommen haben lediglich leicht an Covid-19-Erkrankte, die zuvor gesund und nicht älter als 60 Jahre waren.

[1] Trieu u.a. (2021)
Studienart: randomisiert-kontrollierte Studie
Teilnehmende: 60 Erwachsene von 20 bis 60, die mild an Covid-19 erkrankt sind
Studiendauer: 28 Tage
Fragestellung: Führt eine 5-tägige Behandlung mit Artemisia-Extrakt zusätzlich zur Standardbehandlung schneller zu Symptomlosigkeit als eine Standardbehandlung alleine?
Interessenskonflikte: einige Autoren besitzen Anteile an dem Pharmaunternehmen, welches den untersuchten Artemisia-Extrakt herstellt. Die Studie wurde von diesem Unternehmen finanziert.

Trieu, V., Saund, S., Rahate, P., Barge, V., Nalk, S., Windlass, H., & Uckun, F. (2021). Targeting TGF-b pathway with COVID-19 Drug Candidate ARTIVeda/PulmoHeal Accelerates Recovery from Mild-Moderate COVID-19. Clinical Investigation 11(1):10-18. (Studie in voller Länge)

[2] Beall’s list of predatory journals (2016)
Potential predatory scholarly open‑access publishers. Abgerufen am 30. 12. 2021 unter https://beallslist.net (Stand: 31. Dezember 2016)

[3] UpToDate (2020)
Travassos M, Laufer MK. Antimalarial drugs: An overview. In Baron EL (ed.). UpToDate. Abgerufen am 30.12.2021 unter www.uptodate.com (kostenpflichtig)

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