Dieser Beitrag ist älter als vier Jahre, möglicherweise hat sich die Studienlage inzwischen geändert.

Ätherische Öle: Wirkung gegen Corona und Erkältung unklar

Ätherische Öle duften gut und sind vielseitig verwendbar. Ob sie auch vor Infektionen mit Viren schützen? Studien mit Menschen fehlen bisher.

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Schützen ätherische Öle vor Corona-Infektionen und anderen viralen Infekten wie Erkältung oder Grippe?

In Laborversuchen können manche ätherischen Öle Viren erfolgreich abtöten. Ob das Versprühen, Inhalieren oder Schlucken der Öle auch im echten Leben vor Infektionen mit Viren wie dem Corona-Virus schützt, ist unklar. Es wurde wissenschaftlich bisher nicht untersucht.

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© Tatevosian Yana - shutterstock.com Mit der Kraft der Pflanzen gegen Viren? Nicht ausgeschlossen, aber unzureichend erforscht.
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Dieser Beitrag ist Teil unserer Faktencheck-Serie Mythen und Fakten zum Coronavirus

Keine Frage, Eukalyptus- oder Melissen-Öl sorgt zuhause für frische Luft und angenehmen Geruch. Aber nicht nur ansprechend, sondern auch gesund sollen die Öle sein: Im Raum versprüht oder verdampft sollen ätherische Öle die Luft von Viren reinigen. Das berichten zumindest diverse Medien.

Und: Das Inhalieren mit ätherischen Ölen kann angeblich vor Erkältungen und Grippe schützen. Allein schon das Schnuppern am duftenden Öl soll Viren in die Flucht schlagen, behauptet etwa ein bekannter Hersteller. Manche wollen die ätherischen Öle jetzt auch gegen das Corona-Virus nutzen.

Uns erreichte die Anfrage einer Leserin, die wissen wollte, was an diesen Behauptungen dran ist. Wir haben im Rahmen einer umfassenden Recherche nach wissenschaftlichen Antworten gesucht: Wirkt es vorbeugend, die Öle zu versprühen, zu inhalieren, auf die Haut zu reiben oder ins Badewasser zu träufeln? Schützen sie vor Infektionen mit dem neuartigen Coronavirus und anderen Infektionen der Atemwege?

Studien mit Menschen fehlen

Ob ätherische Öle als Raumduft oder Inhalation zur Vorbeugung oder Behandlung von Erkältungen oder Grippe geeignet sind, wurde nie mit Menschen untersucht. Ebenso wenig ist bekannt, ob es hilft, in ätherischen Ölen zu baden, sie auf die Haut zu reiben oder daran zu riechen.

Spekulativ ist auch die Behauptung, ätherische Öle könnten vor Infektionen mit dem neuen Corona-Virus schützen. Studien dazu fehlen.

Kapseln gegen Erkältung ohne Effekt?

Ob ätherische Öle gegen Erkältungen wirken, wenn sie als Kapseln geschluckt werden, hat eine kleine Studie untersucht [1]. An der Studie nahmen Patientinnen und Patienten teil, die wegen Erkältungsbeschwerden ärztliche Hilfe aufsuchten. Sie schluckten eine Woche lang Kapseln mit ätherischen Ölen aus Thymian, Oregano und Salbei. Währenddessen berichteten sie über ihre Beschwerden.

Dabei zeigte sich kein Unterschied zwischen jenen, die die Öle schluckten und jenen, die ein Scheinmedikament (Placebo) einnahmen. In beiden Gruppen dauerte die Erkältung etwa gleich lang und die Beschwerden waren ähnlich.

Wäre die Studie solide gemacht, dann würde dieses Ergebnis dafürsprechen, dass die ätherischen Öle nicht besser helfen als ein Placebo. Allerdings weist die Studie so viele Mängel auf, dass sie nicht aussagekräftig ist.

Darüber hinaus konnten wir keine Studien finden, die die Wirkung ätherischer Öle direkt an Menschen untersuchten.

Mix aus teils unbekannten Stoffen

Ätherische Öle sind ein Gemisch aus vielen chemischen Inhaltsstoffen. Pflanzen bilden diese Öle, um Insekten anzulocken, aber auch, um sich damit vor Krankheitserregern und Schädlingen zu schützen. Es ist wenig darüber bekannt, welche der Inhaltsstoffe wirken und welche Mechanismen dahinterstecken [2].

Deswegen testen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Labor die Wirkung dieser Stoffe gegen verschiedene Krankheitserreger. Das Ziel: Die Inhaltsstoffe nachzubauen, um sie für die Herstellung von Medikamenten zu nutzen. Und tatsächlich zeigen bestimmte ätherische Öle eine vielversprechende Wirkung gegen Viren, Bakterien und Pilze. Sie könnten eine mögliche Alternative zu bisherigen Medikamenten sein, zu den Antibiotika zum Beispiel [2].

Wirkung im Labor…

So konnte im Labor beobachtet werden, wie Cineol, ein häufiger Inhaltsstoff von ätherischen Ölen, die Reaktion des Immunsystems verstärkt und so Grippeviren bekämpft [3]. Allerdings: Nicht im Menschen fand dieses Experiment statt, sondern in den Nasen von Mäusen.

Im Reagenzglas scheint auch das ätherische Öl der Melisse die Vermehrung von Grippeviren zu hemmen. Verschiedene ätherische Öle haben in Laborversuchen erfolgreich Herpesviren bekämpft, also die Verursacher von Fieberblasen.

Das ätherische Öl des Echten Lorbeer zeigte sogar Wirkung gegen SARS-CoV einem engen Verwandten des neuen Corona-Virus [2]. Allerdings ebenfalls nur im Reagenzglas.

…heißt nicht Wirkung im Menschen

Und deswegen gilt es, keine voreiligen Schlüsse zu ziehen. Viren verhalten sich im Labor anders als im Körper. Ein Reagenzglas ist kein gutes Modell für den menschlichen Organismus mit seinem komplexen Stoffwechsel. Was im Reagenzglas unter anderem fehlt: das Immunsystem, der menschliche Stoffwechsel und viele chemische Stoffe, die im Körper eine Rolle spielen.

Ein Virus im Reagenzglas ist den Wirkstoffen ätherischer Öle schutzlos ausgesetzt. Im menschlichen Körper aber dringt das Virus in die Körperzellen ein, um sich dort zu vermehren. Im Falle des neuen Corona-Virus können das zum Beispiel die Zellen der Lunge sein. Einmal in der Zelle angekommen, ist das Virus für die Wirkstoffe der ätherischen Öle womöglich nicht mehr erreichbar.

Hoffnung Luftreinigung

Im Internet verweisen sowohl Anhänger der Aromatherapie als auch Hersteller oft auf die Ergebnisse einer Studie [4], durchgeführt in einem Italienischen Krankenhaus. Ein Verdampfer verteilte in einem Warteraum eine Mischung aus ätherischen Ölen (Lavendel, Cajeput, Myrthe und Geranie) in der Luft.

Dem Forschungsteam zufolge ließen sich anschließend weniger Bakterien und Pilze auf dem Mobiliar nachweisen als in einem anderen Warteraum. Aus dieser Beobachtung schloss das Forschungsteam, das Verdampfen von Ölen habe eine desinfizierende Wirkung auf die Raumluft. In dieser Studie wurden allerdings nur Bakterien und Pilze untersucht, nicht aber Viren.

Erkältungsviren und auch das Corona-Virus wandern beim Sprechen, Husten oder Niesen in kleinsten Tröpfchen von einem Menschen zum anderen. Es ist fraglich, ob eine mit ätherischen Ölen behandelte Raumluft sie daran hindern kann.

Natürlich, aber nicht ungefährlich

Fehlenden wissenschaftlichen Daten zum Trotz: Die angenehm duftenden Öle sind beliebt. Das mag auch daran liegen, dass ihnen das Image des Natürlichen anhaftet.

Doch Vorsicht: „Natürlich“ bedeutet nicht automatisch „harmlos“. Vor allem in konzentrierter Form kann die Anwendung ätherischer Öle riskant sein.

Das gilt besonders für Kinder. Allergische Reaktionen, starke Hautreizungen oder Wechselwirkungen mit Medikamenten sind möglich. Geschluckt können manche Öle auch schon in geringen Mengen giftig sein [5,6].

Die Studien im Detail

Wir haben nach Studien zur Wirkung von ätherischen Ölen gesucht. Beeinflussen sie das Ansteckungsrisiko und die Dauer von viralen Infektionen der Atemwege? Bei unserer Recherche konnten wir nur eine Studie finden, die nicht im Labor stattgefunden hat [1].

Mit Gewürzen gegen Viren?

Sie fand 2015 auf der griechischen Insel Kreta statt. Das Forschungsteam wollte wissen, ob ätherische Öle aus je einer Thymian-, Oregano- oder Salbeiart (Origanum dictamnus, Salvia fruticosa und Thymus vulgaris) die Dauer von Erkältungen verkürzen können.

An der Studie nahmen insgesamt 105 Personen teil, die mit typischen Erkältungsbeschwerden ärztliche Hilfe aufsuchten. Die Teilnehmenden wurden per Zufall einer von zwei Gruppen zugeteilt.

Die eine Gruppe schluckte zweimal täglich eine Kapsel mit ätherischen Ölen. Die andere Gruppe erhielt ein Scheinmedikament (Placebo). Weder die Teilnehmenden noch das Studienteam wussten, wer welcher Gruppe angehörte. Zu Beginn und am Ende wurden außerdem Blutuntersuchungen und Abstriche aus dem Rachen durchgeführt.

Eine Woche lang gaben die Teilnehmenden täglich per Telefon über ihre Beschwerden Auskunft. Auf einer Skala von 0 bis 7 sollten sie angeben, wie belastend ihre Symptome waren.
Das Ergebnis: Nach einer Woche gab es keinen Unterschied zwischen den Gruppen, egal ob sie ätherische Öle oder ein Scheinmedikament geschluckt hatten.

Vielleicht gar keine Erkältung?

Die Studie hat einige Mängel: Zum Beispiel waren offenbar nur 45 der 105 Teilnehmenden tatsächlich mit einem Virus infiziert – so das Ergebnis der Rachenabstriche. Das sind jedoch viel zu wenige Personen für ein aussagekräftiges Ergebnis.

Die restlichen Teilnehmenden könnten unter bakteriellen Infektionen oder etwa Allergien gelitten habe, manche litten unter zum Teil schweren chronischen Erkrankungen der Atemwege. Das könnte das Ergebnis ebenfalls verzerrt haben.

[1] Duijker et al (2015)
Studientyp: randomisierte kontrollierte Studie
Teilnehmende: 105 Personen
Fragestellung: Kann die Einnahme von ätherischen Ölen aus Thymian, Oregano und Salbei die Dauer von Infektionen der oberen Atemwege verkürzen?
Interessenskonflikte: Die Studie wurde finanziert von Ovos SE, Hersteller von Medizinprodukten und Nahrungsergänzungsmittel

Duijker, G. et al. Reporting effectiveness of an extract of three traditional Cretan herbs on upper respiratory tract infection: Results from a double-blind randomized controlled trial. Journal of ethnopharmacology 2015; 163, 157-166. (Studie in voller Länge)

Weitere wissenschaftliche Quellen

[2] Reichling u.a. (2009)
Reichling, J. et al. Essential oils of aromatic plants with antibacterial, antifungal, antiviral, and cytotoxic properties – an overview. Forschende Komplementärmedizin 2009; 16(2):79-90. (Zusammenfasst der Arbeit)

[3] Li u.a. (2017)
Li, Y. et al. Intranasal co-administration of 1, 8-cineole with influenza vaccine provide cross-protection against influenza virus infection. Phytomedicine 2017; 34, 127-135. (Zusammenfassung der Arbeit)

[4] Gelmini u.a. (2016)
Gelmini, F. et al. Air dispersed essential oils combined with standard sanitization procedures for environmental microbiota control in nosocomial hospitalization rooms. Complementary therapies in medicine 2016; 25, 113-119. (Arbeit in voller Länge)

[5] Posadzki u.a. (2012)
Posadzki, P. et al. Adverse effects of aromatherapy: a systematic review of case reports and case series. International Journal of Risk & Safety in Medicine 2012; 24(3), 147-161. (Zusammenfassung der Übersichtsarbeit)

[6] West-Australisches Gesundheitsministerium
Department of Health, Government of Western Australia. Essential oils – Health warning. Abgerufen am 23. 4. 2020 unter healthywa.wa.gov.au

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