Dieser Beitrag ist älter als vier Jahre, möglicherweise hat sich die Studienlage inzwischen geändert.

Schmerz im Knie: Strom-Therapie?

Schmerzen durch abgenutzte Kniegelenke beeinträchtigen den Alltag beträchtlich. Eine TENS-Strombehandlung soll Abhilfe schaffen. Auch wenn Ärzte die Therapie regelmäßig verschreiben: ihr Nutzen ist bestenfalls unklar.

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Hilft eine Reizstrom-Therapie (TENS – Transkutane Elektro-Nerven-Stimulation) bei abgenutzten Kniegelenken (Knie-Arthrose)?

Ob TENS-Behandlungen mit Knie-Arthrose verbundene Schmerzen bessern kann, ist unklar. Einschränkungen bei alltäglichen Bewegungen scheint sie jedenfalls nicht bessern zu können.

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© apops - fotolia.com TENS Strombehandlung am Knie
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Unter Strom statt unters Messer: die Vorstellung einer Schmerzbehandlung mit elektrischem Strom klingt etwas unheimlich. Dennoch verschreiben sie manche Ärzte, etwa bei Knieschmerzen durch altersbedingte Gelenksabnutzung (Arthrose). Bei der TENS-Behandlung platziert die Ärztin oder der Physiotherapeut rund um das Knie oder andere schmerzende Stellen Elektroden, die wie überdimensionierte verkabelte Pflaster aussehen. Die Abkürzung TENS steht dabei für Transkutane (über die Haut geleitete) Elektro-Nerven-Stimulation. Über die aufgeklebten Elektroden wird dann ein schwacher Reizstrom geleitet, der sich wie leichtes Kribbeln anfühlt.

Die Theorie dahinter: die elektrische Reizung soll die Schmerzweiterleitung an Rückenmark und das Gehirn hemmen – und so das Schmerzgefühl dämpfen. Zusätzlich sollen die Stromimpulse die Bildung des körpereigenen schmerzlindernden Hormons Endorphin bewirken. Das klingt auch für Wissenschaftler auf den ersten Blick plausibel.

Schmerzstillende Wirkung fraglich

Dass eine großflächige elektrische Reizung der Hautoberfläche um das Knie dazu ausreicht, ist jedoch fraglich. Einen wissenschaftlichen Beleg dafür gibt es jedenfalls nicht. Das zeigen die Ergebnisse bisher veröffentlichter Studien [1] [2]. Diese sind von zu geringer Qualität und Aussagekraft, um sich ein klares Bild von der schmerzstillenden Wirkung der TENS-Behandlung zu machen.

Zudem deuten die zusammengefassten Ergebnisse vorhandener Studien darauf hin, dass TENS die Beweglichkeit bei Arthrose-lädierten Knien nicht bessern kann. Betroffenen fallen viele Dinge des täglichen Lebens schwer, weil die Gelenke sich steif anfühlen und Bewegung oft mit Schmerz verbunden ist. Die Strombehandlung scheint solche alltäglichen Tätigkeiten wie Stiegen steigen, aus dem Sitzen oder Liegen aufstehen oder leichte Haushaltsarbeiten nicht zu erleichtern [2]. Das haben die Teilnehmer bisher durchgeführter Studien in speziellen Fragebögen nach TENS-Behandlungen angegeben.

Immerhin scheint die Stromtherapiemethode keine ernsthaften Nebenwirkungen zu haben [1] [2]. Vielleicht ist das der Grund, warum manche Ärzte die Methode trotz unklarer Wirksamkeit noch immer verschreiben und sie auch in einigen klinischen Behandlungsrichtlinien empfohlen wird [4].

Elektrische Muskelstärkung als Schmerzhemmer?

Stromreize soll manchen Wissenschaftlern zufolge auch auf eine andere Weise Arthrose-Schmerzen hemmen: indem sie den Muskel stärken. Im Prinzip funktioniert das auch, denn Muskeln ziehen sich zusammen, sobald sie von Stromimpulsen dazu angeregt werden. Ob diese Impulse vom Gehirn über die Nervenbahnen zum Muskel gelangen oder über eine Stromquelle von außen, ist dabei zweitrangig (siehe Muskeln aus der Steckdose: ja aber… ).

Ärzte und Wissenschaftler sind sich prinzipiell einig, dass körperliche Bewegung und Physiotherapie helfen, Arthrose-Beschwerden zu mindern. Sie empfehlen etwa Aerobic, Kräftigungsübungen, Radfahren oder Schwimmen. Auch wenn Bewegungen im ersten Augenblick Schmerzen verursachen – langfristig haben sportlich aktive Betroffene weniger Schmerzen als Inaktive [5].

Ob Stromimpulse diese sportliche Betätigung ersetzen können, ist fraglich. Die Autoren einer systematischen Übersichtsarbeit fassten die Ergebnisse bisher veröffentlichter Studien dazu zusammen. Ihr Schlussfolgerung: die Studien sind minderwertig und lassen keinerlei Urteil zur Wirksamkeit der Muskeltherapie aus der Steckdose zu [3].

Arthrose: Was wirklich hilft

Neben Bewegung und sportlichen Übungen hilft vor allem Gewichtsabnahme. Dabei führen schon ein paar Kilo weniger (bei einem Ausgangsgewicht von 100 kg eine Abnahme von 5 kg) zu einer merkbaren Besserung [5].

Nahrungsergänzungsmittel mit Kollagen, Glucosamin oder Chondroitin dürften eher nutzlos sein (siehe Gelenke schmieren mit Nahrungsergänzungsmitteln?). Angebliche Wunderbehandlungen mit Kernspinresonanzgeräten oder elektromagnetischen Matten sind wissenschaftlich nur unzureichend untersucht. Dass sie Arthrose-Beschwerden lindern können, ist nicht belegt.

Nicht hilfreich sind Gelenksspülungen bei einer Gelenksspiegelung (Arthroskopie) durch den Arzt. Studien haben gezeigt, dass sie Schmerzen wahrscheinlich nicht bessern können (siehe Gelenkspiegelung bei kaputten Knien nutzlos ). Bei Menschen mit fortgeschrittener Arthrose schlägt der Arzt auch eine Operation vor. Dabei tauscht ein Chirurg die betroffenen Knie- oder Hüftgelenke durch künstliche Gelenke aus [5].

Fehlender Nachweis für andere Schmerzarten

TENS-Therapien finden nicht nur bei Knie-Arthrose Anwendung, sondern auch bei einer ganzen Reihe anderer schmerzhafter Zustände. Damit sollen sich etwa die großen Schmerzen während der Geburt verringern lassen, sie sollen chronische Kreuz- und Nackenschmerzen besänftigen, Phantomschmerzen nach Amputationen bessern oder sogar plötzlich auftretende Schmerzen lindern.

Für keine dieser Anwendungen scheint es jedoch einen Wirknachweis zu geben. Zumeist ist die Studienqualität einfach zu minderwertig, um den Ergebnissen daraus zu vertrauen. Dies ist etwa bei Nackenschmerzen [6], plötzlichen Akutschmerzen [7] oder Schmerzen bei der Geburt [8] der Fall. Ob TENS bei Phantomschmerzen Linderung bringt, wurde bisher überhaupt nicht in Studien untersucht [9]. Für chronische Kreuzschmerzen widersprechen sich die Studienergebnisse zu sehr, um ein klares Bild zu bekommen [10].

Die Studien im Detail

In einer systematischen Übersichtsarbeit der Cochrane Collaboration [1] fasste ein Wissenschaftlerteam alle bis 2008 verfügbaren randomisiert-kontrollierten Studien zusammen, die die Wirkung von TENS bei Menschen mit Knie-Arthrose untersuchten. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass alle bis dahin veröffentlichten Studien zu wenig aussagekräftig waren, weil sie wissenschaftlichen Standards für gut durchgeführte Studien zu einem großen Teil nicht entsprachen.

Seitdem wurden nur wenige neue Studien durchgeführt. Die Verfasser einer aktuelleren systematischen Übersichtsarbeit [2] fanden nur zwei neue Studien, die sie in ihre Analyse miteinbeziehen konnten. Beide untersuchten die Auswirkung von TENS auf Schmerz bei Knie-Arthrose, eine davon auch, ob TENS Alltagstätigkeiten wieder besser ermöglichte. Beide Studien sind relativ vertrauenswürdig und zeigen, dass TENS keine Wirkung zu haben scheint. In Kombination mit den Ergebnissen der Cochrane-Arbeit bleibt es jedoch dabei: auch die Gesamtheit der Studien lässt keine Einschätzung zu, ob die Stromtherapie Schmerzen bei Kniearthrose bessern kann. Sie deutet jedoch darauf hin, dass sie Bewegungseinschränkungen im alltäglichen Leben nicht bessert.
Die Autoren der neueren Übersichtsarbeit glauben zwar, die Wirkung gegen Schmerz bestätigt zu haben – sie haben allerdings drei Studien aus der älteren Cochrane-Arbeit nicht in ihre Analyse miteinbezogen.

[1] Rutjes u.a. (2009)
Studienart: Systematische Übersichtsarbeit und Meta-Analyse
Eingeschlossene Studien: 18 randomisiert-kontrollierte Studien
Teilnehmer insgesamt: 813 Patienten mit Knie-Arthrose
Fragestellung: Verbessert TENS bei Patienten mit Knie-Arthrose Schmerzen und Funktionalität?
Mögliche Interessenskonflikte: keine laut Autoren

Rutjes AWS, Nüesch E, Sterchi R, Kalichman L, Hendriks E, Osiri M, Brosseau L, Reichenbach S, Jüni P. Transcutaneous electrostimulation for osteoarthritis of the knee. Cochrane Database of Systematic Reviews 2009, Issue 4. Art. No.: CD002823. (Zusammenfassung der Übersichtsarbeit)

[2] Chen u.a. (2015)
Studienart: Systematische Übersichtsarbeit und Meta-Analyse
Eingeschlossene Studien: 14 randomisiert-kontrollierte Studien
Fragestellung: Verbessert TENS bei Patienten mit Knie-Arthrose Schmerzen und Funktionalität?
Mögliche Interessenskonflikte: keine laut Autoren

Chen LX, Zhou ZR, Li YL, Ning GZ, Li Y, Wang XB, Feng SQ. Transcutaneous Electrical Nerve Stimulation in Patients with Knee Osteoarthritis: Evidence from Randomized Controlled Trials. Clin J Pain. 2015 Mar 23. (Zusammenfassung der Übersichtsarbeit)

[3] Giggins u.a. (2012)
Studienart: Systematische Übersichtsarbeit und Meta-Analyse
Eingeschlossene Studien: 9 randomisiert-kontrollierte Studien (395 Teilnehmer) und 1 nicht-randomisierte kontrollierte Studie (14 Teilnehmer)
Teilnehmer insgesamt: 395 + 14 Patienten mit Knie-Arthrose
Fragestellung: Verbessert Neuromuskuläre Elektro-Stimulation bei Patienten mit Knie-Arthrose Schmerzen und Funktionalität?
Mögliche Interessenskonflikte: keine laut Autoren

Giggins O, Fullen B, Coughlan G. Neuromuscular electrical stimulation in the treatment of knee osteoarthritis: a systematic review and meta-analysis. Clin Rehabil. 2012 Oct;26(10):867-81. (Zusammenfassung der Übersichtsarbeit)

Weitere wissenschaftliche Quellen

[4] Brosseau u.a. (2014)
Brosseau L, Rahman P, Toupin-April K, Poitras S, King J, De Angelis G, Loew L, Casimiro L, Paterson G, McEwan J. A systematic critical appraisal for non-pharmacological management of osteoarthritis using the appraisal of guidelines research and evaluation II instrument. PLoS One. 2014 Jan
10;9(1):e82986. (Übersichtsarbeit in voller Länge)

[5] IQWIG (2014)
Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Gewichtsabnahme und Bewegung bei Arthrose. Abgerufen am 2.6.2015 unter www.gesundheitsinformation.de

[6] Kroeling u.a. (2013)
Kroeling P, Gross A, Graham N, Burnie SJ, Szeto G, Goldsmith CH, Haines T, Forget M. Electrotherapy for neck pain. Cochrane Database of Systematic Reviews 2013, Issue 8. Art. No.: CD004251. (Übersichtsarbeit in voller Länge)

[7] Walsh u.a. (2009)
Walsh DM, Howe TE, Johnson MI, Moran F, Sluka KA. Transcutaneous electrical nerve stimulation for acute pain. Cochrane Database of Systematic Reviews 2009, Issue 2. Art. No.: CD006142. (Zusammenfassung der Übersichtsarbeit)

[8] Dowswell (2011)
Dowswell T, Bedwell C, Lavender T, Neilson JP. Transcutaneous electrical nerve stimulation (TENS) for pain management in labour. Cochrane Database of Systematic Reviews 2009, Issue 2. Art. No.: CD007214. (Zusammenfassung der Übersichtsarbeit)

[9] Mulvey u.a. (2010)
Mulvey MR, Bagnall AM, Johnson MI, Marchant PR. Transcutaneous electrical nerve stimulation (TENS) for phantom pain and stump pain following amputation in adults. Cochrane Database of Systematic Reviews 2010, Issue 5. Art. No.: CD007264. (Zusammenfassung der Übersichtsarbeit)

[10] Khadilkar u.a. (2008)
Khadilkar A, Odebiyi DO, Brosseau L, Wells GA. Transcutaneous electrical nerve stimulation (TENS) versus placebo for chronic low-back pain. Cochrane Database of Systematic Reviews 2008, Issue 4. Art. No.: CD003008. (Zusammenfassung der Übersichtsarbeit)

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