Vitamin D fürs Immunsystem?

Wirkt Vitamin D vorbeugend gegen Erkältungskrankheiten? Vielleicht, sagen bisherige Studien. Der Effekt dürfte allerdings winzig sein.

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Kann Vitamin D Erkältungen, Grippe, Schnupfen und anderen viralen Atemwegserkrankungen vorbeugen?

Die Einnahme von Vitamin D könnte vielleicht einen vorbeugenden Effekt gegen Infektionen mit Erkältungs-, Schnupfen- und Grippeviren haben. Dieser scheint allerdings nur minimal zu sein. Ob Betroffene dank Vitamin-D-Tropfen merklich seltener krank werden, ist fraglich.

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Sonnenblume mit Sonnenbrille im Feld. Mehr Vitamin D ist gleich besseres Immunsystem? Stimmt nicht immer.
© Issarawat Tattong – Shutterstock.com

Die Einnahme von Vitamin D soll das Immunsystem stärken und so mancher Infektion mit Viren vorbeugen. Das versprechen zumindest Werbungen für diverse Nahrungsergänzungsmittel mit Vitamin D.

In Zeiten wie diesen ist ein fittes Immunsystem besonders gefragt: Auch gegen das Coronavirus könne man sich mit Vitamin-D-Präparaten wappnen, liest man im Internet. Dazu haben wir einen eigenen Beitrag veröffentlicht.

Lässt sich mit Vitamin D das Immunsystem aufpeppen? So sehr, dass man geschützt ist vor viralen Infekten der Atemwege wie Erkältungen, Schupfen und Grippe?

Erkältungen minimal seltener mit Vitamin D

Eine Zusammenfassung von 37 gut gemachten Studien [1] kommt zu dem Schluss: Vitamin-D-Präparate könnten die Häufigkeit von Atemwegsinfektionen mit Schnupfen, Halsweh oder Husten geringfügig verringern – zumindest auf dem Papier. Denn der Effekt scheint winzig klein zu sein:

  • Von 100 Personen, die Vitamin D einnahmen, hatten in den Studien innerhalb eines Jahres 60 Personen mindestens einen Atemwegsinfekt.
  • Von 100 Personen, die ein wirkungsloses Scheinmedikament (Placebo) einnahmen hatten innerhalb eines Jahres 62 Personen mindestens einen Atemwegsinfekt.

An diesen Studien nahmen insgesamt über 46.000 Kinder und Erwachsene teil. Dennoch ist der – eher dürftige – Nutzen von Vitamin D fürs Immunsystem mit Unsicherheit behaftet.

Verzerrte Forschung?

Einerseits sind die Ergebnisse alles andere als eindeutig und widersprechen sich teilweise. Andererseits gibt es Hinweise darauf, dass Studien, die eine Wirkungslosigkeit von Vitamin D zeigen, sehr oft unveröffentlicht bleiben und in der sprichwörtlichen Schublade verschwinden. Das würde das Gesamtbild verzerren und Vitamin D wirksamer erscheinen lassen, als es tatsächlich ist.

Dass Vitamin D in Sachen Erkältungen Wunder wirkt und zu einem unbezwingbaren Immunsystem verhilft, halten wir jedenfalls für unwahrscheinlich.

Vitamin D: Lieber weniger, dafür öfter

Offenbar scheint es eine Rolle zu spielen, wie das Vitamin D eingenommen wird: In manchen der zusammengefassten Studien erhielten die Teilnehmenden eine große Menge an Vitamin D auf einmal und pausierten dann länger. Andere schluckten täglich oder wöchentlich kleinere Mengen.

Bei jenen Teilnehmenden, die kleinere Mengen und diese dafür öfter eingenommen hatten, zeigte sich ein deutlicherer Anti-Erkältungseffekt. Wurde das Vitamin D hingegen einmal pro Monat und dafür in großer Menge verabreicht, verschwand dieser Effekt. Das Forschungsteam vermutete, dass der Körper viel Vitamin D auf einmal gar nicht erst verwerten kann.

Wer hat einen Mangel?

Ab welcher Menge Vitamin D im Blut gelten Menschen als ausreichend versorgt? Das ist alles andere als gesichert und die Angaben unterscheiden sich je nach Fachgesellschaft]. Die meisten Expertinnen und Experten konnten sich jedoch auf einen Grenzwert von 50 nmol/l (oder 20 ng/ml) im Blut einigen. Niedrigere Werte gelten als unzureichend oder als leichter Mangel. Werte unter 25 nmol/l (oder 10 ng/ml) werden von allen Fachleuten als schwerer Mangel eingestuft [2].

Wie diese Grenzwerte angesetzt werden, ist keine Nebensächlichkeit: Sind die Grenzwerte zu hoch, wird bei sehr vielen Menschen ein „Mangel“ festgestellt. Und das, obwohl sie eigentlich gut mit Vitamin D versorgt sind.

Vitamin D für harte Knochen

Den Großteil des benötigten Vitamin D stellt der Körper selbst her. Dazu braucht er Sonnenlicht, das möglichst ungefiltert direkt auf die Haut treffen sollte. Ein kleinerer Teil kommt aus der Nahrung, zum Beispiel aus Fisch, Eiern oder Leber.

Vitamin D ist an vielen Prozessen im Körper beteiligt. Es beeinflusst die Aufnahme und Verarbeitung von Calcium und ist somit für gesunde Knochen wichtig. Dauerhafter Vitamin-D-Mangel kann zu einer verringerten Knochendichte (Osteoporose) führen [5,6]. Bei Kindern kann ein schwerer Mangel die noch wachsenden Knochen weich machen und Rachitis auslösen.

Vitamin D für die Knochen – und sonst?

Von der Knochengesundheit abgesehen: Welche Rolle Vitamin D für die Gesundheit spielt, ist noch nicht vollständig geklärt. Man weiß aber inzwischen, dass Vitamin D für ein normal funktionierendes Immunsystem wichtig ist [2]. Es ist also durchaus plausibel, dass die Abwehrkräfte im Falle eines gravierenden Mangels geschwächt sind.

Dem Vitamin wird auch immer wieder nachgesagt, es schütze vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Allergien, Krebs oder Alzheimer. Viele dieser Behauptungen konnten inzwischen widerlegt werden [6,7].

Gesund durch Vitamin D – oder viel Vitamin D, weil gesund?

Doch woher kommt der sagenhafte Ruf des Vitamins als Wundermittel? Einerseits gibt es die Beobachtung, dass die meisten Körperzellen – und besonders die Zellen des Immunsystems – Andockstellen für Vitamin D haben. Andererseits scheint es, als würden Menschen mit hohen Vitamin-D-Werten seltener krank [5,6].

Diese Beobachtung mag zwar richtig sein. Sie bedeutet aber nicht, dass Vitamin D die Ursache für den guten Gesundheitszustand ist. Es könnte auch eine „Begleiterscheinung“ guter Gesundheit sein.

Vielleicht ist es die Bewegung im Freien, die sowohl gesund hält als auch die Vitamin-D-Speicher auffüllt. Genauso könnte es sein, dass gesunde Menschen eher draußen unterwegs sind als Kranke.

Raus in die Sonne!

Wer oft im Freien unterwegs ist und sich ausgewogen ernährt, braucht sich vor gesundheitsschädlichem Vitamin-D-Mangel normalerweise nicht zu fürchten. Zumindest ist das in Mitteleuropa der Fall [3]. Prinzipiell ist ein schwerer Vitamin-D-Mangel hierzulande selten.

Manche Menschen haben jedoch ein höheres Risiko für einen Vitamin-D-Mangel [5]. Dazu gehören Menschen, die sich hauptsächlich drinnen aufhalten, zum Beispiel Bewohnerinnen und Bewohner von Pflegeeinrichtungen. Gefährdet sind wohl auch Personen, die aus anderen Gründen nicht der Sonne ausgesetzt sind, vollverschleierte Frauen etwa.

Ebenfalls zu einem Mangel führen können verschiedene Erkrankungen des Darmes, wenn dadurch die Aufnahme von Vitamin D aus der Nahrung behindert ist [2].

Die Studien im Detail

Welche Studien haben wir berücksichtigt?

Eine große Übersichtsarbeit fasste die Ergebnisse sämtlicher bisherigen Studien zum Thema Vitamin D und Erkältungskrankheiten zusammen [1]. Insgesamt sind das 37 einzelne Studien mit über 46.000 Teilnehmenden.

In allen Studien wurden die Teilnehmenden per Zufall auf zwei Gruppen aufgeteilt: Die eine Gruppe schluckte regelmäßig ein Vitamin-D-Präparat, die andere ein gleich aussehendes Schein-Präparat (Placebo). Weder die Teilnehmenden noch das jeweilige Forschungsteam wussten, wer sich in welcher Gruppe befand – die Studien waren doppelt „verblindet“.

Am Ende erhoben die Forschungsteams: Wie viele der Teilnehmenden hatten während der Dauer der Studie mindestens eine Erkältung?

Wie aussagekräftig sind die Studien?

Die Übersichtsarbeit ist solide durchgeführt, das heißt, wir sind uns sehr sicher, dass darin wirklich alle verfügbaren Studienergebnisse zusammenfasst und korrekt interpretiert wurden. Sie hat zudem eine weitere große Stärke: Es fließen darin die Daten von sehr vielen Personen zusammen. Das macht das Ergebnis aussagekräftig.

Andererseits sind die zusammengefassten Ergebnisse trotz der großen Teilnehmerzahl nicht ganz eindeutig und der „Sieg“ des Vitamin D gegenüber dem Placebo nur sehr knapp. Zudem gibt es Hinweise auf mögliche unveröffentlichte Studien, die eine Nicht-Wirksamkeit von Vitamin D zeigten. Das schmälert unser Vertrauen in das Endergebnis deutlich.

Ob die Erkenntnisse aus den verfügbaren Studien auch für Infektionen mit dem Coronavirus gelten, können wir nicht sagen. Menschen mit COVID-19 nahmen nicht an den Studien teil.

[1] Jolliffe, D. A., et al. (2021).
„Vitamin D supplementation to prevent acute respiratory infections: a systematic review and meta-analysis of aggregate data from randomised controlled trials.“ Lancet Diabetes Endocrinol 9(5): 276-292. (Link zur Studie)

[2] UpToDate (2020)
Vitamin D deficiency in adults: Definition, clinical manifestations, and treatment.
Abgerufen am 8.4.2020 unter https://www.uptodate.com/contents/vitamin-d-deficiency-in-adults-definition-clinical-manifestations-and-treatment

[3] Palacios u.a. (2014)
Palacios, C., & Gonzalez, L. (2014). Is vitamin D deficiency a major global public health problem?. The Journal of steroid biochemistry and molecular biology, 144, 138-145. (Text in voller Länge)

[4] Gesundheitsinformation.de (2022)
Die Knochen stärken und Brüchen vorbeugen. Abgerufen am 29.3.2023 unter https://www.gesundheitsinformation.de/die-knochen-staerken-und-bruechen-vorbeugen.html

[5] UpToDate (2022)
Overview of Vitamin D. Abgerufen am 28.3.2023 unter https://www.uptodate.com/contents/overview-of-vitamin-d

[6] UpToDate (2023)
Vitamin D and extraskeletal health. Abgerufen am 28.3.2023 unter https://www.uptodate.com/contents/vitamin-d-and-extraskeletal-health

 

  • 16.3.2023: Eine neuerliche Suche bringt neue wissenschaftliche Erkenntnisse zutage, die unsere Einschätzung ändern. Demzufolge könnte Vitamin D Erkältungen, Grippe, Schnupfen und anderen viralen Atemwegserkrankungen in geringem Ausmaß vorbeugen.
  • 16.4.2020: Suche nach neuen Studienergebnissen und Aktualisierung des Faktenchecks. Wir erachten einen vorbeugenden Effekt als unwahrscheinlich.
  • 31.10.2013: Veröffentlichung der ersten Fassung des Faktenchecks. Vitamin D hat möglicherweise keinen vorbeugenden Effekt.

 

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