Dieser Beitrag ist älter als vier Jahre, möglicherweise hat sich die Studienlage inzwischen geändert.

Tomatenextrakt für ein gesundes Herz?

Ein bisschen Tomatenextrakt einwerfen und schon sinkt das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall. Wäre schön. Allerdings ist eine solche Wirkung nicht belegt.

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Senkt Tomatenextrakt das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen?

Es gibt bisher nur kleine und kurze Studien mit etlichen Mängeln. Dabei wurde der Einfluss verschiedener Tomatenextrakte auf den Blutdruck überprüft. Es wurde nicht getestet, ob die Tomatenextrakte das Risiko für Herzinfarkt oder Schlaganfall senken.

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© ViChizh - shutterstock.com Extrakt aus Tomaten - ein Wundermittel für das Herz?
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Herz-Kreislauf-Erkrankungen gehören zu den häufigsten Erkrankungen und sind in Mitteleuropa für viele Todesfälle verantwortlich [5]. So starben 2011 rund 32.000 Menschen in Österreich an den Folgen einer Herz-Kreislauf-Erkrankung. Nicht nur der Tod, sondern auch Invalidität und Arbeitsunfähigkeit, gepaart mit Pflegebedürftigkeit und verminderter Lebensqualität, gehen auf das Konto der weit verbreiteten Krankheiten [7].

Es gibt viele Risikofaktoren, die langfristig zu Herzinfarkt oder Schlaganfall führen können. Dazu gehören Bluthochdruck, Rauchen oder erhöhte Blutzuckerwerte [3]. Umgekehrt können ein Rauchverzicht und die Behandlung der Risikofaktoren die Gefahr von Herzinfarkt oder Schlaganfall senken. Eine Ernährung mit viel Obst und Gemüse hat laut Fachleuten ebenfalls einen schützenden Effekt [4].

Vollmundige Versprechungen

Deswegen werden oft Nahrungsergänzungsmittel angepriesen, die Inhaltsstoffe aus Obst und Gemüse in konzentrierter Form enthalten. Sie sollen die Gesundheit von Herz und Kreislauf fördern.

Uns erreichte eine Leseranfrage zu einem Mittel mit einem Tomatenextrakt, das eine Pressemitteilung [8] sogar vollmundig als Schutz vor Herzinfarkt und Schlaganfall anpreist. Ist diese sensationelle Wirkung aber auch durch Studien belegt?

Schneller Absturz

Angesichts der Versprechungen in der Werbung hatten wir hohe Erwartungen an die vorhandenen Studien – die wurden aber schnell enttäuscht. Es gibt zwar einige Untersuchungen für verschiedene Tomatenextrakte, die in Form von Kapseln oder kleinen Kügelchen (Micropellets) in Portionsbeuteln in Apotheken, Drogerien oder Internet-Shops verkauft werden. Unter den Studien finden sich aber keine, in denen tatsächlich die schützende Wirkung vor Herzinfarkt oder Schlaganfall überprüft worden ist.

Stattdessen untersuchten einige Studien, wie sich die Einnahme eines Tomatenextrakts auf die Klebrigkeit der Blutplättchen bei den Versuchspersonen auswirkt. Im Reagenzglas zeigte sich, dass das Blut weniger zusammenklumpte. Ob sich solche Effekte auch im Körper zeigen und dann auch tatsächlich Herzinfarkt oder Schlaganfall verhindern, ist unklar.

Blutdrucksenkung unklar

Enttäuschend waren auch Studien zur Wirkung von Tomatenextrakt auf den wichtigen Risikofaktor Bluthochdruck [1,2]. Zwar zeigten sich hier vermeintlich positive Effekte. Allerdings waren die Studien schlecht gemacht. Sie umfassten so wenige Teilnehmerinnen und Teilnehmer, dass sich daraus keine verlässlichen Schlussfolgerungen ziehen lassen.

Wirkung und Nebenwirkungen: unzureichend untersucht

Der Hersteller hat also bisher keine ausreichende Belege für seine Behauptung geliefert, dass die Einnahme von Tomatenextrakt also tatsächlich Herz und Kreislauf schützt. Auf dieser Basis können wir den Nutzen nicht verlässlich abschätzen.

Auch zur Sicherheit fehlen Daten: Laut den Veröffentlichungen gab es keine Nebenwirkungen. Doch es fehlen genauere Angaben, wie mögliche unerwünschte Wirkungen erfasst wurden.

Gesundheitsbezogene Aussagen

In der EU ist es übrigens sehr genau geregelt, mit welchen gesundheitsbezogenen Behauptungen („health claims“) Hersteller ihre Lebensmittel und Nahrungsergänzungsmittel überhaupt bewerben dürfen. Für den in der Leseranfrage erwähnten Tomatenextrakt ist die auf der Verpackung getätigte Aussage erlaubt: „fördert die normale Blutplättchenaggregation und trägt zu einem gesunden Blutfluss bei“ [6]. Weitergehende Aussagen, etwa „zur Vorbeugung von Herzinfarkt oder Schlaganfall“ [8], wären dagegen nicht genehmigt.

Die Studien im Detail

Bei der Literaturrecherche haben wir zwei Studien gefunden [1,2], die die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen schickten. Das heißt, sie nahmen entweder an einer Behandlung mit Tomatenextrakt oder an einer Vergleichstherapie teil. Dies sollte klären, ob der Tomatenextrakt vor Herz- und Kreislauf-Erkrankungen schützt.

Besser als Aspirin?

Die erste Studie [1] schloss 82 Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit Bluthochdruck ein; sie hatten ein hohes oder sogar sehr hohes Risiko für einen ersten Herzinfarkt oder Schlaganfall. Ausgeschlossen waren Personen mit einer Herz- oder Nierenschwäche.

Vier Wochen lang erhielten die Probandinnen und Probanden zusätzlich zu ihren bisherigen Medikamenten entweder 75 Milligramm Acetylsalicylsäure (auch bekannt als „Aspirin“) oder 213 Milligramm eines standardisierten Tomatenextrakts. Zu Beginn und am Ende der Studie wurde 24 Stunden lang der Blutdruck gemessen.

Das Forschungsteam gibt an, dass nur bei den Teilnehmenden, die Tomatenextrakt einnahmen, der Blutdruck zurückging. Sonderlich vertrauenswürdig ist diese Aussage nicht. Denn Auswertung und Studiendurchführung haben diverse Mängel: So wussten alle Beteiligten (mangels Verblindung), welche Gruppe welches Mittel einnahm. Daher lassen sich psychische Einflüsse auf den Blutdruck nicht ausschließen.

Auch lagen die Blutdruckwerte in der Gruppe mit Tomatenextrakt zu Beginn höher. Somit waren die Ausgangsbedingungen nicht gleich. Weiters sind vermutlich nicht die Daten aller Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die die Studie begonnen haben, tatsächlich auch in die Auswertung der Endergebnisse eingeflossen.

Zusammen mit der relativ niedrigen Zahl an Teilnehmerinnen und Teilnehmern und der kurzen Untersuchungsdauer lassen sich aus dieser Studie unseres Erachtens keine sicheren Schlussfolgerungen ziehen. Nebenwirkungen traten laut Autorenteam in keiner Gruppe auf.

Test an gesunden Teilnehmern

In der zweiten Studie [2] gab es nur männliche Probanden. Die zwölf Teilnehmer litten unter leicht erhöhtem Blutdruck. Sechs von ihnen nahmen Tomatenextrakt ein, die anderen sechs ein Scheinmedikament (Placebo). Danach maß das Forschungsteam für 24 Stunden den Blutdruck. Nach einer Pause von einer Woche tauschten die beiden Gruppen, nach 24 Stunden wurde dann wieder der Blutdruck gemessen.

Nach Angaben der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler war der Blutdruck in der Gruppe mit Tomatenextrakt zwar niedriger. Aber auch hier erscheint das Ergebnis nicht besonders vertrauenswürdig: So sind bei der Auswertung wieder die Daten einzelner Teilnehmer „verloren“ gegangen.

Ein weiterer Schwachpunkt: In der Veröffentlichung fehlen Hinweise darauf, ob beispielsweise Stress oder sportliche Aktivität in beiden Studienphasen tatsächlich gleich waren – das könnte sich auch auf den Blutdruck auswirken. Eingeschränkt wird die Aussagekraft außerdem durch die geringe Teilnehmerzahl und die sehr kurze Beobachtungszeit. Die Autoren geben an, dass sie keine Nebenwirkungen im Zusammenhang mit den eingesetzten Mitteln beobachtet haben.

[1] Krasinska (2017)
Studientyp: Randomisierte kontrollierte Studie
Teilnehmer: 82 Männer und Frauen mit Bluthochdruck und hohem kardiovaskulären Risiko im Alter zwischen 28 und 74 Jahren
Fragestellung: Senkt die einmal tägliche Einnahme eines standardisierten Tomatenextrakts im Vergleich zu 75 mg Acetylsalicylsäure bei Patienten mit Hypertonie den Blutdruck?
Interessenkonflikte: Angaben fehlen

Krasińska B, Osińska A, Krasińska A, Osiński M, Rzymski P, Tykarski A, Krasiński Z. Favourable hypotensive effect after standardised tomato extract
treatment in hypertensive subjects at high estimated cardiovascular risk – a randomised controlled trial. Kardiol Pol. 2017 Nov 13. (Studie in voller Länge)

[2] Uddin (2017)
Studientyp: Randomisierte kontrollierte Studie (cross-over)
Teilnehmer: 12 Männer mit leicht erhöhtem Blutdruck (Prä-Hypertonie)
Fragestellung: Verbessert ein standardisierter Tomatenextrakt im Vergleich zu Placebo die Blutdruckkontrolle über 24 Stunden?
Interessenkonflikte: Der Hersteller des Tomatenextrakts hat die Studie finanziert. Zwei der Autoren sind Berater des Herstellers.

Uddin M, Biswas D, Ghosh A, O’Kennedy N, Duttaroy AK. Consumption of Fruitflow(®) lowers blood pressure in pre-hypertensive males: a randomised, placebo controlled, double blind, cross-over study. Int J Food Sci Nutr. 2017 Sep 18:1-9. (Zusammenfassung der Studie)

Weitere wissenschaftliche Quellen

[3] UpToDate (2017)
Overview of established risk factors for cardiovascular disease. https://www.uptodate.com/contents/overview-of-established-risk-factors-for-cardiovascular-disease (Zugriff 23.11.2017)

[4] UpToDate (2017)
Overview of primary prevention of coronary heart disease and stroke. Stand November 2017. https://www.uptodate.com/contents/overview-of-primary-prevention-of-coronary-heart-disease-and-stroke (Zugriff 23.11.2017)

Weitere Quellen

[5] Statistik Österreich (2017)
Todesursachen im Überblick. http://www.statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_gesellschaft/gesundheit/todesursachen/todesursachen_im_ueberblick/index.html (Zugriff 27.11.2017)

[6] EU Register on nutrition and health claims
Health claims for which protection of proprietary data has been granted. http://ec.europa.eu/food/safety/labelling_nutrition/claims/register/public/?event=getListOfPropClaims (Zugriff 27.11.2017)

[7] Bundesministeriums für Gesundheit und Frauen (2015)
Herz-Kreislauf-Erkrankungen in Österreich. https://www.bmgf.gv.at/cms/home/attachments/8/7/1/CH1075/CMS1421311013881/hke_bericht_2015.pdf

[8] Presseportal (2016)
Dr. Wolz Zell GmbH. Studie: Tomatenwirkstoff genauso gut wie ASS Natürlicher Pflanzenextrakt bietet kardiovaskulären Schutz. Abgerufen am 14. 12. 2017 unter https://www.presseportal.de/pm/100926/3497868

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