Ilomedin bei Knochenmarködem: Wirksamkeit unbelegt

Beim Knochenmarködem werden oft Infusionen mit Ilomedin angeboten – obwohl es keine Belege für eine Wirksamkeit gibt. Nebenwirkungen sind aber häufig.

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Können Infusionen mit Ilomedin (Iloprost) beim Knochenmarködem helfen?

Wir konnten keine einzige aussagekräftige Studie finden, die belegen kann, dass Ilomedin bei einem Knochenmarködem hilft. Ilomedin kann aber teilweise schwerwiegende Nebenwirkungen haben. Offiziell zugelassen ist das Medikament als Therapie des Knochenmarködems nicht.

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© istock_AND-ONE Knochenmarködeme können schmerzhaft sein, müssen aber nicht.
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Ein Knochenmarködem ist eine Flüssigkeitsansammlung im Inneren des Knochens. Es entsteht meist durch eine Verletzung, etwa bei einem Sportunfall. Aber auch Gelenksentzündungen, etwa durch Gelenksverschleiß (Arthrose) oder rheumatoide Arthritis, können ein Knochenmarködem verursachen [6]. Dann schwillt das Knochenmark an, die Durchblutung im Inneren des Knochens wird schlechter. Am häufigsten betrifft es die Knochen der Hüft-, Knie- und Sprunggelenke [7].

Bei manchen Menschen kann ein Knochenmarködem sehr schmerzhaft sein. Andere bemerken dagegen nichts davon. Dann wird das Knochenmarködem zufällig bei einer Untersuchung mittels Magnetresonanztomographie (MRT) entdeckt.

Beschleunigte Heilung durch Ilomedin?

Ein Knochenmarködem verschwindet meist mit der Zeit von selbst. Viele Ärztinnen und Ärzte bieten aber auch eine Behandlung mit dem Medikament Ilomedin (Wirkstoff Iloprost) an, das die Heilung beschleunigen und Schmerzen lindern soll. In Deutschland ist ein Medikament mit demselben Wirkstoff unter dem Namen Ventavis verfügbar.

Zur Behandlung wird das Mittel als Infusion verabreicht und kann schwere Nebenwirkungen verursachen [8]. Deshalb müssen Betroffene dafür ins Krankhaus oder in spezialisierte Arztpraxen.

Doch lohnt sich die risikoreiche Behandlung? Wir haben uns auf die Suche nach wissenschaftlichen Forschungsergebnissen gemacht.

Wirksamkeit bei Knochenmarködem nicht untersucht

Das Ergebnis unserer Recherche fiel überraschend aus: Ob Ilomedin ein Knochenmarködem tatsächlich schneller abheilen lässt, wurde offenbar nie in aussagekräftigen Studien untersucht.

Das Medikament wird eigentlich bei Durchblutungsstörungen eingesetzt. Zur Behandlung eines Knochenmarködems ist es nicht zugelassen. Ärztinnen oder Ärzte können es aber verschreiben, wenn sie glauben, dass es helfen könnte [8]. In der Fachsprache spricht man auch von „off-label use“, also einer Verwendung außerhalb der offiziellen Zulassung. Einheitliche Empfehlungen für die Behandlung des Knochenmarködem gibt es nicht.

Ist es das Risiko wert?

Ilomedin verbessert die Durchblutung, indem es die Blutgefäße erweitert. Häufige Nebenwirkungen sind Kopfschmerzen, Schwitzen, Übelkeit und Erbrechen. Sie betreffen rund 1 von 10 behandelten Personen. Doch auch schwere Reaktionen auf das Mittel sind möglich. Dazu gehören etwa Asthmaanfälle, Herzinfarkt, Schlaganfall und Lungeninfarkt. Solche potenziell lebensgefährlichen Nebenwirkungen können laut Packungsbeilage zwischen 1 von 100 und 1 von 10 Behandelte betreffen [8].

Knochenmarködem: keine wissenschaftlich erforschten Therapien

Für Menschen die wegen einem Knochenmarködem Schmerzen haben sind das zwar keine guten Nachrichten, aber: Eine nachgewiesen wirksame Therapie gibt es derzeit nicht. Unklar ist auch, ob es überhaupt eine Behandlung braucht – immerhin verschwindet das Ödem in den meisten Fällen mit der Zeit von selbst [6].

Neben Ilomedin werden oft noch andere Behandlungen angeboten. Zum Beispiel Bisphosphonate, die den Knochenabbau hemmen sollen, oder eine Stoßwellentherapie. Um die Schwellung im Inneren des Knochens zu reduzieren, wird in schweren Fällen auch der Knochen angebohrt. Das soll den Druck im Knochenmark verringern. Für keine dieser Methoden gibt es derzeit verlässliche Belege aus der Wissenschaft [6,7].

Was im Knochenmark passiert

Die großen Knochen in unserem Körper ähneln im Inneren einem Schwamm. Die vielen kleinen Hohlräume im Inneren sind jedoch nicht mit Luft gefüllt, sondern mit Blutzellen oder Fett. Dieses Schwamm-artige Innere ist das Knochenmark.

Das Knochenmark mancher Knochen ist bei Erwachsenen für die Bildung der Blutzellen zuständig. Es wird deshalb auch rotes Knochenmark genannt. Neben dem roten Knochenmark gibt es noch das gelbe Knochenmark. Statt blutbildender Zellen gibt es hier Fettzellen. Das gelbe Knochenmark spielt keine Rolle in der Bildung der Blutzellen.

Abwarten und schonen

Beim Knochenmarködem sammelt sich Flüssigkeit in dem schwammartigen Gewebe des Knochenmarks an. Auslöser kann eine Verletzung, ein Tumor oder eine Entzündung sein. Genauso wie eine Beule am Kopf oder ein entzündeter Finger würde auch das Knochenmark anschwellen – hätte es den nötigen Platz dafür und wäre es nicht von hartem Knochen umgeben. Weil die angesammelte Flüssigkeit keinen Platz hat, steigt nun der Druck im Knochenmark.

Auch das Knochenmark muss durchblutet werden, um es mit Sauerstoff und Nährstoffen zu versorgen. Das Ödem kann die Durchblutung behindern und Schmerzen verursachen. Wenn das Knochenmarködem sehr lange andauert, kann der Knochen brüchig und porös werden. In der Fachsprache spricht man dann auch von Osteonekrose. Ärztinnen und Ärzte raten deshalb dazu, den betroffenen Knochen so wenig wie möglich zu belasten, bis das Ödem von selbst wieder verschwindet [6].

Die Studien im Detail

Nach welchen Studien haben wir gesucht?

Ob Ilomedin ein Knochenmarködem tatsächlich schneller abheilen lässt, können nur sogenannte randomisiert-kontrollierte Studien verlässlich beantworten. Die sehen folgendermaßen aus: Möglichst viele Personen mit einem Knochenmarködem werden per Los (randomisiert) in zwei Gruppen aufgeteilt. Die Behandlungsgruppe bekommt Ilomedin-Infusionen, die Kontrollgruppe gleichaussehende Schein-Infusionen ohne Wirkstoff (Placebo-Infusionen). Niemand, der an der Studie beteiligt ist, weiß, wer welche Infusionen erhält – die Studie ist also „verblindet“. Am Ende wird mittels Fragebogen und MRT-Untersuchung dokumentiert, in welcher der beiden Gruppen sich Schmerzen und Knochenmarködem deutlicher gebessert haben.

Bei unserer Suche in drei verschiedenen Datenbanken konnten wir keine einzige solche Studie finden.

Wir fanden zwar einige Studien, in denen eine Gruppe Betroffener Ilomedin erhielt und denen es nach einiger Zeit besser ging. Diese Untersuchungen haben jedoch keine Aussagekraft. Denn es fehlt eine Vergleichsgruppe, die zur Kontrolle keine Behandlung erhielt. Die Studienergebnisse können deshalb nicht beantworten, ob das Ilomedin für die Heilung verantwortlich war oder ob es den Teilnehmenden auch ohne Behandlung besser gegangen wäre.

Wie aussagekräftig sind die Studien?

Wir fanden eine Studie [1], die zumindest Hinweise auf eine Wirksamkeit von Ilomedin hätte liefern können. Die Anzahl der Teilnehmenden war aber so klein und die Studie derart mangelhaft, dass wir kein Vertrauen in ihre Ergebnisse haben. Darin untersuchte ein Forschungsteam, ob eine Ilomedin-Behandlung anschließend an ein Anbohren des Knochens Vorteile bringt.

Laut dieser Studie hatten Teilnehmende ein Jahr nach dem Eingriff etwas weniger Schmerzen, wenn sie anschließend Ilomedin erhalten hatten. Es handelte sich allerdings um eine kleine Studie, an der nur 36 Personen teilnahmen. Die Zuteilung zu den Behandlungsgruppen erfolgte nicht zufällig. Deshalb könnten sich die beiden Gruppen bereits vor Studienbeginn stark voneinander unterschieden haben. So lässt sich nicht sagen, ob Unterschiede nach Studienende auf das Ilomedin zurückzuführen waren. Außerdem wichtige Daten fehlen in der Auswertung. Außerdem untersuchte die Studie Ilomedin lediglich als Ergänzung zu einer Operation. Eine Operation ist beim Knochenmarködem der letzte Ausweg, wenn sonst nichts mehr hilft. Die wenigsten Betroffenen werden eine solche Operation benötigen. Ob das Ilomedin als alleinige Therapie wirkt, kann die Studie nicht beantworten.

Studien, die wir nicht berücksichtigt haben

Wir fanden zusätzlich vier Studien, in denen Ilomedin mit anderen Behandlungen verglichen wurde [2-5]. Nämlich mit dem Schmerz-Medikament Tramadol [2,3], und einmal mit einem Medikament, das den Knochenabbau hemmen kann (Bisphosphonate) [4]. Die vierte Studie verglich Ilomedin mit einer Operation, nämlich dem Anbohren des betreffenden Knochens [5].

Beim Vergleich mit Schmerzmittel [2,3] haben wir folgende Bedenken: Wir halten es für möglich, dass die Schmerzmittelgruppe dank der Schmerzlinderung die betroffenen Gelenke stärker belastet haben könnte als die Ilomedin-Gruppe. Das könnte das Abheilen des Knochenmarködems verzögert und so zu einem scheinbaren Vorteil in der Ilomedin-Gruppe geführt haben.

Auch den Vergleich mit Bisphosphonaten [4] und dem Anbohren des Knochens [5] halten wir für nicht aussagekräftig. Denn beide Behandlungen sind ebenso wie Ilomedin keine nachgewiesen wirksame Therapie beim Knochenmarködem. In den zwei Studien besserte sich das Ödem in beiden Gruppen gleichermaßen. Es ist also theoretisch denkbar, dass weder die Behandlung mit Ilomedin noch die anderen Behandlungen einen Effekt hatten und das Ödem einfach mit der Zeit von selbst verschwand.

[1] Beckmann et al. (2013) Infusion, core decompression, or infusion following core decompression in the treatment of bone edema syndrome and early avascular osteonecrosis of the femoral head. Rheumatol Int 33(6): 1561-1565. (Zusammenfassung der Studie)

[2] Aigner et al. (2004) Double-blind, randomized, controlled 4-week study of oral iloprost in patients with painful bone marrow edema of the knee. The journal of bone and joint surgery (proceedings) 86‐B(SUPP_II): 147‐114a. (Link zur Studie)

[3] Mayerhoefer et al. (2007) Short-term outcome of painful bone marrow oedema of the knee following oral treatment with iloprost or tramadol: results of an exploratory phase II study of 41 patients. Rheumatology (Oxford, England) 46(9): 1460‐1465. (Zusammenfassung der Studie)

[4] Baier et al. (2013) Bisphosphonates or prostacyclin in the treatment of bone-marrow oedema syndrome of the knee and foot. Rheumatol Int. 2013 Jun;33(6):1397-402. (Zusammenfassung der Studie)

[5] Aigner, N., et al. (2005) Bone marrow edema syndrome of the femoral head: treatment with the prostacyclin analogue iloprost vs. core decompression: an MRI-controlled study. Wiener klinische Wochenschrift 117(4): 130‐135. (Zusammenfassung der Studie)

[6] Stojanovska & Schirmer (2022) Klinische Aspekte der Knochenmarködeme: eine Literaturübersicht. J. Miner. Stoffwechs. Muskuloskelet. Erkrank. 29, 42–48. (Übersichtsarbeit in voller Länge)

[7] Ververidis et al. (2019) Surgical modalities for the management of bone marrow edema of the knee joint. J Orthop.;17:30-37. (Übersichtsarbeit in voller Länge)

[8] PatientenInfoService. Gebrauchsinformationsverzeichnisch Deutschland
Ilomedin® 20 µg/1 ml Konzentrat zur Herstellung einer Infusionslösung. Abgerufen am 16.8.2023 unter www.patienteninfo-service.de

  • 27.10.2023: Erste Veröffentlichung des Faktenchecks

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