Dieser Beitrag ist älter als vier Jahre, möglicherweise hat sich die Studienlage inzwischen geändert.

HIV-Selbsttest: Mehr Wissen durch neues Angebot

Die WHO hofft, dass mit Hilfe von HIV-Selbsttests mehr Menschen über ihren HIV-Status Bescheid wissen. Diese Hoffnung ist wahrscheinlich berechtigt.

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Bewirkt das zusätzliche Angebot von HIV-Selbsttests, dass mehr Menschen einen HIV-Test absolvieren?

Die aktuelle Studienlage liefert sehr deutliche Hinweise darauf, dass das zusätzliche Angebot von HIV-Selbsttests dazu führt, dass mehr Menschen einen HIV-Test absolvieren. Unter anderem greifen auch Personen auf dieses Angebot zurück, für die aus verschiedenen Gründen Tests an Gesundheitseinrichtungen durch Fachpersonal nicht akzeptabel sind.

so arbeiten wir
© Anton Gvozdikov - Shutterstock.com Einige Menschen sind mit HIV infiziert, ohne davon zu wissen. Der HIV-Selbttest soll das ändern.
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Weltweit sind etwa 40 Millionen Menschen HIV-positiv. Schätzungsweise 25 bis 40 Prozent der Infizierten wissen nicht über ihren HIV-Status Bescheid. Das führt dazu, dass sie keine wirksame medizinische Behandlung erhalten – eine so genannte „antiretrovirale Therapie“ [10,12,13].

Wissens ermöglicht Handeln

Diese Behandlung verhindert ein Fortschreiten der Erkrankung und das Ausbrechen von AIDS. Durch Medikamente können die HI-Viren so stark zurückgedrängt werden, dass auch die Ansteckung anderer Menschen verhindert wird.

Das heißt: Um die eigene Gesundheit und die von anderen Menschen schützen zu können, ist für HIV-positive Menschen entsprechendes Wissen über ihre Infektion notwendig [10,11,13].

90-90-90

Deswegen haben sich die Vereinten Nationen die „90 – 90 – 90-Ziele“ gesetzt [12,13].

  • Demnach sollen 2020 mindestens 90 Prozent aller HIV-positiven Menschen über ihren Status Bescheid wissen.
  • Von diesen HIV-Positiven wiederum sollen (mindestens) 90 Prozent eine langfristige Therapie erhalten.
  • Und 90 Prozent der Behandelten sollen dadurch die Viren so gut „unterdrücken“, dass bei Labortests der Erreger nicht mehr nachzuweisen ist.

Schnell und selbstbestimmt

Einen Beitrag zu den 90-90-90-Zielen sollen HIV-Selbsttests leisten. Diese Tests kann jede Person selbst durchführen, zum Beispiel zuhause oder, wenn gewünscht, nach einer Erklärung in einer Gesundheitseinrichtung. Es reicht ein wenig Speichel oder ein kleiner Blutstropfen.

Das Ergebnis ist innerhalb von wenigen Minuten ablesbar. Deswegen zählen diese Selbsttests auch zu den „Rapid Tests“.

HIV-Selbsttests werden als diskret und praktisch angesehen und als Möglichkeit, selbstbestimmt Wissen über die eigene Gesundheit zu erwerben. Selbsttests sind in anderen Gebieten längst gang und gäbe: zum Beispiel Schwangerschaftstests oder Blutzuckertests.

Die Verlässlichkeit von durch Laien durchgeführten HIV-Selbsttests dürfte vergleichbar sein mit jener von Rapid-Tests durch geschultes Personal an einem Gesundheitszentrum. Wichtig dabei ist, dass die Durchführung und Ergebnisinterpretation für Laien geeignet ist – und dass es stets die Möglichkeit der Betreuung durch Profis gibt [10-15].

Repertoire erweitern, Testlücken füllen

Eine Hoffnung ist, dass jene Menschen HIV-Selbsttests nutzen, die konventionelle HIV-Tests durch Gesundheitspersonal nicht in Anspruch nehmen können oder wollen.

Die Gründe für das Nicht-Testen sind vielfältig: Das Testen auf HIV in einer spezialisierten Gesundheitseinrichtung kann mit Angst, Scham und mangelnder Privatsphäre verbunden sein. Auch Kosten, Zeitdruck und Erreichbarkeit können ein Hemmnis sein. Zum Beispiel bei Personen, die aufgrund von riskanten Sexualkontakten regelmäßig testen sollten [10,11].

Erweitertes Angebot – mehr Tests?

Wir haben uns gefragt, ob HIV-Selbsttests einen deutlichen Beitrag dazu leisten können, dass global gesehen mehr Menschen HIV-Tests machen.

Dazu haben wir die besten verfügbaren Studien ausgewertet [1-9]. Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern wurde ein gratis HIV-Test zum Selbermachen angeboten – oder ein ebenfalls kostenfreier Standardtest durch Gesundheitspersonal.

HIV-Selbsttests sind attraktiv

Insgesamt kommen die neun internationalen Studien zu dem Ergebnis, dass das Angebot von HIV-Selbsttests wahrscheinlich dazu führt, dass mehr Menschen einen HIV-Test absolvieren. Dieses Ergebnis halten wir, weil die Studien zumeist recht solide waren, für ziemlich verlässlich. Etwas eingeschränkt ist die Verlässlichkeit durch ein gewisses Verzerrungsrisiko, und die Test-„Begeisterung“ steigt wohl je nach Bevölkerungsgruppe unterschiedlich stark an.

An den von uns ausgewerteten Studien haben über 22.000 Erwachsene aus Afrika und Nordamerika teilgenommen. Sie stammten zum Großteil aus der Allgemeinbevölkerung.

Wir können nicht sicher sagen, ob die Ergebnisse dieser Studien genau auf die Bevölkerung in Österreich übertragbar sind. Wir halten es allerdings für plausibel, dass auch hierzulande durch die Angebotserweiterung mehr Menschen erreicht werden könnten.

Es gibt diverse HIV-Tests. Dafür sind Blut- oder Speichelproben notwendig. Manche Tests spüren in diesen Flüssigkeiten Antikörper auf, die der Körper gegen das Virus gebildet hat. Andere zeigen an, ob sich darin Bestandteile des HI-Virus befinden.

Manche Tests sind aufwändig und müssen in einem Labor von Fachpersonal durchgeführt werden. Rapid-Tests hingegen liefern schnellere Ergebnisse. Dazu zählen auch die HIV-Selbsttests, die zuhause durch Laien möglich sind.

Die Aussagekraft von HIV-Tests ist normalerweise sehr hoch. Zumindest bei einer schon länger bestehenden („chronischen“) Infektion gibt es nur selten falsch-positive bzw. falsch-negative Ergebnisse.

Die Verlässlichkeit der Ergebnisse bei durch Laien durchgeführten HIV-Selbsttests dürfte ähnlich hoch sein wie bei Rapid-Tests durch Fachpersonal an einem Gesundheitszentrum [11].

Kritischer ist es, wenn die Ansteckung erst kürzlich erfolgt ist und die Infektion akut ist. In den ersten Wochen und Monaten der Infektion kann ein HIV-Test fälschlicherweise ein negatives Ergebnis anzeigen.

Egal, welche Art von HIV-Test durchgeführt wurde: Wenn das erste Testergebnis auf eine Infektion hinweist, ist es immer notwendig, jedenfalls weitere Tests durch Fachpersonal zur Bestätigung durchzuführen.

HIV-Selbsttests sind neben Österreich in 27 Ländern weltweit erhältlich (Stand: Juni 2018), Tendenz rasch steigend [10-15].

Die Studien im Detail

Wir haben nach den besten verfügbaren Studien zu diesem Thema gesucht. Wir haben neun randomisiert-kontrollierte Studien ausgewertet [1-9].

In all diesen Studien gab es mindestens zwei etwa gleich große Gruppen. Auf diese Gruppen wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmern nach dem Zufallsprinzip aufgeteilt.

Eine Gruppe bekam das „übliche“ Angebot, also etwa einen Einladungsbrief zu einem HIV-Test an einer Gesundheitseinrichtung und Standardinformation rund um HIV. Die andere Gruppe bekam zusätzlich dazu auch noch ein oder zwei HIV-Tests zum Selbstdurchführen per Speichelprobe in die Hand gedrückt oder per Post direkt nach Hause geschickt. Die Tests sollten sie selbst verwenden oder an ihre Partner weitergeben. Am Ende wurde erhoben, in welcher Gruppe sich mehr Menschen für einen Test entschlossen hatten.

Alle Studien wurden zwischen 2015 und 2017 durchgeführt – in Uganda, Sambia, Südafrika, Malawi, Kenia und in den USA. Teilgenommen haben an den Vergleichen über 22.000 Erwachsene. Darunter waren die Partner von werdenden Müttern, LKW-Fahrer, Sexarbeiterinnen, Patientinnen und Patienten einer Notaufnahme sowie Männer mit gleichgeschlechtlichen Sexualkontakten. Die Aktualität und die Vielfalt der Studien zeugt von großem wissenschaftlichem Interesse und von der gesundheitspolitischen Bedeutung der HIV-Selbsttests.

In den Studien wurde zumeist von einem positiven Effekt berichtet. Ein um Selbsttests erweitertes Angebot dürfte also global dazu führen, dass mehr Menschen einen HIV-Test machen.

Interessanterweise war die Zunahme an Tests für die Bevölkerungsgruppen recht unterschiedlich: Die deutlichsten Zuwächse gab es bei den Partnern von werdenden Müttern. Eher wenig bis keine Steigerung gab es bei weiblichen Sexarbeiterinnen und Frauen aus der Allgemeinbevölkerung.

Wie die Forschungsteams diese Unterschiede interpretieren? Offenbar führt das Angebot von HIV-Selbsttests vor allem in jenen Gruppen zu mehr Tests, die das bereits bestehende Angebot nur wenig nutzen.

Diese Ergebnisse sind mit einer gewissen Unsicherheit behaftet. Einerseits könnten sie verzerrt sein, weil sich die Forscherinnen und Forscher von den wahrheitsgemäßen Berichten der Teilnehmenden abhängig waren. Andererseits wussten Teilnehmende und Studienpersonal über die Gruppenzuteilung Bescheid – dieses Wissen kann gewisse Erwartungen und Verhaltensweisen hervorgerufen und das Ergebnis verzerrt haben. Die beiden Studien aus den USA [8,9] waren zudem nur klein und hatten Pilotcharakter.

[1] Chanda u.a. (2017)
Chanda MM, Ortblad KF, Mwale M, Chongo S, Kanchele C, Kamungoma N, Fullem A, Dunn C, Barresi LG, Harling G, Bärnighausen T, Oldenburg CE. HIV self-testing among female sex workers in Zambia: A cluster randomized controlled trial. PLoS Med. 2017 Nov 21;14(11):e1002442. (Zusammenfassung der Studie)

[2] Choko u.a. (2019)
Choko AT, Corbett EL, Stallard N, Maheswaran H, Lepine A, Johnson CC, Sakala D, Kalua T, Kumwenda M, Hayes R, Fielding K. HIV self-testing alone or with additional interventions, including financial incentives, and linkage to care or prevention among male partners of antenatal care clinic attendees in Malawi: An adaptive multi-arm, multi-stage cluster randomised trial. PLoS Med. 2019 Jan
2;16(1):e1002719. (Zusammenfassung der Studie)

[3] Gichangi u.a. (2018)
Gichangi A, Wambua J, Mutwiwa S, Njogu R, Bazant E, Wamicwe J, Wafula R, Vrana CJ, Stevens DR, Mudany M, Korte JE. Impact of HIV Self-Test Distribution to Male Partners of ANC Clients: Results of a Randomized Controlled Trial in Kenya. J Acquir Immune Defic Syndr. 2018 Dec 1;79(4):467-473. (Zusammenfassung der Studie)

[4] Kelvin u.a. (2018)
Kelvin EA, George G, Mwai E, Nyaga E, Mantell JE, Romo ML, Odhiambo JO, Starbuck L, Govender K. Offering self-administered oral HIV testing to truck drivers in Kenya to increase testing: a randomized controlled trial. AIDS Care. 2018 Jan;30(1):47-55. (Zusammenfassung der Studie)

[5] Masters u.a. (2016)
Masters SH, Agot K, Obonyo B, Napierala Mavedzenge S, Maman S, Thirumurthy H. Promoting Partner Testing and Couples Testing through Secondary Distribution of HIV Self-Tests: A Randomized Clinical Trial. PLoS Med. 2016 Nov 8;13(11):e1002166. (Zusammenfassung der Studie)

[6] Mulubwa u.a. (2019)
Mulubwa C, Hensen B, Phiri MM, Shanaube K, Schaap AJ, Floyd S, Phiri CR, Bwalya C, Bond V, Simwinga M, Mwenge L, Fidler S, Hayes R, Mwinga A, Ayles H; HPTN 071 (PopART) Study Team. Community based distribution of oral HIV self-testing kits in Zambia: a cluster-randomised trial nested in four HPTN 071 (PopART) intervention communities. Lancet HIV. 2019 Feb;6(2):e81-e92. (Zusammenfassung der Studie)

[7] Ortblad u.a. (2017)
Ortblad K, Kibuuka Musoke D, Ngabirano T, Nakitende A, Magoola J, Kayiira P, Taasi G, Barresi LG, Haberer JE, McConnell MA, Oldenburg CE, Bärnighausen T. Direct provision versus facility collection of HIV self-tests among female sex workers in Uganda: A cluster-randomized controlled health systems trial. PLoS Med. 2017 Nov 28;14(11):e1002458. (Zusammenfassung der Studie)

[8] Wray u.a. (2018)
Wray TB, Chan PA, Simpanen E, Operario D. A Pilot, Randomized Controlled Trial of HIV Self-Testing and Real-Time Post-Test Counseling/Referral on Screening and Preventative Care Among Men Who Have Sex with Men. AIDS Patient Care STDS. 2018 Sep;32(9):360-367. (Zusammenfassung der Studie)

[9] Patel u.a. (2019)
Patel AV, Abrams SM, Gaydos CA, Jett-Goheen M, Latkin CA, Rothman RE, Hsieh YH. Increasing HIV testing engagement through provision of home HIV self-testing kits for patients who decline testing in the emergency department: a pilot randomisation study. Sex Transm Infect. 2019 Aug;95(5):358-360. (Zusammenfassung der Studie)

[10] Johnson u.a. (2019)
Johnson CC, Kennedy C, Fonner V, et al. Examining the effects of HIV self-testing compared to standard HIV testing services: a systematic review and meta-analysis. J Int AIDS Soc. 2017;20(1):21594. (Übersichtsarbeit in voller Länge)

[11] Figueroa u.a. (2018)
Figueroa C, Johnson C, Ford N, Sands A, Dalal S, Meurant R, Prat I, Hatzold K, Urassa W, Baggaley R. Reliability of HIV rapid diagnostic tests for self-testing compared with testing by health-care workers: a systematic review and meta-analysis. Lancet HIV. 2018 Jun;5(6):e277-e290. (Übersichtsarbeit in voller Länge)

[12] WHO & Unitaid (2018)
HIV rapid diagnostic tests for self-testing. Abgerufen am 9. 1. 2020 unter www.who.int

[13] WHO (2016)
Guidelines on HIV self-testing and partner notification (supplement). Abgerufen am 9. 1. 2020 unter www.who.int

[14] Dynamed (2019)
HIV Diagnostic Testing. Abgerufen am 9. 1. 2020 unter www.dynamed.com (kostenpflichtig)

[15] Uptodate (2019)
Screening and diagnostic testing for HIV infection. Abgerufen am 9. 1. 2020 unter www.uptodate.com (kostenpflichtig)

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