Spirulina: „Superfood“ ohne Wirkung?

Angeblich ist sie der Booster für die Gesundheit schlechthin: die Blaualge Spirulina. Bisher konnten Studien eine solche Wirkung jedoch nicht nachweisen.

AutorIn:
Review:  Jana Meixner 

Hilft Spirulina bei Übergewicht?

Hat Spirulina eine gesundheitsfördernde Wirkung?

Diversen Studien zufolge soll Spirulina bei Asthma, Allergien, Diabetes oder sogar chronischen Schmerzen helfen, das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen senken oder beim Abnehmen helfen. Aufgrund gravierender Mängel sind die Ergebnisse dieser Studien jedoch nicht vertrauenswürdig.

so arbeiten wir
© misalukic – Fotolia.com Als Nahrungsergänzungsmittel wird die Blaualge Spirulina häufig in Tablettenform angeboten.
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Die Blaualge Spirulina wird als vielfältiges Superfood vermarktet. Angepriesen wird hohe Proteingehalt von rund 60 Prozent sowie in der Alge enthaltene Spurenelemente wie Kalzium, Eisen und Magnesium. Auch Vitamine finden sich in Spirulina, etwa die Vitamin A-Vorstufe Beta-Carotin, sowie viele B-Vitamine [16].

Das beflügelt den Glauben an eine gesundheitsfördernde Wirkung. Mehr als 70.000 Tonnen wurden 2017 weltweit in spezialisierten Aquakultur-Anlagen hergestellt, Tendenz steigend. Ein großer Teil davon wird getrocknet zu Nahrungsergänzungsmitteln verarbeitet, die Alge landet aber auch in Tierfutter oder Kosmetikprodukten.

Schwammige Behauptungen

Die Gesundheits-Mythen rund um Spirulina sind ebenso zahlreich wie unbelegt. Etliche Behauptungen sind überhaupt zu vage, um sie in wissenschaftlichen Studien überprüfen zu können. So soll Spirulina beispielsweise eine „antioxidative Wirkung“ haben oder das Immunsystem „stimulieren“. Was dabei die tatsächliche gesundheitliche Wirkung sein soll, ist jedoch unklar, zu schwammig sind diese Begriffe.

Wirkung von Spirulina unbelegt

Manche Behauptungen sind konkreter und lassen sich auch wissenschaftlich gut untersuchen. So etwa das Versprechen, Spirulina helfe beim Abnehmen überschüssiger Kilos. Bisherige Studien dazu sind jedoch zu mangelhaft und damit zu wenig aussagekräftig, um dies beweisen oder widerlegen zu können [1,2].

Ohne Grundlage ist auch die Behauptung, Spirulina könne die Herzgesundheit erhöhen und das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen verringern. Direkt wurde das bisher gar nicht untersucht, bisherige Studien haben nur eingeschränkt aussagekräftige Risikofaktoren wie Cholesterinspiegel und andere Blutfettwerte untersucht. Diese Studien liefern allerdings keinen klaren Hinweis darauf, dass Spirulina solche Werte beeinflussen kann [3].

Dass Spirulina bei Diabetes helfen kann, ist ein weiterer Mythos. Die vereinzelten Studien, die dazu an Menschen durchgeführt wurden, sind zu mangelhaft, um vertrauenswürdige Ergebnisse liefern zu können [3,13,14]. Auch die Europäische Lebensmittelbehörde EFSA sieht das so und erlaubt daher keine Werbeaussagen, die eine Wirkung von Spirulina bei Diabetes suggerieren [15].

Mythos Vielfältigkeit

Viele weitere Wirkungen werden der Spirulina-Alge nachgesagt, doch für keine davon gibt es Belege in Form von belastbaren Daten. So vermitteln einzelne Forscherinnen und Forscher in ihren Studien den Anschein, Spirulina helfe bei Asthma [4], allergischem Schnupfen [5, 6], chronischen Gelenksschmerzen [7] oder einer nicht-alkoholischen Fettleber [8,9]. Andere behaupten auch eine angebliche leistungssteigernde Wirkung im Sport [10-12].

All diese Untersuchungen sind mangelhaft durchgeführt, zudem fehlen viele Daten, um die Richtigkeit der Resultate überprüfen und nachvollziehen zu können. Für keine der Gesundheits-Behauptungen zu Spirulina finden sich aussagekräftige Studien, die eine Wirkung nachweisen können.

Zu Spirulina finden sich noch zahlreiche weitere wissenschaftliche Arbeiten, die mögliche Wirkungen an Labortieren oder im Reagenzglas untersucht haben. Solche Studien erlauben jedoch keine Aussage über eine Wirkung beim Menschen, denn Wirkstoffe verhalten sich im Reagenzglas oder bei Labortieren anders als im menschlichen Körper.

Zu wenig, um Bedarf zu decken

Spirulina mag zwar mit 60 Prozent viel Protein enthalten – bei einer Spirulina-Tablette von 2 Gramm wären das dennoch nur 1,2 Gramm. Damit müsste eine 60 Kilo schwere Frau zu einer großen Anzahl an Algentabletten greifen, um ihren täglichen Proteinbedarf von 50 Gramm zu decken. Ähnliches gilt auch für den Vitamingehalt der getrockneten Blaualge.

Menschen, die sich vegan ernähren, stoßen auch immer wieder auf die Behauptung, Spirulina wäre eine gute Quelle für Vitamin B12. Dieses Vitamin ist in nennenswerten Mengen nur in tierischen Produkten wie Fleisch, Fisch, Milch und Eiern enthalten. Da vegan lebende Menschen jedoch genau solche Lebensmittel meiden, müssen sie ihren Bedarf an Vitamin B12 anders decken. Spirulina enthält zwar Vitamin B12, allerdings zum Großteil in einer inaktiven Form, die der menschliche Körper nicht verwerten kann und welche zudem die Aufnahme von aktivem Vitamin B12 (Cyanocobalamin) hemmt [17].

Aktualisiert am 23. 2. 2021, ursprünglich veröffentlicht am 24. 5. 2017. In einer Aktualisierungs-Recherche fanden wir neue Forschungsarbeiten zu Gewichtsabnahme, Blutfettwerten und Diabetes zutage [1-3], deren Ergebnisse wir im Text berücksichtigt haben. Sie ändern jedoch nicht unsere Gesamteinschätzung.

Die Studien im Detail

Um den Mythos Spirulina zu überprüfen, haben wir uns auf die Suche nach wissenschaftlichen Belegen gemacht. Dazu haben wir drei große Studiendatenbanken durchforstet (Pubmed, Cochrane Library und Epistemonikos).

Die Studienart mit der höchsten Aussagekraft ist die randomisiert-kontrollierte Studie. Darin werden die Teilnehmenden per Los üblicherweise zwei Gruppen zugeteilt: Eine Gruppe erhält Spirulina – beispielsweise in Tablettenform – und die andere Gruppe gleich aussehende Tabletten ohne Spirulina (Placebo). Haben die Teilnehmenden der Spirulina-Gruppe am Ende der Studie weniger Beschwerden als jene der Vergleichsgruppe, wäre das ein Hinweis darauf, dass die Alge tatsächlich eine gesundheitliche Wirkung hat.

Gewichtsabnahme

Ein Forschungsteam wollte wissen, ob Spirulina Übergewichtigen beim Abnehmen helfen kann und erstellte eine systematische Übersichtsarbeit. Dazu suchte es nach bisher veröffentlichten randomisiert-kontrollierten Studien zu dieser Fragestellung, analysierte die gefundenen Arbeiten und fasste deren Ergebnisse rechnerisch zusammen [1].

Insgesamt fand das Forschungsteam 11 solcher Studien. Deren rechnerischer Zusammenfassung zufolge hat die Spirulina-Gruppe in 12 Wochen zwar rund 1,5 kg mehr Gewicht verloren als die Placebo-Gruppe. Das Ergebnis ist jedoch nicht aussagekräftig. Der Grund: Die Arbeiten sind zu mangelhaft in der Durchführung und die Ergebnisse der einzelnen Studien stark unterschiedlich. Zudem zeigt eine statistische Analyse, dass vermutlich Studien fehlen, die aufgrund negativer Ergebnisse nicht veröffentlicht wurden [1].

Der Bodymass-Index (BMI), der das Körpergewicht relativ zur Körpergröße angibt, veränderte sich der Studienzusammenfassung zudem nicht merkbar. Ob Spirulina bei der Gewichtabnahme helfen kann, lässt sich somit weder beweisen noch widerlegen. Die systematische Übersichtsarbeit [2] einer anderen Forschungsgruppe lässt denselben Schluss zu.

Blutfette

Eine weitere systematische Übersichtsarbeit analysierte fünf Studien, welche die Auswirkung von Spirulina auf den Cholesterinspiegel und die Blutfettwerte (Triglyceride) untersuchten [3]. Die Ergebnisse zeigen weder eine Veränderung des „schlechten“ LDL-Cholesterin-Spiegels noch des „guten“ HDL-Cholesterin-Spiegels. Auch die Triglycerid-Werte sind mit und ohne Spirulina ähnlich. Die Studien sind aufgrund etlicher Mängel jedoch nur bedingt vertrauenswürdig, die Ergebnisse daher wenig verlässlich.

Diabetes

Das Forschungsteam derselben systematischen Übersichtsarbeit [3] fasste auch drei Studien an Diabetes-Erkrankten zusammen. Die zusammengefassten Ergebnisse zeigen keinen Unterschied im Langzeit-Blutzucker-Wert zwischen der Spirulina-Gruppe und der Placebo-Gruppe. Aufgrund von Mängeln in der Studiendurchführung und der sehr geringen Anzahl an insgesamt nur 82 Teilnehmenden sind diese Ergebnisse jedoch nicht aussagekräftig.

Studien zu anderen Behauptungen

Bei unserer Recherche haben wir etliche randomisiert-kontrollierten Studien gefunden, die andere Fragestellungen untersucht haben. Daher waren sie nicht in den drei systematischen Übersichtsarbeiten berücksichtigt.

Randomisiert-kontrollierte Studien sind prinzipiell die aussagekräftigste Form einer wissenschaftlichen Wirksamkeits-Überprüfung. Das trifft jedoch nur zu, wenn die Autorinnen und Autoren dieser Studien wichtige Voraussetzungen beachten. So muss sichergestellt sein, dass sich bereits vor Studienbeginn die Probanden der Spirulina-Gruppe nicht von jenen der Placebogruppe unterscheiden – also beispielsweise nicht anfälliger für Krankheiten sind oder stärker an Beschwerden leiden. In zahlreichen der von uns gefundenen Studien bleibt das aber unklar [4,5,7,10-12]. Eine der Studien definiert zudem nur ungenau, unter welchen Bedingungen Teilnehmer ausgeschlossen worden waren [10].

In zwei weiteren Studien gab es erst gar keine Vergleichsgruppe [8,9]. Eine mögliche Besserung könnte also auch dadurch zustande gekommen sein, dass sich die Erkrankung von alleine gebessert hat oder die Erwartung der Teilnehmer dazu geführt hat. Einen solchen Einfluss der Erwartungshaltung nennen Fachleute Placebo-Effekt. Er lässt sich am besten verhindern, wenn die Teilnehmer im Unklaren darüber gelassen werden, ob sie der Spirulina-Gruppe oder der Placebo-Gruppe zugeteilt worden sind. Auch das war bei mehreren Studien nicht der Fall [4,10,13,14].

Dass Spirulina eine gesundheitliche Wirkung hat, lässt sich nur beweisen, wenn sich tatsächlich Beschwerden wie Schmerzen oder Krankheitssymptome gebessert haben. In einigen Studien wurden lediglich Blutwerte gemessen [6,11,14]. Ob es den Teilnehmern tatsächlich besser gegangen ist, können solche Laborwerte jedoch nicht sagen.

Eine Studie definiert nur ungenau, unter welchen Bedingungen Teilnehmer ausgeschlossen Insgesamt sind alle Studien zu mangelhaft, um vertrauenswürdige Aussagen zu einer möglichen Wirkung von Spirulina zu erlauben.

[1] Zarezadeh u.a. (2020)
Zarezadeh M, Faghfouri AH, Radkhah N, Foroumandi E, Khorshidi M, Rasouli A, Zarei M, Mohammadzadeh Honarvar N, Hazhir Karzar N, Ebrahimi Mamaghani M. Spirulina supplementation and anthropometric indices: A systematic review and meta-analysis of controlled clinical trials. Phytother Res. 2020 Sep 23. (Zusammenfassung der Übersichtsarbeit)

[2] Moradi u.a. (2019)
Moradi S, Ziaei R, Foshati S, Mohammadi H, Nachvak SM, Rouhani MH. Effects of Spirulina supplementation on obesity: A systematic review and meta-analysis of randomized clinical trials. Complement Ther Med. 2019 Dec;47:102211. (Zusammenfassung der Übersichtsarbeit)

[3] Huang u.a. (2018)
Huang H, Liao D, Pu R, Cui Y. Quantifying the effects of spirulina supplementation on plasma lipid and glucose concentrations, body weight, and blood pressure. Diabetes Metab Syndr Obes. 2018 Nov 14;11:729-742. (Übersichtsarbeit in voller Länge)

[4] Labhe u.a. (2001)
Labhe RU, Mani UV, Iyer UM, Mishra M, Jani K, Bhattacharya A. The effect of spirulina in the treatment of bronchial asthma. Journal of nutraceuticals, functional & medical foods. 2001 Sep 1;3(4):53-60. (Zusammenfassung der Studie)

[5] Cingi u.a. (2008)
Cingi C, Conk-Dalay M, Cakli H, Bal C. The effects of spirulina on allergic rhinitis. Eur Arch Otorhinolaryngol. 2008 Oct;265(10):1219-23. (Zusammenfassung der Studie)

[6] Mao u.a. (2005)
Mao TK, Van de Water J, Gershwin ME. Effects of a Spirulina-based dietary
supplement on cytokine production from allergic rhinitis patients. J Med Food. 2005 Spring;8(1):27-30. (Zusammenfassung der Studie)

[7] Jensen u.a. (2016)
Jensen GS, Drapeau C, Lenninger M, Benson KF. Clinical Safety of a High Dose of Phycocyanin-Enriched Aqueous Extract from Arthrospira (Spirulina) platensis: Results from a Randomized, Double-Blind, Placebo-Controlled Study with a Focus on Anticoagulant Activity and Platelet Activation. J Med Food. 2016 Jul;19(7):645-53. (Studie in voller Länge)

[8] Mazokopakis u.a. (2014a)
Mazokopakis EE, Papadomanolaki MG, Fousteris AA, Kotsiris DA, Lampadakis IM, Ganotakis ES. The hepatoprotective and hypolipidemic effects of Spirulina (Arthrospira platensis) supplementation in a Cretan population with non-alcoholic fatty liver disease: a prospective pilot study. Ann Gastroenterol. 2014;27(4):387-394. (Zusammenfassung der Studie)

[9] Mazokopakis u.a. (2014b)
Mazokopakis EE, Starakis IK, Papadomanolaki MG, Mavroeidi NG, Ganotakis ES. The hypolipidaemic effects of Spirulina (Arthrospira platensis) supplementation in a Cretan population: a prospective study. J Sci Food Agric. 2014 Feb;94(3):432-7. (Zusammenfassung der Studie)

[10] Johnson u.a. (2016)
Johnson M, Hassinger L, Davis J, Devor ST, DiSilvestro RA. A randomized, double blind, placebo controlled study of spirulina supplementation on indices of mental and physical fatigue in men. Int J Food Sci Nutr. 2016;67(2):203-6. (Zusammenfassung der Studie)

[11] Kalafati u.a. (2010)
Kalafati M, Jamurtas AZ, Nikolaidis MG, Paschalis V, Theodorou AA, Sakellariou GK, Koutedakis Y, Kouretas D. Ergogenic and antioxidant effects of spirulina supplementation in humans. Med Sci Sports Exerc. 2010 Jan;42(1):142-51. (Zusammenfassung der Studie)

[12] Lu u.a. (2006)
Lu HK, Hsieh CC, Hsu JJ, Yang YK, Chou HN. Preventive effects of Spirulina platensis on skeletal muscle damage under exercise-induced oxidative stress. Eur J Appl Physiol. 2006 Sep;98(2):220-6. (Zusammenfassung der Studie)

[13] Lee u.a. (2008)
Lee EH, Park JE, Choi YJ, Huh KB, Kim WY. A randomized study to establish the effects of spirulina in type 2 diabetes mellitus patients. Nutr Res Pract. 2008 Winter;2(4):295-300. (Studie in voller Länge)

[14] Parikh u.a. (2001)
Parikh P, Mani U, Iyer U. Role of Spirulina in the Control of Glycemia and Lipidemia in Type 2 Diabetes Mellitus. J Med Food. 2001 Winter;4(4):193-199. (Zusammenfassung der Studie)

[15] EFSA (2010)
EFSA Panel on Dietetic Products, Nutrition and Allergies (NDA); Scientific Opinion on the substantiation of health claims related to various food(s)/food constituent(s) claiming maintenance of normal blood glucose concentrations (ID 1987, 2091, 2135, 2179, 2335, 2461, 2642, 3145, 3230, 3244, 3258, 3291, 3345, 3375, 3408, 3438, 3457, 3471, 3528, 3534, 3540, 3554, 3557, 3583, 3625, 3628, 3730, 3782, 3851, 3971, 4034, 4043) pursuant to Article 13(1) of Regulation (EC) No 1924/2006. EFSA Journal 2010; 8(2):1490. [17 pp.] (Artikel in voller Länge)

[16] BLS 3.02
Bundeslebensmittelschlüssel Ausgabe 3.02, Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft Deutschland. Abgerufen am 23. 2. 2021 über Nut.s

[17] UpToDate (2015)
Demory-Luce D, Motil KJ (2015). Vegetarian diets for children. In Hoppin AG (ed.). UpToDate. Abgerufen am 22. 2. 2021 unter www.uptodate.com

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