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Radon bei Rheuma: geringe Wirkung wahrscheinlich nicht spürbar

Kuren mit Radon werden intensiv beworben. Dass das radioaktive Gas die belastenden Gelenksschmerzen bei Rheuma spürbar lindern kann, ist jedoch wenig wahrscheinlich.

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Kann eine Therapie mit dem radioaktiven Gas Radon Schmerzen bei Rheuma-bedingten Gelenksentzündungen (rheumatoider Arthritis) spürbar lindern?

In zwei kleinen Studien hat eine Radon-Kur die Schmerzen innerhalb von sechs Monaten so geringfügig gelindert, dass die Wirkung wahrscheinlich nicht spürbar ist.

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© And-One - shutterstock.com Gelenksentzündungen bei Rheuma können eine große Belastung sein
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Wer bei einer Kur mit Radon gegen Rheuma-Schmerzen vorgehen möchte, hat etliche Optionen: zum Beispiel Schwimmen in Radon-haltigem Thermalwasser, Schwitzen im Dampfbad oder eine Liegekur im Bergwerksstollen. Denn überall dort kommt das radioaktive Gas natürlicherweise vor.

Ob Becken, Stollen oder Dampfbad: Radon soll Schmerzen und andere Beschwerden bei Rheuma-bedingten Gelenksentzündungen (rheumatoide Arthritis) lindern und so den Alltag von Betroffenen erleichtern.

Nicht heilen, aber lindern: mit Radon?

An Rheuma-bedingten Gelenksentzündungen leidet etwa ein Prozent der Erwachsenen. Meist beginnt die Erkrankung nach dem 50. Lebensjahr, bei Frauen ist sie doppelt so häufig wie bei Männern [2]. Rheuma schreitet langsam fort und kann sehr belastend sein. Eine Heilung gibt es bislang nicht.

Verständlich daher, dass Betroffene nach Möglichkeiten suchen, um ihre Beschwerden zu lindern. Kann das radioaktive Gas Radon dazu beitragen, dass sich ihre Gelenksentzündungen bessern? Wir haben nach wissenschaftlichen Beweisen gesucht.

Keine spürbare Besserung

Wir haben starke Hinweise darauf gefunden, dass dies nicht funktioniert. Eine Kur mit Radon scheint Gelenksschmerzen bei Rheuma nicht so gut lindern zu können, dass die Beschwerden sich merklich bessern. Zu dieser enttäuschenden Einschätzung kommt eine Forschungsgruppe des unabhängigen Cochrane-Netzwerks in einer Analyse bisher durchgeführter Studien [1].

Bisher wurden dazu offenbar erst zwei aussagekräftige Studien durchgeführt.

In den beiden Studien nahmen 194 Patientinnen und Patienten mit Rheuma-bedingten Gelenksentzündungen regelmäßig Bäder in Gas-haltigem warmem Wasser. Nur bei der Hälfte der Testpersonen war neben Kohlensäure auch Radon im Badewasser, bei den anderen nur Kohlensäure.

Die Testpersonen aus der Radon-Gruppe hatten zwar einen kleinen rechnerischen Vorteil, aber keine für sie spürbare Linderung der Beschwerden – weder unmittelbar nach der Behandlung noch sechs Monate später [1]. Daraus schließen wir, dass eine Radon-Kur Gelenksschmerzen bei Rheuma wahrscheinlich nicht bessern kann.

Keine Gewissheit

Für ein wirklich gut abgesichertes Ergebnis ist die Anzahl der teilnehmenden Personen allerdings zu klein. Denn insgesamt wurden nur knapp 200 Männer und Frauen untersucht. Gewissheit können nur zukünftige größere Studien liefern.

Das gilt auch für mögliche Nebenwirkungen des radioaktiven Gases – selbst wenn in beiden Studien keine negativen Auswirkungen dokumentiert worden sind [1].

Radioaktives Risiko

Radon kommt natürlich, also ganz ohne Zutun des Menschen, im Boden und im Grundwasser vor. Es ist ein farb- und geruchsloses Gas – und zudem radioaktiv.

Die Belastung mit Radioaktivität ist bei einer einmaligen Radon-Kur vergleichsweise gering. Messungen im österreichischen Kurort Bad Gastein zufolge beträgt sie bei einer Kur (20 Radon-Bäder à 20 Minuten) etwa 0,8 mSv (Millisievert) [4]. Diese kommt zur natürlichen Strahlenbelastung von 4,3 mSv pro Jahr hinzu, der Menschen in Österreich im Durchschnitt ausgesetzt sind. Diese stammt größtenteils aus natürlicher Strahlung aus dem Weltall, medizinischen Untersuchungen mit Röntgenstrahlung und Radon [5].

Eine Kur im Heilstollen von Bad Gastein mit 12 zweistündigen Aufenthalten bedeutet eine zehnfach so hohe Belastung mit Radioaktivität wie eine Bäderkur – sie beträgt etwa 8 mSv [4].

In höherer Dosis kann radioaktive Strahlung jedoch Krebs verursachen. Daher dürfen etwa Personen, die im Beruf mit Radioaktivität zu tun haben, nach österreichischer Strahlenschutzverordnung höchstens 20 mSv pro Jahr ausgesetzt sein [6]. Über das gesamte Berufsleben gilt eine Summe von mehr als 400 mSv als gesundheitlich bedenklich [7].

Ab welcher Dosis Radioaktivität das Krebsrisiko bewiesenermaßen erhöht, ist nur schlecht erforscht [8]. Daher können diese Zahlen nur Anhaltspunkte für eine eigene Abwägung des Risikos geben.

Entzündete Gelenke

Bei Rheuma greift das eigene Immunsystem den Körper an. Dies führt zu dauerhaften Entzündungen in den Gelenken. Typische Folgen sind Schmerzen, Erschöpfung und Kraftlosigkeit. Die Erkrankung kann Betroffene sehr belasten und stark in ihrem Alltag einschränken.

Auch wenn sich die chronische Krankheit nicht heilen lässt, gibt es Möglichkeiten, ihr Fortschreiten zeitweise aufzuhalten oder zumindest zu bremsen. Physiotherapie und Sport sollen helfen, um Beweglichkeit und Funktion der Gelenke zu erhalten oder zu verbessern. Verschiedene Medikamente können die Entzündungen hemmen, das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen sowie Schmerzen und Schwellungen lindern [2].

Weitere Informationen rund um Rheuma bietet das unabhängige Portal www.gesundheitsinformation.de des deutschen IQWIG (Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesens).

Die Studien im Detail

Ob Radon Schmerzen bei rheumatoider Arthritis wirksam lindern kann, ist nur begrenzt erforscht. Eine internationale Forschungsgruppe des unabhängigen Wissenschaftsnetzwerks Cochrane konnte im Dezember 2014 trotz aufwändiger Recherche in mehreren Literaturdatenbanken lediglich zwei aussagekräftige Studien dazu aufspüren. Bei unserer eigenen Suche konnte wir keinen aktuelleren Studien finden, die danach veröffentlicht wurden.

Beide Studien wurden von einem Forschungsteam aus Deutschland durchgeführt. Es untersuchte insgesamt 194 Männer und Frauen mit rheumatoider Arthritis. Die Testpersonen hatten ein Durchschnittsalter von 57 Jahren und waren für drei bis vier Wochen im deutschen Bad Brambach.

In diesem Zeitraum badeten alle Testpersonen insgesamt 15 Mal für je 20 Minuten – und zwar in warmem Thermalwasser, aufgeteilt auf zwei Gruppen. Dabei gab es einen wichtigen Unterschied: Während das Badewasser der einen Gruppe Radon und Kohlensäure enthielt, befand sich im Wasser der anderen Hälfte nur Kohlensäure, aber kein Radon.

Die Zuteilung der Testpersonen auf die beiden Gruppen war per Los erfolgt. Dabei hatte die Forschungsgruppe darauf geachtet, dass niemand wusste, wer in Radonwasser badete (und wer nicht). Das stellte sicher, dass Erwartungen hinsichtlich (Un-)Wirksamkeit das Ergebnis nicht verfälschten.

Kein merklicher Unterschied

Die Stärke ihrer Gelenksschmerzen schätzten die Teilnehmenden auf einer Skala von 0 bis 100 ein. Null stand dabei für keine, 100 für größtmögliche Schmerzen. Direkt nach der Behandlung sowie drei Monate nach Studienbeginn unterschieden sich die Schmerzeinschätzungen der beiden Gruppen in den zwei Studien nicht.

Sechs Monate nach Studienbeginn zeigte sich zwar rein rechnerisch ein Unterschied: die mit Radon behandelten Testpersonen schätzten ihre Schmerzen um durchschnittlich 9,6 Punkte geringer ein als die andere Gruppe.

Fachleute gehen jedoch davon aus, dass erst ein Unterschied von mindestens 15 Punkten für die Betroffenen wahrnehmbar ist [1]. Ein Unterschied von 9,6 Punkten ist demnach zu klein, um für Betroffene eine Rolle zu spielen und eine spürbare Erleichterung im Alltag darzustellen.

Eingeschränkte Aussagekraft

Im Großen und Ganzen entsprechen beide Studien anerkannten wissenschaftlichen Standards. Lediglich bei der kleineren Studie ist die Aussagekraft etwas eingeschränkt, weil nur die Daten von 56 der 60 Teilnehmenden berücksichtigt worden waren [1].

Mit insgesamt 194 untersuchten Männern und Frauen ist die Anzahl der Teilnehmenden allerdings zu klein für ein wirklich gesichertes Ergebnis, das auf andere Personen übertragen werden kann.

Für verlässliche Resultate wären größere Studien nötig. Erst ab etwa 300 bis 400 Testpersonen wird die Auswirkung des Zufalls auf das Ergebnis vernachlässigbar [9].

[1] Verhagen u.a. (2015)
Studientyp: Systematische Übersichtsarbeit
Analysierte Studien: u.a. 2 randomisiert-kontrollierte Studien zu Radon
Teilnehmende insgesamt: 194 Männer und Frauen mit rheumatoider Arthritis in diesen 2 Studien
Fragestellung: Hilft u.a. Radon-Therapie bei rheumatoider Arthritis?
Interessenskonflikte: keine laut Autorin und Autoren

Verhagen AP, Bierma-Zeinstra SM, Boers M, Cardoso JR, Lambeck J, de Bie R, de Vet HC. Balneotherapy (or spa therapy) for rheumatoid arthritis. Cochrane Database Syst Rev. 2015 Apr 11;(4):CD000518. (Zusammenfassung der Übersichtsarbeit)

Weitere Quellen

[2] IQWIG (2016)
Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. Rheumatoide Arthritis. Abgerufen am 14. 12. 2018 unter https://www.gesundheitsinformation.de/rheumatoide-arthritis.2222.de.html

[3] UpToDate (2018)
Mannino DM. Cigarette smoking and other possible risk factors for lung cancer. In Vora SR (ed.). UpToDate. Abgerufen am 17.12.2018 unter https://www.uptodate.com/contents/cigarette-smoking-and-other-possible-risk-factors-for-lung-cancer

[4] Hofmann (1997)
Hofmann W. Radon doses compared to X-ray doses. In: Pratzel HG, Deetjen P, eds. Radon in der Kurortmedizin. Geretsried: ISMH 1997: 57-67. Zitiert aus Franke A, Reiner L, Pratzel HG, Franke T, Resch KL. Long-term efficacy of radon spa therapy in rheumatoid arthritis–a randomized, sham-controlled study and follow-up. Rheumatology (Oxford). 2000 Aug;39(8):894-902. (Zusammenfassung der Studie)

[5] BMLFUW (2015)
Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft. Radon in Österreich: Vorkommen – Wirkung – Schutz. Abgerufen am 18. 12. 2018 unter https://www.bmnt.gv.at/dam/jcr:0b263881-9681-4adf-853a-240d565704b5/40_Radon_Broschuere.pdf

[6] RIS (2018)
Rechtsinformationssystem des Bundes. Bundesrecht konsolidiert: Gesamte Rechtsvorschrift für Allgemeine Strahlenschutzverordnung, Fassung vom 19.12.2018. Abgerufen am 19. 12. 2018 unter https://www.ris.bka.gv.at/GeltendeFassung.wxe?Abfrage=Bundesnormen&Gesetzesnummer=20004773

[7] Deutsches Bundesamt für Strahlenschutz (2017)
Grenzwerte im Strahlenschutz. Abgerufen am 19. 12. 2018 unter https://www.bfs.de/DE/themen/ion/strahlenschutz/grenzwerte/grenzwerte.html

[8] UpToDate (2018)
Lee CI, Elmore JG. Radiation-related risks of imaging. In Lee SI (ed.). UpToDate. Abgerufen am 19. 12. 2018 unter https://www.uptodate.com/contents/radiation-related-risks-of-imaging

[9] Guyatt u.a. (2011)
Guyatt GH, Oxman AD, Kunz R, et al. GRADE guidelines 6. Rating the quality of evidence–imprecision. J Clin Epidemiol. 2011 Dec;64(12):1283-93. (Zusammenfassung)

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