Misteltherapie bei Krebs fragwürdig

Die Misteltherapie kommt manchmal als ergänzende Therapie in der Krebsbehandlung zum Einsatz. Wissenschaftlich belegt ist ihre Wirksamkeit jedoch nicht.

AutorIn:

Hilft die Misteltherapie gegen Krebs oder kann sie die Lebensqualität von Krebskranken verbessern?

Die Misteltherapie bei Krebs wurde zwar in einigen Studien untersucht. Diese sind jedoch sehr mangelhaft und kommen zu uneinheitlichen Ergebnissen. Eine Wirksamkeit der Misteltherapie können sie nicht belegen. Zudem besteht der Verdacht, dass Mistelpräparate bei manchen Krebsarten das Tumorwachstum sogar anregen könnten.

so arbeiten wir
© Dušan Zidar - Fotolia.com Über 100 Jahre alt: der Mythos von der Mistel als Anti-Krebsmittel.
© Dušan Zidar – Fotolia.com

Im Kampf gegen Krebs wollen Erkrankte meist nichts unversucht lassen. Auch die Nachfrage nach naturheilkundlichen Behandlungen ist groß – etwa als Ergänzung zur Chemotherapie. Einzelne Ärztinnen und Ärzte bieten zusätzlich zu herkömmlichen Behandlungen eine Misteltherapie an. Dabei werden Präparate aus dem Extrakt der europäischen Mistel unter die Haut gespritzt. Diese sollen das Immunsystem im Kampf gegen den Krebs stärken, Nebenwirkungen der Chemotherapie verringern und die Lebensqualität der Betroffenen steigern. Medizinische Fachgesellschaften empfehlen die Misteltherapie derzeit nicht – aus Mangel an wissenschaftlichen Beweisen (Stand Juli 2023) [5].

Leben Erkrankte länger, wenn sie mit Mistel-Extrakt behandelt werden? Und erhöht die Misteltherapie die Lebensqualität und das Wohlbefinden der Patentinnen und Patienten? Wir wollten uns selbst ein Bild machen und haben in verschiedenen Datenbanken nach Studien gesucht.

Wirksamkeit unklar – trotz etlicher Studien

Unsere Recherche zeigte: Die verfügbaren Studien sind zwar zahlreich, aber viel zu mangelhaft und zu wenig aussagekräftig für ein sicheres Ergebnis [1-4]. In den meisten Studien schien die Mistel-Therapie die Lebenszeit zwar eher nicht zu verlängern [2,3]. Um mit Sicherheit sagen zu können, die Therapie wirke nicht, wären jedoch gute Studien nötig – und die sind Mangelware.

Mehr Wohlbefinden durch Misteltherapie: nur Placebo-Effekt?

Ähnliches gilt für die behauptete Verbesserung der Chemotherapie-Verträglichkeit und damit der Lebensqualität von Betroffenen. Auch hier fehlen aussagekräftige Hinweise auf eine solche Wirkung.

Zwar gaben die Teilnehmenden in einem großen Teil der analysierten Studien an, sich mit Misteltherapie besser zu fühlen [1,4]. Diese Studien hatten allerdings einen großen Mangel: Den Teilnehmenden war bewusst, ob sie Mistel-Extrakt bekamen oder nicht. Die Erwartung einer Wirkung kann bereits dazu geführt haben, dass sich die Teilnehmenden besser fühlten. Der sogenannte Placebo-Effekt kann die Ergebnisse stark verzerren – besonders dann, wenn es um das sehr subjektive Wohlbefinden geht.

Misteltherapie: Vorsicht bei manchen Krebs-Formen

Während Nachweise einer Wirksamkeit trotz langjähriger Forschung fehlen, liefern manche Laborversuche Hinweise darauf, dass Mistelpräparate sogar Schaden anrichten könnten. Es besteht der Verdacht, sie könnten das Tumorwachstum in manchen Fällen beschleunigen. Deshalb warnen Fachgesellschaften vor einer Misteltherapie bei Hautkrebs und bestimmten Krebserkrankungen des Blutes [5].

Ansonsten scheinen Mistelpräparate gut verträglich zu sein. Bekannte Nebenwirkungen der Behandlung sind Rötungen, Schmerzen und Jucken an der Einstichstelle. Auch allergische Reaktionen sind möglich [1,4].

Mehr Informationen

Wissenschaftlich fundierte Informationen zu sogenannten komplementärmedizinischen Behandlungsmethoden bei Krebs liefert das Deutsche Krebsinformationszentrum.

Anthroposophischer Mythos

Die Misteltherapie wurde um 1920 von Rudolf Steiner als Krebstherapie erdacht, dem Gründer der anthroposophischen Lehre. Eine naturwissenschaftliche Grundlage hat die Therapie nicht, sie beruht auf der persönlichen Anschauung Steiners. Die Mistel wächst als Parasit auf anderen Bäumen und gedeiht auf deren Kosten. Steiner sah darin eine Ähnlichkeit mit dem Wachstum von Tumoren. So kam er auf die Idee, die Mistel könne bei Krebs helfen. Er folgte damit dem Ähnlichkeits-Prinzip, auf dem auch die Lehren der Homöopathie fußen [5].

Misteltherapie: Ein mitteleuropäisches Phänomen?

Trotz fehlender Belege für ihre Wirksamkeit kommt die Misteltherapie in Österreich, Deutschland und der Schweiz bei Krebs häufig zum Einsatz. Ganz anders als im Rest der Welt, wo die Mistel deutlich seltener oder überhaupt nicht verwendet wird. In den USA etwa sind Mistel-Präparate aufgrund fehlender Wirknachweise gar nicht zugelassen [5].

Forschung im Reagenzglas: Nicht auf Menschen übertragbar

Aus Labortests weiß man: Die als Halbschmarotzer auf Bäumen wachsende immergrüne Mistel enthält Inhaltsstoffe, die im Reagenzglas Tumorzellen abtöten und Immunzellen stimulieren können [4-6].

Dass das nicht nur im Labor, sondern auch im menschlichen Körper so funktioniert, lässt sich daraus aber nicht schließen. Um das zu belegen fehlen – auch rund hundert Jahre nach Steiners Ideen – aussagekräftige Studien.

Die Studien im Detail

Nach welchen Studien haben wir gesucht?

Um sicher zu beantworten, ob Mistel bei Krebs helfen kann, wäre folgende Studie nötig: Eine möglichste große Anzahl von Krebspatientinnen und -patienten wird per Zufall in zwei Gruppen aufgeteilt. Die eine erhält zusätzlich zur herkömmlichen Krebs-Behandlung ein Mistel-Präparat, die andere ein gleich aussehendes Schein-Präparat (Placebo). Nach einer gewissen Zeit wird verglichen: Wie geht es den Teilnehmenden beider Gruppen? In welcher Gruppe ist der Krebs schneller fortgeschritten, in welcher sind weniger Personen verstorben? Man nennt solche Studien auch randomisiert-kontrollierte Studien.

Besonders wenn es um das Wohlbefinden und die Lebensqualität geht, ist dabei die sogenannte Verblindung besonders wichtig. Verblindet ist eine Studie dann, wenn währenddessen weder die Teilnehmenden noch die Forschenden wissen, wer die echte und wer die Schein-Behandlung bekommt. Schon die Erwartung einer Besserung kann nämlich dazu führen, dass sich die Teilnehmenden besser fühlen. In diesem Fall wäre aber nicht die Misteltherapie für die Besserung verantwortlich, sondern der sogenannte Placebo-Effekt.
Wir stützen unsere Einschätzung zur Misteltherapie auf vier Übersichtsarbeiten, die während der letzten 15 Jahre veröffentlicht wurden und die Ergebnisse vieler einzelner solcher Studien zusammenfassen [1-4].

Zwei untersuchten die Auswirkungen der Misteltherapie auf die Überlebenszeit und das Fortschreiten der Krebserkrankung von über 2.000 Betroffenen [2,3]. Von den 14 analysierten Studien zeigten 9 Studien keinen Effekt auf die Überlebenszeit. Vor allem in den besser durchgeführten und daher etwas aussagekräftigeren Studien lebten die Teilnehmenden mit Misteltherapie nicht länger als ohne. Doch auch diese Studien hatten große Mängel.

Die anderen beiden Übersichtsarbeiten untersuchten, ob Misteltherapie die Lebensqualität von Krebspatientinnen und -patienten verbessern kann [1,4]. Sie fassten Daten von bis zu 3.000 Teilnehmenden zusammen. Insgesamt schien die Therapie die Lebensqualität zwar etwas zu verbessern. Vertrauenswürdig ist dieses Ergebnis aber nicht – warum, dazu weiter unten mehr.

Wie aussagekräftig sind die Studien?

Zwar haben offenbar bereits zahlreiche Studien die Wirksamkeit von Misteltherapie bei Krebs untersucht. Doch klare Antworten liefern sie trotzdem nicht. Zum einen haben sämtliche Studien große Mängel:

  • Die meisten waren nicht verblindet, ein Placebo-Effekt der Behandlung ist also nicht auszuschließen.
  • Viele hatten zu wenige Teilnehmende, um aussagekräftige Ergebnisse zu liefern.
  • Die Zuteilung zu den Gruppen erfolgte nur in wenigen Studien nach dem Zufallsprinzip. Das kann die Ergebnisse verzerrt haben.
  • Mehr als die Hälfte der Studien wurden zudem von Herstellerfirmen von Mistel-Präparaten in Auftrag gegeben und bezahlt.

Zur mangelhaften Qualität der Studien kommt noch ein weiteres Problem: Die Teilnehmenden der Studien waren sehr unterschiedlich. Sie waren unterschiedlich schwer krank und hatten unterschiedliche Krebserkrankungen, wie Brust-, Darm- oder Lungenkrebs, und bekamen unterschiedliche Behandlungen. Das macht es unmöglich, die Studienergebnisse sinnvoll zusammenzufassen.

Weil die einzelnen Studien zu klein und zu mangelhaft für aussagekräftige Ergebnisse sind und außerdem zu widersprüchlichen Schlüssen kommen, bleibt unklar, ob Misteltherapie hilft.

 
[1] Pelzer et al. (2022). Cancer-related fatigue in patients treated with mistletoe extracts: a systematic review and meta-analysis. Support Care Cancer. 2022 Aug;30(8):6405-6418. (Studie in voller Länge)

[2] Loef & Walach (2020). Quality of life in cancer patients treated with mistletoe: a systematic review and meta-analysis. BMC Complement Med Ther, 20(1), 227. (Studie in voller Länge)

[3] Freuding et al. (2019). Mistletoe in oncological treatment: a systematic review : Part 1: survival and safety. J Cancer Res Clin Oncol, 145(3), 695-707. (Studie in voller Länge)

[4] Freuding et al. (2019). Mistletoe in oncological treatment: a systematic review : Part 2: quality of life and toxicity of cancer treatment. J Cancer Res Clin Oncol, 145(4), 927-939. (Studie in voller Länge)

[5] Deutscher Krebsinformationsdienst
Misteltherapie gegen Krebs. Abgerufen am 13.7.2023 unter www.krebsinformationsdienst.de/behandlung

  • 17.7.2023: Eine neuerliche Aktualisierung des Faktenchecks brachte eine neue Übersichtsarbeit, aber keine neuen Erkenntnisse. Unsere Einschätzung bleibt dieselbe.
  • 23.12.2021: Bei einer neuerlichen Suche nach neuen Studien fanden wir drei aktuelle Übersichtsarbeiten, die zum selben Ergebnis kommen. Der Text wurde aktualisiert, unsere Einschätzung bleibt dieselbe.
  • 8.6.2017: Eine Suche nach neuen Studien brachte geringfügige inhaltliche Ergänzungen; an unserer Einschätzung hat sich nichts geändert.
  • 1.7.2014: Erste Version dieses Artikels veröffentlicht.

In über 500 Faktenchecks suchen