Dieser Beitrag ist älter als vier Jahre, möglicherweise hat sich die Studienlage inzwischen geändert.

Macht Zucker zuckerkrank?

Wer in großen Mengen zuckerhältige Softdrinks trinkt, wird eher übergewichtig und dadurch Diabetes-krank. Doch auch ohne Übergewicht scheint Zucker das Diabetesrisiko zu steigern.

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Erhöht der Konsum von Zucker unabhängig von Übergewicht das Risiko, an Diabetes vom Typ 2 zu erkranken?

Zucker-hältige Limonaden können – regelmäßig genossen – Übergewicht verursachen. Übergewicht wiederum erhöht die Wahrscheinlichkeit, an Typ 2 Diabetes zu erkranken. Wahrscheinlich steigern gezuckerte Softdrinks das Diabetesrisiko aber auch unabhängig von Übergewicht.

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© urbans78 - fotolia.com In Softdrinks steckt eine ordentliche Portion Zucker
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Diabetes mellitus, kurz Diabetes, ist der wissenschaftliche Namen für Zuckerkrankheit. Dass viel Zucker auf Dauer zu Diabetes führt, klingt daher logisch. Nicht alle Experten teilen diese Ansicht jedoch – Kritiker verweisen auf Lücken in der Forschung. Demzufolge müssten sich Liebhaber gesüßter Speisen und Limonaden nicht zwingend Sorgen machen, dass sie einmal an der chronischen Stoffwechselerkrankung leiden werden.

Softdrinks erhöhen Diabetes-Risiko

Menschen mit einer Vorliebe für große Mengen zuckerhältiger Limonaden erkranken auch häufiger an Diabetes. Das zeigen die zusammengefassten Ergebnisse bisheriger relativ klar. In ihren Analysen konnten zwei Forscherteams [1,2] unabhängig voneinander zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit, an Typ 2 Diabetes zu erkranken umso höher ist, je mehr Zucker die Studienteilnehmer in Form von Softdrinks zu sich nehmen.

Auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) gelangt in ihren evidenzbasierten Leitlinien [3] zu dem Schluss, dass gezuckerte Limonaden das Diabetes-Risiko deutlich erhöhen können.

Übergewicht ist nicht Hauptschuldiger

So weit so gut. Manche Experten sehen die Ursache dafür jedoch nicht im Zucker, sondern in den darin enthaltenen Kalorien. Dass Cola und Co im Übermaß dick machen, ist nämlich ein gut belegter Fakt [3]. Den Grund dafür vermuten Forscher darin, dass die Getränke trotz des hohen Kaloriengehalts (rund ein Zehntel des flüssigen Inhalts ist reiner Zucker) kaum satt machen [2]. Weil Konsumenten nicht merken, dass ihr Körper schon einen Teil der täglich benötigten Kalorien mit den Softdrinks bekommen hat, , nehmen sie zusätzlich mit der Nahrung noch mehr Energie auf als sie in Summe brauchen. Und das führt auf die Dauer zu Übergewicht. Übergewicht wiederum ist einer der Hauptverantwortlichen für die Entstehung von Typ 2 Diabetes [4].

Dem wollten die beiden Forscherteams in ihren Analysen genauer auf den Grund gehen. Dazu haben sie aus den Ergebnissen der bisher veröffentlichten Studien den Einfluss des Faktors Übergewicht herausgerechnet. Auch danach bleibt der Zusammenhang jedoch weiter bestehen – allerdings ist er ein wenig schwächer [1,2]. Offenbar kann der tägliche Konsum gezuckerter Softdrinks über viele Jahre selbst dann Diabetes auslösen, wenn er nicht dick macht.

Der Effekt ist allerdings relativ klein. Die Autoren einer der beiden Analysen [1] veranschaulichen ihre Zahlen anhand der Einwohner Großbritanniens. Dort werden der Statistik zufolge 58 von 1000 Erwachsene in den nächsten zehn Jahren an Diabetes erkranken. An lediglich zwei dieser Fälle sind den Studienergebnissen zufolge gezuckerte Softdrinks schuld, selbst wenn die betroffene Person nicht übergewichtig ist oder wird. Immerhin, bei 2,6 Millionen erwachsenen Diabetes-Betroffenen in zehn Jahren macht das 80.000 Fälle aus, die sich durch den Verzicht auf gezuckerte Softdrinks vermeiden ließen.

Zuckergehalt anderer Nahrungsmittel mit unklarem Einfluss

Für Softdrinks ist der Zusammenhang mit Typ 2 Diabetes relativ deutlich. Ob er aber auch für Menschen gilt, die mit der restlichen Nahrung vermehrt Zucker zu sich nehmen, ist unklar. Die Ergebnisse unterscheiden sich stark je nach untersuchter Zuckerart und durchgeführter Studie.

In der systematischen Übersichtsarbeit der DGE [3] zeigt sich, dass der Anteil an Saccharose (Haushaltszucker) in der Gesamtmenge aller verspeisten Lebensmittel möglicherweise keine Auswirkung auf das Diabetes-Risiko hat. Selbstverständlich nur unter der Voraussetzung, dass trotz Zuckerkonsums insgesamt nicht mehr Kalorien aufgenommen werden als der Körper benötigt. Den Autoren einer neueren Übersichtsarbeit [2] zufolge ist jedoch alles andere als klar, ob der Saccharose-Konsum das Diabetes-Risiko tatsächlich nicht beeinflusst. Die wissenschaftliche Beweislage dafür ist ihnen zufolge nicht aussagekräftig genug.

Für andere Zuckerarten (Glukose, Fruktose) sowie die Gesamtmenge aller verspeister Zuckerarten sind die Studienergebnisse beiden Übersichtsarbeiten [2,3] zufolge widersprüchlich oder zu spärlich, um eine Antwort zu finden.

Hintergrund Diabetes

Diabetes mellitus vom Typ 2, wie Mediziner die ernähungsbedingte Zuckerkrankheit nennen, ist eine der am weitesten verbreiteten Wohlstandserkrankungen der westlichen Welt. In Österreich sind in der Altersgruppe der 45 bis 59-jährigen etwa fünf unter 100 Personen betroffen. Bei Menschen ab 60 sind es schon 12 von 100. [5] Doch auch bereits übergewichtige Jugendliche und sogar Kinder sind betroffen. Typ 2 Diabetes macht dabei etwa neun Zehntel aller Diabeteserkrankungen aus [6].

Übergewicht und Bewegungsmangel sind die wichtigsten Risikofaktoren für diese Diabetesform. Besonders eine typisch „westliche“, kalorienreiche Ernährungsweise mit hohem Anteil an rotem und verarbeitetem Fleisch, fettreichen Milchprodukten sowie Süßspeisen fördern die Erkrankung. Eine Obst-, Gemüse- und Vollkorn-reiche Ernährung scheint das Diabetesrisiko hingegen zu senken. Auch die Vererbung kann eine Rolle spielen. [4]

Während die Insulin-produzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse bei Typ 1 Diabetes zerstört sind, können sie dieses Hormon bei Diabetes vom Typ 2 meist noch erzeugen. Insulin ist notwendig, um den energieliefernden Zucker in die Körperzellen zu transportieren. Bei Typ 2 Diabetikern haben die Körperzellen aber teilweise verlernt, auf das Insulin zu reagieren und können so den Zucker nicht mehr oder nur schlecht aufnehmen. Das Ergebnis ist zu viel Zucker im Blut, der zu ernsten gesundheitlichen Problemen führen kann.

[1] Imamura u.a. (2015)
Studienart: Systematische Übersichtsarbeit und Meta-Analyse
Analysierte Studien: 17 Kohortenstudien
Teilnehmer insgesamt: 38.253
Fragestellung: Erhöhen Zucker oder mit Süßstoff gesüßte Getränke sowie Fruchtsaft das Risiko für Diabetes unabhängig von Übergewicht?
Interessenskonflikte: keine laut Autoren, keine der analysierten Studien wurde durch die Lebensmittelindustrie finanziert

Imamura F, O’Connor L, Ye Z, Mursu J, Hayashino Y, Bhupathiraju SN, Forouhi NG. Consumption of sugar sweetened beverages, artificially sweetened beverages, and fruit juice and incidence of type 2 diabetes: systematic review, meta-analysis, and estimation of population attributable fraction. BMJ. 2015 Jul 21;351:h3576. (Übersichtsarbeit in voller Länge)

[2] Greenwood u.a. (2014)
Studienart: Systematische Übersichtsarbeit und Meta-Analyse
Analysierte Studien: 9 Kohortenstudien, davon 6 zu Zucker-gesüßten Softdrinks
Fragestellung: Erhöhen Zucker oder mit Süßstoff gesüßte Getränke das Risiko für Diabetes unabhängig von Übergewicht?
Interessenskonflikte: keine laut Autoren

Greenwood DC, Threapleton DE, Evans CE, Cleghorn CL, Nykjaer C, Woodhead C,Burley VJ. Association between sugar-sweetened and artificially sweetened soft drinks and type 2 diabetes: systematic review and dose-response meta-analysis of prospective studies. Br J Nutr. 2014 Sep 14;112(5):725-34. (Zusammenfassung der Übersichtsarbeit)

[3] Hauner u.a. (2012)
Studientyp: Systematische Übersichtsarbeit, Evidenzbasierte Leitlinien
Fragestellung: Können ernährungsbedingte Erkrankungen durch eine Änderung des Kohlehydrat-Anteils in der Nahrung verhindert werden?
Mögliche Interessenskonflikte: keine angegeben

Hauner H, Bechthold A, Boeing H, Brönstrup A, Buyken A, Leschik-Bonnet E, Linseisen J, Schulze M, Strohm D, Wolfram G; German Nutrition Society. Evidence-based guideline of the German Nutrition Society: carbohydrate intake and prevention of nutrition-related diseases. Ann Nutr Metab. 2012;60 Suppl 1:1-58. (Übersichtsarbeit in voller Länge, Deutscher Text)

Weitere wissenschaftliche Quellen

[4] McCulloch DK, Robertson RP (2013). Risk factors for type 2 diabetes mellitus. In Mulder JE (ed.). UpToDate. Abgerufen am 4. 3. 2013 unter http://www.uptodate.com/contents/risk-factors-for-type-2-diabetes-mellitus

[5] Statistik Austria, Chronische Krankheiten und Gesundheitsprobleme 2006/07. Abgerufen am 4. 3. 2013 unter www.statistik.at

[6] McCulloch DK (2013). Patient information: Diabetes mellitus type 2: Overview (Beyond the Basics). In Mulder JE (ed.). UpToDate. Abgerufen am 4. 3. 2013 unter http://www.uptodate.com/contents/diabetes-mellitus-type-2-overview-beyond-the-basics

Aktualisiert, ursprünglich veröffentlicht am 12. 3. 2013. Zwei neue Systematische Übersichtsarbeiten [1,2] ändern die wissenschaftliche Beweislage von unklar auf mittel.

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