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Kein Hinweis auf Glutamat-Unverträglichkeit

Glutamat kann angeblich das „China-Restaurant-Syndrom“ mit Taubheitsgefühlen, Schwäche und Herzrasen auslösen. Wissenschaftliche Hinweise auf solche Unverträglichkeiten fehlen.

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Kann Glutamat in Nahrungsmitteln Unverträglichkeitssymptome hervorrufen?

Es gibt keinen aussagekräftigen Hinweis, dass der Verzehr von Glutamat Beschwerden auslöst. Da bisher durchgeführte Studien jedoch Mängel aufweisen, lässt sich nicht ausschließen, dass es vereinzelt Personen gibt, die sensibel auf große Mengen an Glutamat reagieren.

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© marcelokrelling - fotolia.com Asiatische Speisen enthalten oft Glutamat
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Der Geschmacksverstärker Glutamat hat einen zweifelhaften Ruf. Bereits in den 1960er Jahren tauchten Fallberichte über zahlreiche Unverträglichkeitssymptome nach dem Essen in chinesischen Restaurants auf [6,7]. Der Schuldige war schnell gefunden: Das in der asiatischen Küche häufig eingesetzte Glutamat soll die Symptome des sogenannten „Chinarestaurant-Syndroms“ auslösen. An Nebenwirkungen wurden von Kribbeln und Taubheitsgefühlen über Kopfschmerzen bis zu Schwäche, Herzklopfen oder Unwohlseinvieles genannt.

Der Geschmacksverstärker wird jedoch nicht nur Speisen beigemengt, um den Geschmack künstlich zu verbessern, Glutamat kommt auch natürlicherweise in vielen Lebensmitteln vor. Außer in japanischen Kombu-Algen findet es sich auch in Kartoffeln, Tomaten oder Käsesorten wie zum Beispiel Parmesan in bedeutenden Mengen [9].

Überempfindlichkeit oder Einbildung?

Fallberichte zu einer angeblichen Glutamat-Überempfindlichkeit gibt es viele, diese lassen sich aber kaum überprüfen. Dazu bräuchte es Studien an Teilnehmern, die nach dem Zufallsprinzip entweder Glutamat oder aber ein bekanntermaßen wirkungsloses Mittel (Placebo) erhalten. Nach diesem Prinzip durchgeführte klinische Untersuchungen sind sogenannte randomisiert-kontrollierte Studien. Idealerweise wissen dabei weder Studienteilnehmer noch Versuchsleiter, wer Glutamat und wer ein Placebo erhält.

In zwei randomisiert-kontrollierten Studien [2,3] untersuchten Forscher Personen, die angaben, überempfindlich auf glutamathältige Speisen zu reagieren. Einige Nebenwirkungen traten in beiden Studien deutlich häufiger auf, wenn die Versuchspersonen die Limonade mit Glutamat getrunken hatten, als wenn sie das Getränk ohne Geschmacksverstärker zu sich genommen hatten.

Erstaunlich jedoch: In der ersten Studie [2] aus dem Jahr 1997 zeigten nur 28 der 61 angeblich Glutamat-sensiblen Versuchspersonen eine Reaktion auf eine stark glutamathältige Zitruslimonade. In der zweiten Studie [3] aus dem Jahr 2000 waren es mit 69 von 130 ebenfalls nur etwas mehr als die Hälfte, die auf den Geschmacksverstärker reagierte. Die Leiter der zuletzt genannten Studie [3] beließen es jedoch nicht bei einem Testdurchgang, sie untersuchten die Reaktionen ihrer Probanden in bis zu drei Wiederholungstests. Doch unter den vorgeblich glutamatempfindlichen Studienteilnehmern gab es niemanden, der nach allen Glutamatgaben Symptome zeigte [3].

In beiden Studien wurde das Glutamat in eine Zitruslimonade gemischt verabreicht. Da Glutamat einen deutlichen Eigengeschmack hat, ist jedoch anzunehmen, dass zumindest manche der Studienteilnehmer gemerkt haben, ob Glutamat in ihrem Getränk enthalten war oder nicht. Es ist daher denkbar, dass die Versuchspersonen vermehrt glaubten, Symptome zu spüren, wenn sie den Geschmack erkannt hatten.

Glutamat als Asthmaauslöser?

Das Aroma lässt sich komplett verbergen, wenn der Geschmacksverstärker in Kapselform verabreicht wird. Auf diese Art ist sichergestellt, dass die Studienteilnehmer nicht mehr schmecken können, ob sie Glutamat oder nur ein Placebo bekommen.

In einer kleinen randomisiert-kontrollierten Studie untersuchten Wissenschaftler zwölf Personen, die überzeugt waren, Glutamat würde bei ihnen Asthmaanfälle auslösen. Sie erhielten von den Forschern Kapseln, die entweder mit dem Geschmacksverstärker oder einem Placebo gefüllt waren. Sowohl Lungenfunktion als auch andere Beschwerden waren nach beiden Behandlungen ähnlich, es gab keinen Hinweis auf eine Asthma-auslösende Wirkung von Glutamat [1]. Mit nur zwölf Teilnehmern ist die Aussagekraft dieser Studie allerdings begrenzt.

In einer anderen solchen Studie an zwölf Asthmatikern zeigte sich ebenfalls kein Unterschied im Auftreten von Asthmasymptomen [1]. Unter den Studienteilnehmern war jedoch nur eine einzige Person, die sich selbst als Glutamat-sensibel bezeichnete.

Studien an Gesunden nur teilweise aussagekräftig

Auch zwei weitere Wissenschaftler-Teams erkannten, wie wichtig es ist, den Glutamatgeschmack durch die Verabreichung in Kapselform zu verschleiern. Sie verabreichten den Versuchspersonen in ihren randomisiert-kontrollierten Studien [4,5] nach dem Zufallsprinzip entweder Glutamat- oder Placebokapseln vor dem Frühstück. Dann warteten sie, ob die Teilnehmer irgendeine Reaktion zeigten. Das Ergebnis: in keiner Studie zeigten sich Unterschiede zwischen den beiden Versuchsbedingungen.

In beiden Studien waren nur gesunde Probanden, nicht aber Menschen mit selbstberichteter Glutamatüberempfindlichkeit untersucht worden. Bei 71 Teilnehmern in der einen Studie [4] und 52 in der anderen [5] ein nur bedingt aussagekräftiges Ergebnis, denn um zu überprüfen, ob es tatsächlich Personen mit Glutamatunverträglichkeit gibt, hätten weit mehr Teilnehmer untersucht werden müssen.

Die vorliegenden Studien zeigen, dass bis zu drei Gramm Glutamat bei einer ausgewählten Gruppe gesunder Personen keine Symptome auslöst. In Mengen, wie sie für gewöhnlich in westlichen Ländern konsumiert werden – laut [1] zwischen 0,3 und 1g täglich – erscheint der Verzehr des Geschmacksverstärkers sicher. In Asien wird die durchschnittliche Aufnahme von Glutamat sogar auf 1,2 bis 1,7g geschätzt [9]. Ob es aber in der restlichen Bevölkerung vereinzelt Menschen gibt, die sensibel auf sehr große Mengen des Geschmacksverstärkers reagieren, lässt sich so nicht ausschließen.

Glutamat als Geschmacksverstärker

Glutamat findet als künstlich hergestellter Lebensmittelzusatzstoff mit den Nummern E620 bis E625 breite Anwendung. So setzt die Industrie den Geschmacksverbesserer etwa vielen Fertiggerichten und Snacks zu.

Glutamat hat einen angenehmen, leicht salzigen Geschmack, verstärkt aber auch den Eigengeschmack anderer Speisen. Erstaunlich ist, dass der menschliche Geschmackssinn Glutamat spezifisch erkennt. Tatsächlich gibt es auf der Zunge neben den bekannten Geschmackssensoren für süß, salzig, sauer und bitter auch solche für „umami“ – die Geschmacksempfindung, die durch Glutamat ausgelöst wird [9]. „Umami“ ist japanisch und bedeutet soviel wie „herzhaft, wohlschmeckend“.

Als Salz der Aminosäure Glutaminsäure kommt der Stoff auch in der Natur als wichtiger Bestandteil von beinahe allen Proteinen gebunden vor, etwa in Fleisch und Gemüse. In nicht gebundener Form ist Glutamat ein wichtiger Botenstoff im Nervensystem, welcher vom Körper selbst hergestellt wird. Freies Glutamat kommt nicht nur in zahlreichen Früchten natürlicherweise vor.
[9]. Auch bei der Fermentation von Proteinen entsteht freies Glutamat, wie beispielsweise bei der Käsereifung oder der Herstellung von Sojasoße aus Sojabohnen [10].

[1] Zhou u.a. (2012)
Studientyp: systematische Übersichtsarbeit der Cochrane Collaboration
Eingeschlossene Studien: 2 randomisiert-kontrollierte Studien
Teilnehmer insgesamt: 24 Personen mit Asthma
Fragestellung: Kann Mono-Natriumglutamat Asthmasymptome auslösen oder die Lungenfunktion von Asthmatikern beeinträchtigen?
Mögliche Interessenskonflikte: keine angegeben

Zhou Y, Yang M, Dong BR. Monosodium glutamate avoidance for chronic asthma in adults and children. Cochrane Database Syst Rev. 2012 Jun 13;6:CD004357. (Zusammenfassung der Studie)

[2] Yang u.a. (1997)
Studientyp: randomisiert-kontrollierte Studie
Teilnehmer: 61 Personen mit selbstangegebener Glutamatunverträglichkeit
Studiendauer: 2-3 Tage
Fragestellung: Löst Mononatriumglutamat bei Personen mit selbstangegebener Glutamatunverträglichkeit Beschwerden aus?
Mögliche Interessenskonflikte: keine angegeben

Yang WH, Drouin MA, Herbert M, Mao Y, Karsh J. The monosodium glutamate symptom complex: assessment in a double-blind, placebo-controlled, randomized study. J Allergy Clin Immunol. 1997 Jun;99(6 Pt 1):757-62. (Zusammenfassung der Studie)

[3] Geha u.a. (2000)
Studientyp: randomisiert-kontrollierte Studie
Teilnehmer: 132 Personen mit selbstangegebener Glutamatunverträglichkeit
Studiendauer: 2 – 16 Tage
Fragestellung: Löst Mononatriumglutamat bei Personen mit selbstangegebener Glutamatunverträglichkeit Beschwerden aus?
Mögliche Interessenskonflikte: keine angegeben

Geha RS, Beiser A, Ren C, Patterson R, Greenberger PA, Grammer LC, Ditto AM, Harris KE, Shaughnessy MA, Yarnold PR, Corren J, Saxon A. Multicenter, double-blind, placebo-controlled, multiple-challenge evaluation of reported reactions to monosodium glutamate. J Allergy Clin Immunol. 2000 Nov;106(5):973-80. (Zusammenfassung der Studie)

[4] Tarasoff u.a. (1993)
Studientyp: randomisiert-kontrollierte Studie
Teilnehmer: 71 gesunde Personen
Studiendauer: 5 Tage
Fragestellung: Löst Mononatriumglutamat bei Beschwerden aus?
Mögliche Interessenskonflikte: Teilfinanzierung der Studie durch das „International Glutamate Technical Committee“, ein Zusammenschluss industrieller Produzenten und Verbraucher von Glutamat für Lebensmittel.

Tarasoff L, Kelly MF. Monosodium L-glutamate: a double-blind study and review. Food Chem Toxicol. 1993 Dec;31(12):1019-35. (Zusammenfassung der Studie)

[5] Prawirohardjono u.a. (2000)
Studientyp: randomisiert-kontrollierte Studie
Teilnehmer: 52 gesunde Personen
Studiendauer: 3 Tage
Fragestellung: Löst Mononatriumglutamat bei Beschwerden aus?
Mögliche Interessenskonflikte: Finanzierung der Studie durch das „International Glutamate Technical Committee“, ein Zusammenschluss industrieller Produzenten und Verbraucher von Glutamat für Lebensmittel.

Prawirohardjono W, Dwiprahasto I, Astuti I, Hadiwandowo S, Kristin E, Muhammad M, Kelly MF. The administration to Indonesians of monosodium L-glutamate in Indonesian foods: an assessment of adverse reactions in a randomized double-blind, crossover, placebo-controlled study. J Nutr. 2000 Apr;130(4S Suppl):1074S-6S. (Studie in voller Länge)

Weitere wissenschaftliche Quellen

[7] Kwok RHM (1968). Chinese-restaurant syndrome [letter]. New England Journal of Medicine, 278, 796.

[8] Kandall S, Schaumburg HH, Beron El, Menken M, McCaghren TJ, Gordon ME (1968). Chinese restaurant syndrome [letters]. New England Journal of Medicine, 278: 1122-1124.

[9] Beyreuther K, Biesalski HK, Fernstrom JD, Grimm P, Hammes WP, Heinemann U, Kempski O, Stehle P, Steinhart H, Walker R (2007) Consensus meeting: monosodium glutamate – an update. Eur J Clin Nutr. 2007 Mar;61(3):304-13. Epub 2006 Sep 6. (Zusammenfassung der Übersichtsarbeit)

[10] Yoshiko Yoshida (1998). Umami taste and traditional seasonings, Food Reviews International, 14:2-3, 213-246 (Zusammenfassung der Studie)

Aktualisiert, ursprünglich veröffentlicht am 29.5.2013. Eine Suche nach neuen Studien ergab keine Änderung.

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