Dieser Beitrag ist älter als vier Jahre, möglicherweise hat sich die Studienlage inzwischen geändert.

Ist Stevia der Zucker der Zukunft?

Süßes ohne Karies und Kalorien – das verspricht Stevia, eine Pflanze aus Südamerika. Doch bringt Stevia tatsächlich (noch weitere) gesundheitliche Vorteile?

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Kann Stevia einen zu hohen Blutdruck senken?

Bei allen Nahrungsmitteln gilt: „Die Dosis macht das Gift“. Als zuckerfreies Süßungsmittel fördern Stoffe aus der Stevia-Pflanze keine Karies und haben keine Kalorien. Ein medizinischer Nutzen darüber hinaus besteht eventuell in einer Wirksamkeit gegen Bluthochdruck.

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© Daniele-Depascale - fotolia.com
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Süß und natürlich – ein Produkt mit einem solchen Image zu versehen, ist der Traum aller Marketingabteilungen. Beim Süßstoff Stevia scheint er wahr geworden zu sein. Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe von Stevia-gesüßten Produkten, und auch die Pflanze wird immer wieder verkauft. Das Süßungsmittel wird aus der südamerikanischen Pflanze Stevia rebaudiana gewonnen und ist bei den Indios im Grenzgebiet von Paraguay und Brasilien schon seit hunderten Jahren bekannt. Die Blätter der Pflanze enthalten Steviolglycoside, Moleküle, die bis zu 400 Mal süßer sind als Zucker.

Die behauptete Natürlichkeit ist allerdings eher ein Werbegag. Trotz des pflanzlichen Ursprungs sind die aus der Pflanze isolierten Stoffe nicht natürlicher als andere Süßungsmittel. Ob sie gesünder sind, ist – wie bei allen Nahrungsmitteln – eine Frage der Dosis.

Medizinischer Nutzen

Zucker ist nicht von Grund auf böse, im Gegenteil: Er ist die Energiequelle schlechthin. Daher sehnt sich der Körper danach. Da wir in unserer industrialisierten Welt aber ständig Zugriff auf Zucker haben, wird schnell zu viel davon aufgenommen. Dieses Zuviel kann sich dramatisch auf die Gesundheit auswirken: Übergewicht mit all den damit verbundenen Folgen ist weltweit auf dem Vormarsch, und Karies ist ohnehin die Zucker-Krankheit.

Als Alternativen sollen zuckerfreie Süßungsmittel das Bedürfnis nach Süßem stillen, ohne diese oder andere negativen Begleiterscheinungen zu haben.

Stevia weist alle offensichtlichen Vorteile eines zuckerfreien Süßungsmittels auf: kein Karies, keine Kalorien. (Ob kalorienfreie Süßstoffe tatsächlich beim Abnehmen helfen, ist noch nicht abschließend erwiesen. In einer systematischen Übersichtsarbeit wurde dieser Trend zwar beobachtet, der Effekt war allerdings sehr klein [5]).

Aber diese Vorteile haben andere Süßstoffe auch. Für Stevia wird jedoch oft ein medizinischer Nutzen darüber hinaus behauptet. Was ist dran am gesunden Süß aus dem Urwald?

Gefährlich? Giftig?

Wir fanden eine systematische Übersichtsarbeit, in der auf eine blutdrucksenkende Wirkung geschlossen wird. Zwei randomisiert-kontrollierte Studien und Erkenntnisse aus Tierversuchen liefern dafür einen ersten Hinweis, größere Studien sind aber notwendig [1].

In Südamerika wird Stevia schon länger gegen Diabetes eingesetzt. Leider ist die Studienlage zu diesem wichtigen Thema noch völlig unzureichend.

Während die EU lange mit einer Zulassung für Steviolglycoside gezögert hat, wurde es in Japan und Brasilien schon vor über 20 Jahren als zuckerfreies, industriell verarbeitetes Süßungsmittel etabliert. Die Zurückhaltung war frühen Studien geschuldet, die verschiedene Risiken aufgezeigt hatten. Unter anderem bestand die Sorge, Stevia wirke mutagen, was bedeutet, dass es das Erbgut innerhalb der Zellen verändern soll, was zu Krebs führen könnte [3].

Die bereits erwähnte Übersichtsarbeit zeigt, dass jüngere Studien Stevia ein besseres Zeugnis ausstellen: Stevia und auch die daraus isolierten Inhaltsstoffe wirken nur in sehr hohen Konzentrationen schädlich [1]. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit kommt in ihrer Bewertung von Stevia daher zu dem Schluss, dass es weder krebserregend noch erbgutschädigend ist und auch nicht die Fruchtbarkeit oder körperliche Entwicklung negativ beeinflusst [4] und erteilte ab Ende 2011 Steviolglycosiden unter der Bezeichnung E960 die Zulassung als Lebensmittelzusatzstoffe.

Durch die blutdrucksenkende Wirkung sollten Personen mit zu niedrigem Blutdruck vorsichtig mit dem Süßungsmittel umgehen. Ähnliches gilt bei niedrigem Blutzucker, beschädigter Nierenfunktion oder der Einnahme von gefäßerweiternden Medikamente nehmen. Hier sind Wechselwirkungen und Nebenwirkungen nicht auszuschließen. Im Allgemeinen treten aber kaum Nebenwirkungen oder allergische Reaktionen auf [1] [2].

[1] Ulbricht u.a. (2010)
Studientyp: systematische Übersichtsarbeit
Eingeschlossene Studien: vier zu Bluthochdruck, zwei zu Überzucker
Teilnehmer insgesamt: 402
Fragestellung: Welche Wirkungen und Nebenwirkungen hat Stevia?
Interessenskonflikte: Keine angegeben.

Ulbricht C, Isaac R, Milkin T, Poole EA, Rusie E, Grimes Serrano JM, Weissner W, Windsor RC, Woods J. An evidence-based systematic review of stevia by the Natural Standard Research Collaboration. Cardiovasc Hematol Agents Med Chem. 2010, Apr;8(2):113-27 (Zusammenfassung der Studie)

[2] Brown, Rother (2012)
Fragestellung: Welche Effekte haben zuckerfreie Süßungsmittel auf den Gastrointestinaltrakt?
Interessenskonflikte: keine angegeben.

Brown RJ, Rother KI. Non-nutritive sweeteners and their role in the gastrointestinal tract. J Clin Endocrinol Metab. 2012 Aug;97(8):2597-605 (Zusammenfassung der Studie)

[3] Pezzuto u.a. (1985)
Studientyp: Laborstudie an Ratten
Fragestellung: Wirkung von aktiviertem Steviol
Interessenskonflikte: Keine angegeben.

John M. Pezzuto, C.M. Compadre, S.M. Swanson, D. Nanayakkara, A.D. Kinghorn: „Metabolically activated steviol, the aglycone of stevioside, is mutagenic“, Proc Natl Acad Sci USA, April 1985, Bd. 82, S. 2478–2482 (Volltext der Studie)

Weitere wissenschaftliche Quellen

[4] EFSA (2010)
Scientific Opinion on the safety of steviol glycosides for the proposed uses as a food additive. EFSA Journal: EFSA Journal 2010;8(4):1537 [84 pp.]

[5] Miller, Perez (2014)
Low-calorie sweeteners and body weight and composition: a meta-analysis of randomized controlled trials and prospective cohort studies. Am J Clin Nutr September 2014, vol. 100 no. 3 765-777 (Volltext der Studie)

Dieser Text wurde ursprünglich am 5. November 2013 veröffentlicht. Eine neuerliche Literatursuche brachte keine Änderungen der Einschätzung.

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