Dieser Beitrag ist älter als vier Jahre, möglicherweise hat sich die Studienlage inzwischen geändert.

Kein längeres Leben durch Gesundenuntersuchung

Allgemeine Gesundheits-Checks für Erwachsene sollen Krankheiten und Todesfälle verhindern. Doch die Programme haben nicht die erhoffte Wirkung.

AutorIn:
Review:  Bernd Kerschner 

Führen allgemeine Gesundenuntersuchungen zu einem längeren Leben?

Gesundenuntersuchungen für Erwachsene aus der Allgemeinbevölkerung haben nicht den erhofften Effekt: Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer leben nicht länger durch reihenweise Früherkennung und Vorsorge.

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© Robert Kneschke - fotolia.com Mythos Vorsorge: Viel hilft nicht viel.
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Wie heißt es doch so schön? Krankheiten sollten am besten gleich im Frühstadium entdeckt werden! Dadurch kann man das Übel an der Wurzel packen, bevor es gröbere Probleme macht. Das erscheint offenbar vielen Menschen plausibel [1,2].

Basierend auf diesem Gedanken gibt es in einigen Ländern allgemeine Gesundenuntersuchungen. Dabei können sich Erwachsene in regelmäßigen Abständen durchchecken lassen. Auch dann, wenn sie sich gar nicht krank fühlen oder spezielle Vorbelastungen haben. In Österreich etwa wird die „Vorsorgeuntersuchung“ für Erwachsene angeboten, die ein Mal pro Jahr in Anspruch genommen werden kann [1,2].

Gesundenuntersuchung: Sinnvoll oder machtlos?

Wir wollten wissen, was es bringt, wenn Erwachsene zur allgemeinen Gesundenuntersuchung eingeladen werden. Wenn sie ohne spezielle Beschwerden und ohne konkrete Verdachtsmomente eine Reihe von Tests durchlaufen. Können sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer berechtige Hoffnungen auf ein längeres Leben machen?

Viel hilft nicht viel

Im Zuge unserer umfassenden Recherche in wissenschaftlichen Literaturdatenbanken haben wir eine Übersichtsarbeit [1] gefunden, die aus unserer Sicht den aktuellen Stand des Wissens spiegelt. Hier sind die Daten von knapp 252.000 Erwachsenen aus Nordamerika und Europa ausgewertet. Die Testpersonen wurden bis zu 30 Jahre lang beobachtet – aber nur ein Teil von ihnen wurde mindestens ein Mal zu einem allgemeinen Check eingeladen.

Bei der Auswertung interessierten sich die drei Studienautoren in erster Linie dafür, ob die Menschen mit bzw. ohne Gesundenuntersuchung länger lebten. Ihre Ergebnisse zeigen: Es gibt keinen auffälligen Unterschied. Demnach sorgen allgemeine Gesundheits-Checks nicht für ein längeres Leben. Es ist unwahrscheinlich, dass weitere Studien das derzeitige Fazit verändern werden.

Schlechter als ihr Ruf

Auch bei den Todesursachen offenbarten sich keine Vorteile der Gesundenuntersuchung: in keiner Gruppe gab es deutlich mehr Todesfälle durch Krebs oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Auch nicht-tödliche Herz-Kreislauf- und Krebserkrankungen lassen sich offenbar nicht durch allgemeine Gesundheits-Checks vermeiden.

Die Berechnungen dazu sind sehr solide, und die Ergebnisse sind mit hoher Gewissheit auf die Allgemeinbevölkerung übertragbar – auch wenn dies der weit verbreiteten Auffassung stark widersprechen dürfte.

Die Autoren der Übersichtsarbeit [1] attestieren also Gesundheits-Checks, dass sie ihr Ziel – eine gesündere Bevölkerung – verfehlen. Als sinnvoller für die Gesundheit der Bevölkerung erachten sie eine höhere Besteuerung von Alkohol und Tabak sowie Einschränkungen bei der Werbung für schädliche Produkte.

Komplett nutzlos?

Der aktuelle Stand des Wissens schließt nicht aus, dass manche Personen von einer Gesundenuntersuchung profitieren. Manchmal ist ein motivierendes Gespräch mit der Ärztin oder dem Arzt der Stein des Anstoßes, um das Rauchen aufzugeben, auf Safer Sex zu achten oder die Lücken im Impfpass zu füllen. Und natürlich ist auch denkbar, dass im Rahmen eines allgemeinen Gesundheits-Checks Auffälligkeiten und Risiken bekannt werden, wo ein frühes Erkennen bzw. Einschreiten einen echten Mehrwert für die Betroffenen hat.

Warum im Allgemeinen wirkungslos?

Doch meistens würden Risikofaktoren oder bestehende Krankheiten ohnehin schon im Rahmen von regulären Arztbesuchen erkannt – und nicht erst im Rahmen einer Gesundenuntersuchung, so die dänischen Autoren [1,2].

Weiters dürften jene Personen, die typischerweise die allgemeine Früherkennung und Vorsorge in Anspruch nehmen, von vornherein mehr auf ihre Gesundheit achten (können) und weniger gesundheitlichen Gefahren ausgesetzt sein. Das heißt, die Gesünderen aus der Bevölkerung frequentieren wohl eher die Gesundenuntersuchung. Sie können aber verhältnismäßig wenig davon profitieren.

Anders gesagt: Personen mit erhöhtem Krankheitsrisiko nehmen seltener die Einladung zu einem allgemeinen Gesundheits-Check an.

Wie Vorsorge wirkungsvoll wird

Plausibel ist, dass maßgeschneiderte Programme zur Früherkennung und Vorsorge bessere Ergebnisse erzielen können als in die hier vorgestellten allgemeinen Reihenuntersuchungen. Sie müssten auf die Bedürfnisse von einzelnen Bevölkerungsgruppen mit bestimmten Risiken abgestimmt sein.

Krankheiten früh erkennen

Bei allgemeinen Gesundenuntersuchungen werden mehrere Tests (oft „Screening“ genannt) ohne konkreten Verdacht durchgeführt.

  • Dadurch sollen Krankheiten möglichst früh entdeckt werden – noch bevor es zu spürbaren Beschwerden kommt.
  • Ziel der frühen Diagnose: möglichst zeitig mit der Behandlung beginnen und so den Krankheitsverlauf günstig beeinflussen bzw. Todesfälle verhindern.
  • Eine Gesundenuntersuchung mit unauffälligen Ergebnissen kann auch beruhigend wirken („alles in Ordnung“).
  • Ein weiteres Ziel ist es, veränderbare Risikofaktoren zu erkennen – und auch etwas gegen diese zu tun. Dazu zählen etwa Rauchen und Übergewicht [1,2].

Kein gesünderes Leben

Gesundenuntersuchungen für Erwachsene ohne spezielle Risiken oder Beschwerden sind in letzter Zeit in die Kritik geraten: Sie würden zwar die Anzahl der Diagnosen erhöhen. Doch insgesamt hätten die Reihenuntersuchungen keinen spürbaren Nutzen für die daran teilnehmende Bevölkerung. Zum Beispiel, weil „früh erkennen“ nicht automatisch „länger und gesünder leben“ heißt. Es kann auch „länger krank sein“ bedeuten [1,2].

Ein weiterer Kritikpunkt: Die Einladungen zu allgemeinen Gesundenuntersuchungen würden just nicht von jenen Bevölkerungsgruppen angenommen, die davon am meisten profieren könnten. Denkbar ist, dass „maßgeschneiderte“ Vorsorgeuntersuchungen bessere Ergebnisse (im Sinne von gesünder und länger leben) liefern, wenn sie angepasst sind an Faktoren wie Alter, Geschlecht, Lebensbedingungen, Beruf, Präferenzen und Risikofaktoren der Zielgruppe [1,2].

Schaden oft unterschätzt

Gleichzeitig ist oft nicht klar, dass reihenweise Tests auch schaden können. Zu den negativen Konsequenzen gehören: unnötige Ängste nach fälschlicherweise auffälligen Befunden, unnötige Folgeuntersuchungen zur Abklärung und unnötige Behandlungen von Auffälligkeiten, die zeitlebens keine Beschwerden verursacht hätten. „Nutzt’s nix, schadt’s nix“ gilt hier also nicht [1,2].

Mehr zum Nutzen und Schaden von Früherkennungsuntersuchungen finden Sie auf den Seiten des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen.

Die Studien im Detail

Wir haben eine systematische Übersichtsarbeit [1] für die Einschätzung des Nutzens von allgemeinen Gesundheits-Checks herangezogen. Die Übersichtsarbeit wurde von drei dänischen Wissenschaftlern des Cochrane-Netzwerks erstellt und Anfang 2019 publiziert.

Die Übersichtsarbeit ist äußerst solide gemacht und beruht auf 17 Einzelstudien. Sie berücksichtigt die Daten von 251.891 Erwachsenen aus der Allgemeinbevölkerung. Die hohe Anzahl an Teilnehmerinnen und Teilnehmern stärkt die Aussagekraft der Übersichtsarbeit.

Die Studien starteten zwischen den 1960ern und 1990ern in den USA oder in Europa. Die Testpersonen wurden per Zufall auf zwei Gruppen aufgeteilt und dann 4 bis 30 Jahre lang beobachtet. 87.412 bekamen Einladungen zu mindestens einer allgemeinen Gesundenuntersuchung, wobei 50 bis 90 Prozent der Einladungen in der ersten Runde auch „eingelöst“ wurden. Im Gegensatz dazu stand den 164.479 Personen aus der Kontrollgruppe „nur“ die gängige Gesundheitsversorgung offen.

Für Gesundheits-Checks gibt es keine einheitliche Definition. Und so sahen auch die in der Übersichtsarbeit absolvierten Reihenuntersuchungen teils unterschiedlich aus. Allen gemeinsam war, dass pro Person mehrere Tests durchgeführt wurden, die wiederum auf mehrere Organsysteme und Risikofaktoren abzielten. Es wurden u.a. Fragebögen zum Lebensstil, Stuhlproben, Röntgenaufnahmen und Blutproben ausgewertet.

Die Forscher wollten mit ihrer Übersichtsarbeit [1] in erster Linie herausfinden, ob es zwischen den beiden Gruppen zu auffälligen Unterschieden bei Anzahl und Art von Todesfällen kam. Dafür standen die Daten von 233.298 Menschen zur Verfügung, von denen im Laufe der Studien 21.535 Personen verstarben. Die Analyse zeigte, dass die Anzahl der Todesfälle und die Todesursachen gleich auf beiden Gruppen verteilt waren.

In zweiter Linie wollten die Forscher u.a. wissen, ob Gesundenuntersuchungen das Auftreten von weit verbreiteten Krankheiten reduzieren konnten. Die Analyse zeigte, dass sie wahrscheinlich keine deutlichen Unterschiede in punkto Schlaganfall und mit großer Verlässlichkeit keinen deutlichen Unterschied in punkto Herzerkrankung bewirken können.

Unser ursprünglicher Beitrag erschien im Herbst 2012, ein Update erfolgte im Herbst 2017. Eine neuerliche Recherche wurde im Februar 2019 durchgeführt. Im Laufe der Zeit haben sich die Hinweise weiter verdichtet, und wir haben den Text entsprechend angepasst.

[1] Krogsbøll (2019)
Studientyp: systematische Übersichtsarbeit
Analysierte Studien: 17 randomisiert-kontrollierte Studien
Teilnehmende insgesamt: 251.891
Fragestellung: u.a. Können allgemeine Gesundheits-Checks bei der Allgemeinbevölkerung die Sterblichkeit reduzieren?
Interessenskonflikte: keine laut Autoren

Krogsbøll LT, Jørgensen KJ, Gøtzsche PC. General health checks in adults for reducing morbidity and mortality from disease. Cochrane Database Syst Rev. 2019 Jan 31;1:CD009009. (Zusammenfassung der Übersichtsarbeit)

Weitere wissenschaftliche Quellen

[2] Thompson & Tonelli (2012)
Thompson S, Tonelli M. General health checks in adults for reducing morbidity and mortality from disease. Cochrane Database Syst Rev. 2012 Oct 17;11:ED000047. (Editorial)

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