Geradehalter eher wirkungslos gegen Nackenschmerzen

Geradehalter sind Gurte, die die Haltung verbessern und so Nackenschmerzen lindern sollen. Studien zufolge könnten sie jedoch wirkungslos sein.

AutorIn:
Review:  Jana Meixner 

Kann ein Geradehalter Nackenschmerzen kurzfristig bessern?

Kann ein Geradehalter Schmerzen in Nacken und Rücken anhaltend bessern?

Bisher wurden zwei kleine Studien veröffentlicht, die wegen Mängeln nur eingeschränkt aussagekräftig sind. Sie deuten aber an, dass Geradehalter zur Linderung von Nackenschmerzen eher wirkungslos sind, wenn sie bis zu einer Woche lang getragen werden. Ob sie über längere Zeit oder gegen Rückenschmerzen helfen könnten, ist nicht erforscht.

so arbeiten wir
Frau mit Geradehalter Eines von zahlreichen Geradehalter Modellen
© Henadzi Pechan – istockphoto.com

Wer viel vor dem Computer oder Smartphone sitzt, hat häufig mit Verspannungen und Schmerzen in Nacken und Rücken zu tun. Grund dafür ist meist eine Fehlhaltung – etwa ein runder Rücken und vorgestreckter Kopf und Nacken. Diese Fehlhaltungen belasten Nacken und Rücken deutlich stärker als eine aufrechte Haltung [3,4].

Schultern zurückziehen für weniger Schmerzen?

Abhilfe schaffen sollen sogenannte Geradehalter. Dabei handelt es sich um spezielle Gurte, die wie ein Rucksack getragen werden und die Schultern zurückziehen. Das soll eine aufrechtere Haltung bewirken – ganz bequem und ohne anstrengende Rückenübungen. Durch regelmäßiges Tragen sollen Verspannungen und Schmerzen in Nacken und Rücken der Vergangenheit angehören. Das zumindest versprechen etliche Hersteller.

Auf den ersten Blick klingt das nachvollziehbar. Doch kann ein solcher Geradehalter – regelmäßig getragen – tatsächlich etwas gegen eine Fehlhaltung und deren schmerzhafte Folgen ausrichten?

Geradehalter möglicherweise wirkungslos

Gut erforscht ist die Wirkung von Geradehaltern nicht. Bei unserer Recherche fanden wir nur zwei kleine Studien [1,2]. Sie deuten in Richtung Wirkungslosigkeit – zumindest, wenn sie für kurze Zeit getragen werden. Allerdings haben die Untersuchungen Mängel und sind dadurch nur eingeschränkt aussagekräftig.

In einer der Studien [1] saßen die Teilnehmenden 30 Minuten am Computer – je einmal mit und einmal ohne Geradehalter. Bei beiden Versuchsbedingungen bekamen sie etwa im selben Ausmaß Nackenschmerzen. Mit Geradehalter streckten sie den Kopf und Nacken etwa gleich weit nach vorne wie ohne – auch wenn der Geradehalter ihre Schultern zurückzog. Eine halbe Stunde ist jedoch sehr kurz, um die Auswirkung auf Nackenschmerzen zu untersuchen.

In der anderen Studie [2] sollte die Hälfte der Teilnehmende ihre Schultern mit einem Band zurückbinden – wie bei einem Geradehalter. Das sollten sie eine Woche lang immer dann tun, wenn sie bei einer Tätigkeit eine schlechte Haltung einnehmen könnten – etwa bei der Arbeit am Computer. Die andere Hälfte der Teilnehmenden band ihre Schultern nicht zurück. Nach einer Woche hatten sich die Nackenschmerzen durch das Zurückbinden nicht spürbar verbessert.

Die beiden Studien hatten jedoch grobe Mängel und sind daher nur eingeschränkt aussagekräftig (siehe Abschnitt „Die Studien im Detail“)

Nicht erforscht ist, ob sich die Nackenschmerzen eventuell doch bessern könnten, wenn man den Geradehalter deutlich länger als eine Woche trägt. Bei Rückenschmerzen ist die Wirkung von Geradehaltern überhaupt nicht untersucht.

Schmerzen durch geschwächte Rückenmuskulatur?

Während Studien den Nutzen der Geradehalter zumindest ansatzweise erforscht haben, ist völlig unklar, ob die Gurte schaden können – etwa, wenn man sie über längere Zeit trägt.

Unberechtigt ist diese Vermutung nicht: Wenn ein Geradehalter die Rückenmuskulatur wirklich beim Aufrechthalten des Oberkörpers unterstützt, könnte das die Muskeln schwächen, die normalerweise für eine aufrechte Haltung sorgen. Eine geschwächte Rückenmuskulatur jedoch kann Rückenschmerzen zur Folge haben [5].

In Bewegung bleiben

Bei Rückenschmerzen ist Bewegungstraining die wirksamste Therapie – das zeigen bisherige Studien. Gut helfen Übungen, welche die Muskulatur im Oberkörper kräftigen [5]. Bei Nackenschmerzen ist die Wirkung von Bewegungstraining allerdings kaum erforscht. Wie gut Dehn- und Kräftigungsübungen für Nacken, Schultern und Schulterblätter chronische Nackenschmerzen lindern können, ist unklar [6].

Weitere Informationen zu Nackenschmerzen finden Sie auf der unabhängigen Webseite Gesundheitsinformation.de oder dem österreichischen Gesundheitsportal Gesundheit.gv.at

Die Studien im Detail

Nach welchen Studien haben wir gesucht?

Ob Geradehalter zum Beispiel bei Nackenschmerzen helfen, ließe sich am besten wie folgt untersuchen: Ein Forschungsteam lädt eine große Gruppe von Menschen mit Nackenschmerzen zur Teilnahme ein. Vor Beginn der Studie muss ausgeschlossen sein, dass die Ursache für die Schmerzen der Teilnehmenden eine ernsthafte Erkrankung oder eine Verletzung ist.

Dann werden die Teilnehmenden zwei Gruppen zugelost. Eine Gruppe trägt regelmäßig über mehrere Wochen einen Geradehalter, während sie beispielsweise am Computer arbeitet. Die andere Gruppe ist die Vergleichsgruppe. Sie trägt währenddessen einen Schein-Geradehalter, der so locker ist, dass er die Schultern nicht gut zurückzieht. Wichtig ist, dass beide Gruppen das Gefühl haben, die ihnen zugewiesene Behandlung könnte theoretisch helfen. Nur so lässt sich ausschließen, dass Erwartungen die Wirkung positiver erscheinen lassen als sie es ist (Placebo-Effekt).

Sind die Schmerzen mit Geradehalter am Ende der Studie weniger stark als mit Schein-Geradehalter, wäre das der Beweis, dass der Geradehalter geholfen hat.

Diese Studienart heißt randomisiert-kontrollierte Studie. Wir haben drei Forschungsdatenbanken nach solchen Studien durchsucht. Gefunden haben wir zwei Studien [1,2].

Wie aussagekräftig sind die Studien?

Die beiden Studien sind nur eingeschränkt aussagekräftig. Grund sind die folgenden Mängel:

  • Verfälschung durch Erwartung möglich: In beiden Studien wussten die Teilnehmenden, ob sie einen Geradehalter trugen oder ihre Schultern zurückbanden und dadurch eine möglicherweise wirksame Behandlung bekamen. Diese Erwartung könnte bewirkt haben, dass sie ihre Nackenschmerzen etwas weniger stark eingeschätzt haben.
  • Zu wenige Teilnehmende: In den Studien haben zu wenige Personen teilgenommen, um die Ergebnisse auf alle anderen Betroffenen mit Nackenschmerzen übertragen zu können.
  • Zu kurze Studiendauer: In einer Studie trugen die Teilnehmenden den Geradehalter nur 30 Minuten. In der anderen banden sie ihre Schultern nur eine Woche lang zurück – wobei unklar war, wie lange am Tag sie das jeweils taten. Ob ein längeres Tragen vielleicht doch zu einer Besserung führen könnte, ist nicht erforscht.

[1] Leung et al. (2023) Effects of Using a Shoulder/Scapular Brace on the Posture and Muscle Activity of Healthy University Students during Prolonged Typing—A Randomized Controlled Cross-Over Trial. In Healthcare (Vol. 11, No. 11, p. 1555). MDPI. (Studie in voller Länge)

[2] Furukawa (2020) Tasuki for neck pain: An individually-randomized, open-label, waiting-list-controlled trial. Journal of Occupational Health, 62(1), e12097. (Studie in voller Länge)

[3] UpToDate (2023) Gecht-Silver MR, Duncombe AM. Joint protection program for the neck. In Ramirez Curtis M (ed.). UpToDate. Abgerufen am 27.11.2023 unter www.uptodate.com (Zugang kostenpflichtig)

[4] UpToDate (2023) Gecht-Silver MR, Duncombe AM. Overview of joint protection. In Ramirez Curtis M (ed.). UpToDate. Abgerufen am 27.11.2023 unter www.uptodate.com (Zugang kostenpflichtig)

[5] IQWIG (2022) Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. Rücken- und Kreuzschmerzen. Abgerufen am 27.11.2023 unter gesundheitsinformation.de

[6] IQWIG (2022) Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. Nackenschmerzen. Abgerufen am 27.11.2023 unter gesundheitsinformation.de

  • 27.11.2023: bei einer neuerlichen Suche fanden wir 2 Studien mit eingeschränkter Aussagekraft. Daher haben wir unsere Einschätzung für die kurzfristige Wirksamkeit gegen Nackenschmerzen von „unklar“ auf „möglicherweise keine Wirkung“ geändert
  • 29.8.2019: erste Version des Faktenchecks

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