Blutgruppe und Corona: Gibt es einen Zusammenhang?

Bestimmte Blutgruppen sollen Corona-Infizierte seltener schwer erkranken lassen – so die Vermutung einiger Forschenden. Belege für diesen Zusammenhang gibt es keine.

AutorIn:
Review:  Bernd Kerschner 

Hat die Blutgruppe Einfluss auf die Wahrscheinlichkeit, dass eine Covid-19-Erkrankung einen schweren Verlauf nimmt oder zum Tod führt?

Es gibt keine verlässlichen Hinweise darauf, dass Menschen mit einer bestimmten Blutgruppe schwerer an Covid-19 erkranken als mit einer anderen. Studienergebnisse dazu sind schlecht abgesichert und teilweise widersprüchlich.

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©Shutterstock - ChaNaWiT Die Blutgruppe beeinflusst das Risiko für bestimmte Erkrankungen. Gehört auch Covid-19 dazu?
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Die Frage nach der Blutgruppe ist wichtig, wenn es um Blut- oder Organspenden geht. Ihr Einfluss geht jedoch möglichweise weit darüber hinaus. So beeinflusst etwa die Blutgruppe 0 die Blutgerinnung und kann auf diesem Weg das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall verringern. Menschen mit der Blutgruppe A scheinen aus unklaren Gründen wiederum etwas häufiger an Magenkrebs zu erkranken als andere [3]. Manche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler suchen daher seit Beginn der Pandemie auch nach einem möglichen Zusammenhang zwischen der Blutgruppe und Covid-19. Doch verringern manche Blutgruppen tatsächlich das Risiko, schwer an Covid-19 zu erkranken oder daran zu versterben?

Blutgruppe und Covid-19: Große Unsicherheit

Die aktuellste Übersichtsarbeit die wir finden konnten fasst die Ergebnisse von 63 Studien zu dieser Frage zusammen [1]. Doch diese sind aufgrund von Mängeln wenig aussagekräftig, und ihre Ergebnisse teilweise widersprüchlich. Eine zufriedenstellende Antwort können sie nicht geben.

Die Daten deuten an, dass Menschen mit der Blutgruppe B etwas seltener an Covid-19 versterben könnten als andere. Umgekehrt gibt es vorsichtige Hinweise darauf, dass Covid-19-Todesfälle bei Menschen mit Blutgruppe A etwas häufiger sind. Für Blutgruppe 0 deuten die Studiendaten keinen Einfluss an.

Die Effekte sind jedoch klein und die Ergebnisse mit großer Unsicherheit behaftet.  Daher schenken wir den Ergebnissen kein großes Vertrauen.

Einfluss auf Covid-Verlauf unwahrscheinlich

Das Forschungsteam der Übersichtsarbeit untersuchte außerdem, ob die Blutgruppe das Risiko beeinflusst, im Fall einer Covid-19 Erkrankung im Spital oder auf der Intensivstation behandelt werden zu müssen. Hier scheinen die gefundenen Ergebnisse im Widerspruch zum Einfluss der Blutgruppe auf die Sterbewahrscheinlichkeit zu stehen: Die Forschenden fanden keinen Zusammenhang zwischen bestimmten Blutgruppen und der Schwere der Erkrankung.

Direkter oder indirekter Zusammenhang?

Zudem ist gut möglich, dass es für die scheinbaren Zusammenhänge mit dem Sterberisiko andere Gründe als die Blutgruppe gibt: So kann die Blutgruppe das Risiko für andere Erkrankungen erhöhen, wie etwa Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Diabetes. Diese Erkrankungen wiederum können den Verlauf von Covid-19 beeinflussen. Das wurde in den Studien jedoch nicht näher untersucht.

Den Einfluss der Blutgruppe auf die Gesundheit ohne Verzerrungen zu erforschen, gestaltet sich generell schwierig. Denn die Verteilung der Blutgruppen in verschiedenen Erdteilen und ethischen Gruppen ist sehr unterschiedlich. Wenn eine Blutgruppe in einer sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppe häufiger vorkommt, wird sie auch unter den Todesfällen durch Covid-19 häufiger auftauchen, ohne selbst der Grund für den schwereren Verlauf der Krankheit zu sein.

Insgesamt sind die vorhandenen Daten nicht aussagekräftig genug, um einen Zusammenhang zwischen der Blutgruppe und dem Verlauf einer Covid-19-Erkrankung zu belegen oder auszuschließen. Sicher ist, dass niemand aufgrund ihrer oder seiner Blutgruppe vor einem schweren Covid-19-Verlauf geschützt ist.

Blutgruppe A und 0 am häufigsten

Welcher Blutgruppe man angehört, bestimmen winzige Moleküle, die auf der Oberfläche der roten Blutkörperchen sitzen. Die Blutkörperchen mancher Menschen tragen ein spezielles Molekül, das den Namen A erhalten hat; manche solche mit dem Molekül B. Wenige Menschen tragen beide Moleküle und damit die seltenste Blutgruppe, nämlich AB. Sitzt keines der beiden Moleküle auf den Blutkörperchen, spricht man von der Blutgruppe 0 [6].

In Österreich haben etwa 41 Prozent der Menschen die Blutgruppe A, rund 37 Prozent die Blutgruppe 0, gefolgt von B (15%) und AB (7%) [5].

Die Einteilung in vier Blutgruppen ist die älteste und bekannteste – aber keinesfalls die einzige. Seit ihrer Entdeckung um 1900 durch den österreichischen Mediziner Karl Landsteiner sind noch etwa dreißig andere Blutgruppenmerkmale beschrieben worden. Dazu zählt auch der Rhesusfaktor, der bestimmt, ob man „Rh positiv“ oder „Rh negativ“ ist. Abgesehen vom Rhesusfaktor, spielen diese Merkmale in der Medizin allerdings eine eher untergeordnete Rolle [6].

Blutgruppe und Gesundheit: Vieles im Dunkeln

Schon lange besteht die Vermutung, der Einfluss der Blutgruppen könnte weit über das Blut hinausgehen. Dabei handelt es sich keineswegs um moderne Wahrsagerei: Für manche Erkrankungen kann die Blutgruppe durchaus eine Rolle spielen. So haben Menschen mit der Blutgruppe 0 deutlich geringere Mengen des sogenannten von-Willebrand-Faktors im Blut. Dieser Stoff ist für die Blutgerinnung mitverantwortlich. Gefäßverschlüsse durch Blutgerinnsel (Thrombosen) scheinen dadurch bei diesen Menschen seltener zu sein. Das dürfte wiederum zu einem etwas verringertem Risiko für Herz-Kreislauferkrankungen führen [3].

Die Blutgruppe 0 dürfte vor schweren Verläufen von Malaria schützen. Das hat dazu geführt, dass diese Blutgruppe in von Malaria betroffenen Gebieten Afrikas weit häufiger vorkommt als in der restlichen Welt. An Cholera dürften Menschen mit Blutgruppe 0 dagegen schwerer erkranken als andere [3,4]. Die Mechanismen, die hinter diesen Beobachtungen stecken, liegen allerdings noch im Dunkeln.

Kein Einfluss auf Demenz oder Diäterfolg

Behauptungen, denen zufolge die Blutgruppe AB das Risiko für Demenz erhöhen soll, scheinen falsch zu sein, wie wir in einem anderen Artikel bereits herausgefunden haben.

Ob eine bestimmte Ernährungsweise gemäß der Blutgruppe – die sogenannte „Blutgruppen-Diät“ – Sinn macht, haben wir uns hier angesehen.

Die Studien im Detail

In einer aktuellen Übersichtsarbeit [1] fassen die Autorinnen und Autoren die Ergebnisse von 63 Studien zusammen. Darin flossen die Daten von insgesamt 6.470.438 Personen ein. Knapp die Hälfte der Studien wurden in Europa durchgeführt, etwa ein Viertel in Amerika; die restlichen in Afrika und Asien.

Die Forschungsteams hinter den Studien gingen der Frage nach, ob die Blutgruppe von Covid-19-Erkrankten deren Risiko beeinflusst, aufgrund der Erkrankung im Spital behandelt zu werden oder daran zu versterben. Das wurde in insgesamt 42 Studien untersucht.

Daten aus Kohortenstudien…

Wie untersuchten die Forschungsteams das? Sie beobachteten Personen mit unterschiedlichen Blutgruppen, die an Covid-19 erkrankt waren oder sich zumindest mit dem Coronavirus angesteckt hatten. Manche der erkrankten Personen wurden zuhause wieder gesund, andere mussten im Spital behandelt werden. Einige der Personen verstarben im Zuge der Erkrankung. Anschließend zählten die Forschenden, wie häufig jede Blutgruppe bei jenen Personen vorkam, die im Spital behandelt wurden oder verstorben sind. Dann verglichen sie diese mit den Blutgruppen-Häufigkeiten der leicht Erkrankten, die ohne Spitalsaufenthalt wieder gesund geworden waren. Man nennt dieses Studiendesign auch Kohortenstudie.

…und Fall-Kontroll-Studien

In anderen Studien erhoben Forschungsteams die Blutgruppe von Personen, die wegen Covid-19 im Spital behandelt wurden oder an der Erkrankung verstorben waren. Anschließend verglichen sie die Verteilung der einzelnen Blutgruppen mit jener der leicht Erkrankten beziehungsweise mit jener derer, die überlebt hatten. Manchmal dienten zum Vergleich auch statistische Daten zur Blutgruppen-Häufigkeit aus der Gesamtbevölkerung. Die Frage der Forschenden: War unter den schwer Erkrankten oder Verstorbenen eine bestimmte Blutgruppe besonders selten beziehungsweise häufig vertreten? Dieses Studiendesign nennt heißt Fall-Kontroll-Studie.

Kein Hinweis auf schweren Verlauf bei bestimmten Blutgruppen

Die Forschenden fanden keinen Hinweis darauf, dass im Fall einer Covid-19-Erkrankung Personen mit einer bestimmten Blutgruppe öfter im Spital oder auf der Intensivstation behandelt werden müssen. Das zeigten die zusammengefassten Ergebnisse von 31 Studien, die das untersucht haben.

Weniger Todesfälle bei Blutgruppe B, mehr bei A?

Die Wahrscheinlichkeit, im Fall einer Covid-19-Erkrankung oder Coronavirus-Infektion zu versterben, wurde in 27 Studien untersucht. Die zusammengefassten Ergebnisse deuten geringfügig mehr Todesfälle bei Menschen mit der Blutgruppe A im Vergleich zu Menschen mit anderen Blutgruppen an. Außerdem etwas weniger bei Menschen mit der Blutgruppe B. Für die Blutgruppe 0 oder AB war kein Effekt feststellbar.

All diese Ergebnisse sind mit großer Vorsicht zu betrachten. Ihre Schwankungsbreite ist groß und die einzelnen Studien kommen zu unterschiedlichen und manchmal widersprüchlichen Ergebnissen.

Forschung mit Stolpersteinen

Zu erforschen, ob die Blutgruppe einen Einfluss auf den Verlauf einer Covid-19-Erkrankung hat, ist nicht einfach. Denn auf dem Weg zu verlässlichen Studienergebnissen gibt es einige Stolpersteine, die schwer zu umgehen sind [2]. Es ist zum Beispiel möglich, dass die Blutgruppe der Erkrankten nur indirekt Einfluss auf die Covid-19-Erkrankung hatte: Es könnte sein, dass Personen mit der Blutgruppe A häufiger andere Erkrankungen hatten, die wiederum das Risiko für einen schweren Covid-19-Verlauf erhöhen.

Wie häufig einzelne Blutgruppen in einer Region vorkommen, wird oft anhand von Daten aus sogenannten Blutbanken bestimmt, also Daten von Blutspenderinnen und -spendern. Es ist möglich, dass diese Daten nicht mit der tatsächlichen Verteilung in der Bevölkerung übereinstimmen. Werden die Blutgruppen von Covid-19-Patientinnen und -Patienten dann mit den Blutgruppen in den Blutbanken verglichen, könnten manche Blutgruppen bei den Erkrankten fälschlicherweise häufiger oder seltener erscheinen.

Blutgruppen-Forschung und soziale Gerechtigkeit

Erschwerend kommt hinzu, dass die Verteilung der Blutgruppen in verschiedenen Erdteilen und Ethnien sehr unterschiedlich ist [6]. Wenn eine Blutgruppe in einer sozial benachteiligten Bevölkerungsgruppe häufiger vorkommt, wird sie auch unter den Todesfällen durch Covid-19 häufiger auftauchen, ohne selbst der Grund für den schwereren Verlauf der Krankheit zu sein. Ein Beispiel: Die Blutgruppe 0 ist bei aus Afrika stammenden Menschen häufiger als bei Europäerinnen und Europäern. In den USA haben Afroamerikanerinnen und Afroamerikaner im Durchschnitt ein geringeres Einkommen und schlechteren Zugang zu medizinischer Versorgung. Studien in den USA könnten dadurch womöglich zu dem Ergebnis kommen, Menschen mit der Blutgruppe 0 hätten ein höheres Risiko, an Covid-19 zu versterben. Dabei wäre aber nicht die Blutgruppe verantwortlich für das höhere Risiko, sondern die soziale Ungleichheit [2].

Geschlecht, Gesundheitszustand, Einkommen oder ethnische Zugehörigkeit der untersuchten Personen wurden in den Blutgruppen-Studien nicht berücksichtigt. Das Risiko für Verzerrung der Ergebnisse ist deshalb hoch.

Schutz vor Infektion durch Blutgruppe 0?

Das Forschungsteam der Übersichtsarbeit [1] untersuchten auch, ob sich Trägerinnen und Träger einer bestimmten Blutgruppe weniger häufig mit SARS-CoV-2 anstecken. Studienergebnisse deuten etwas weniger Infektionen bei Menschen mit der Blutgruppe 0 an. Wir halten diese Ergebnisse allerdings für wenig verlässlich, denn die Studien waren sehr unterschiedlich und hatten grobe Mängel. In manchen Studien wurde eine Infektion beispielsweise nur mit Antigen-Schnelltests überprüft. Diese sind weit weniger verlässlich als ein PCR-Test.

[1] Gutierrez-Valencia u.a. (2021)

Studientyp: Systematische Übersichtsarbeit

Studien: 63 Kohortenstudien, Fall-Kontrollstudien und Querschnittsstudien mit insgesamt 6.470.438 Personen

Fragestellung: Hat die Blutgruppe Einfluss auf das Risiko, sich mit SARS-CoV-2 zu infizieren, schwer an Covid-19 zu erkranken oder daran zu versterben?

Interessenskonflikte: Keine laut Forschungsteam

Gutiérrez‐Valencia, M., Leache, L., Librero, J., Jericó, C., Enguita Germán, M., & García‐Erce, J. A. (2021). ABO blood group and risk of COVID‐19 infection and complications: A systematic review and meta‐analysis.Transfusion. (Studie in voller Länge)

[2] Bai u.a. (2021)
Bai, Y., Yan, Z., & Murray, E. J. (2021). Systematic review of the association between ABO blood type and COVID-19 incidence and mortality. medRxiv. (Studie in voller Länge)

[3] Liumbruno & Franchini (2013)
Liumbruno, G. M., & Franchini, M. (2013). Beyond immunohaematology: the role of the ABO blood group in human diseases. Blood transfusion, 11(4), 491. (Studie in voller Länge)

[4] UpToDate (2021)
Cholera: Microbiology and pathogenesis. Abgerufen am 31.1.2022 unter www.uptodate.com

[5] Gesundheit.gv.at
Abgerufen am 31.1.2022 unter www.gesundheit.gv.at

[6] UpToDate (2021)
Red blood cell antigens and antibodies. Abgerufen am 31.1.2022 unter www.uptodate.com

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