Dieser Beitrag ist älter als vier Jahre, möglicherweise hat sich die Studienlage inzwischen geändert.

Ballaststoffe: nutzlos zur Vorbeugung von Darmkrebs?

Eine Umstellung auf ballaststoffreiche Ernährung oder die Einnahme von Flohsamen oder Weizenkleie sollen Darmkrebs vorbeugen. Studien sprechen gegen diese Theorie.

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Kann die Umstellung auf eine ballaststoffreichere Ernährung Darmkrebs vorbeugen?

Bisherigen Studien zufolge scheint die regelmäßige Einnahme von Weizenkleie oder Flohsamenschalen über einen Zeitraum von bis zu vier Jahren das Risiko für Darmkrebs-Vorstufen und Darmkrebs nicht verringern zu können. Das gilt auch für eine umfassende Umstellung auf eine Ernährung mit hohem Ballaststoffanteil.

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© marilyn barbone - shutterstock.com Vollkorn-Produkte, Obst und Gemüse sind reich an Ballaststoffen
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Darmkrebs gehört zu den häufigsten Krebserkrankungen. Etwa 2 bis 3 von 100 Österreicherinnen und Österreichern bekommen im Laufe ihres Lebens die Diagnose Darmkrebs, etwa 1 von 100 Personen stirbt daran. Männer sind häufiger betroffen als Frauen [2].

Angeblich kann eine ballaststoffreichere Ernährung Darmkrebs vorbeugen – eine Behauptung, die die Medien oft aufgreifen.

Weniger Gift, weniger Krebs?

Ballaststoffe sind pflanzliche Nahrungsbestandteile und unverdaulich. Sie sind vor allem in Vollkornprodukten, Gemüse und Obst enthalten. Eine Ernährung mit einem hohen Anteil dieser ballaststoffreichen Nahrungsmittel gilt als gesund [4].

Ballaststoffe verkürzen die Zeit, die der Stuhl im Darm verbringt. Manche Fachleute vermuten daher, dass durch die schnellere Ausscheidung möglicherweise auch krebsauslösende Giftstoffe den Darm rascher verlassen [3].

Ist es tatsächlich möglich, das Darmkrebsrisiko mit einem Mehr an Ballaststoffen zu verringern?

Laut Studien: keine Risikoreduktion

Bisher durchgeführte Studien [1] deuten darauf hin, dass das nicht funktioniert. In den besten bislang vorliegenden Untersuchungen wurden Frauen und Männer per Zufall einer von zwei Gruppen zugelost. Eine Gruppe sollte vermehrt ballaststoffreiche Nahrungsmittel essen, während sich die zweite Gruppe ballaststoffarm oder weiter nach bisherigen Gewohnheiten ernährte.

Zwei bis acht Jahre später bekamen die Teilnehmenden aus beiden Gruppen eine Darmspiegelung. Mit dieser Untersuchung lässt sich überprüfen, ob im Darm Polypen gewachsen sind. Polypen sind gutartige Wucherungen. Aus manchen von ihnen entsteht Darmkrebs.

Die an den Studien beteiligten Forscherinnen und Forscher konnten keinen Unterschied zwischen den beiden Gruppen feststellen. Bei Teilnehmenden, die sich ballaststoffreicher ernährten, gab es ähnlich häufig Darmpolypen wie bei der anderen Gruppe. Die ballaststoffreichere Ernährung scheint das Risiko für Polypen also nicht verringert zu haben.

Dabei war offenbar egal, welche Ballaststoffe eingenommen wurden: Ob Weizenkleie, ob Flohsamen oder eine allgemein ballaststoffreiche und „bunte“ Ernährung mit Vollkorn, Hülsenfrüchten, Kohl- und anderem Gemüse sowie Obst – in keiner Studie stellte sich der erhoffte Schutzeffekt ein.

Achtung: kurze Beobachtungszeiten

Im Laufe der Studien sind auch einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer an Darmkrebs erkrankt. Es waren nicht genug für aussagekräftige Hochrechnungen. Die wenigen Fälle sprechen jedoch gegen einen Schutzeffekt. Eine längere Laufzeit wäre hier wichtig für mehr Klarheit, da Darmkrebs viele Jahre benötigt, um zu entstehen.

Die teilnehmenden Frauen und Männer haben in der Vergangenheit bereits Polypen gehabt [1]. Diese waren zwar vor Studienbeginn entfernt worden. Dennoch war die Wahrscheinlichkeit, wieder Polypen zu bekommen, bei den Testpersonen höher als in der Durchschnittsbevölkerung.

Scheinbarer Widerspruch

Woher kommt eigentlich die weitverbreitete Annahme von den krebsvorbeugenden Ballaststoffen? Sie hat ihren Ursprung aus den Ergebnissen von so genannten Beobachtungsstudien – einer Studienart mit eingeschränkter Aussagekraft. Tatsächlich gibt es Beobachtungsstudien, in denen jene Menschen seltener an Darmkrebs erkranken, die sich ballaststoffreich ernähren.

Diese Beobachtungen sind allerdings kein Beweis für eine Schutzwirkung. Denn Menschen, die sich ballaststoffreich ernähren, können möglicherweise mehr auf ihre Gesundheit achten. Sie haben vielleicht ein höheres Einkommen zur Verfügung und bessere Bildungschancen, machen eventuell mehr Sport, essen ausgewogener, rauchen nicht, trinken nur wenig Alkohol und sind seltener übergewichtig.

Es ist also denkbar, dass das verringerte Krebsrisiko an diesen Einflussfaktoren liegt und nicht an den Ballaststoffen. Auch Einflüsse wie genetische Veranlagung, Arbeitsbedingungen oder Zugang zu Gesundheitseinrichtungen könnten dafür verantwortlich sein. Auch in guten Beobachtungsstudien ist es nicht möglich, all diese Einflussfaktoren vollständig zu kennen, zu erfassen und für ein solides Ergebnis „herauszurechnen“.

Zufall bringt belastbare Ergebnisse

Aussagekräftiger sind randomisiert-kontrollierte Studien – und diese sprechen nicht für einen krebsvorbeugenden Effekt. In solchen Studien werden die Teilnehmenden nicht nur beobachtet, sondern per Zufall (randomisiert) entweder einer ballaststoffreichen oder einer ballaststoffarmen Ernährung zugeteilt. Der Zufall sorgt dafür, dass Menschen mit unterschiedlichsten Merkmalen (etwa Übergewichtige, Raucherinnen und Raucher oder sportliche Teilnehmende) gleichmäßig in beiden Gruppen verteilt sind. Dadurch verzerren bekannte und unbekannte Einflüsse das Ergebnis nicht mehr, weil sie einander aufwiegen, und die Aussagekraft steigt.

Ballaststoffe sinnlos?

Das Darmkrebs-Risiko scheint durch ein paar Jahre mit ballaststoffreicher Ernährung also nicht zu sinken. Das bedeutet jedoch nicht, dass Ballaststoffe generell nutzlos für die Gesundheit sind.

So können Ballaststoffe für eine gute Verdauung sorgen. Die unverdaulichen Pflanzenbestandteile machen den Stuhl weich und können Verstopfung vorbeugen [5]. Bei einem Reizdarmsyndrom scheinen Flohsamenschalen die Beschwerden lindern zu können [7].

Beobachtungsstudien geben außerdem Hinweise darauf, dass eine ballaststoffreiche Ernährung mit viel Vollkorn die Wahrscheinlichkeit verringert, frühzeitig an anderen Krebsformen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder sonstigen Ursachen zu sterben (siehe „Ist Vollkorn gesünder?“ ). Beobachtungsstudien können allerdings nicht zweifelsfrei belegen, dass tatsächlich die Ballaststoffe in den Vollkornprodukten für diese lebensverlängernde Wirkung verantwortlich sind.

Eine ballaststoffreiche Ernährung kann auch Nachteile haben. Da der Körper diese Pflanzenstoffe nicht verdauen kann, werden sie von Darmbakterien zersetzt. Dabei entstehen Gase, die zu Blähungen und Bauchschmerzen führen können [6].

Ballaststoffe: welche und wie viele?

Es gibt unterschiedliche Arten von Ballaststoffen. Manche sind in Wasser löslich: zum Beispiel aus Flohsamenschalen, Haferflocken oder Hülsenfrüchten wie Bohnen und Erbsen. Unlösliche Ballaststoffe kommen hingegen vor allem in Vollkornprodukten, Weizenkleie sowie Pflanzenfasern aus Gemüse und Obst vor.

Ernährungsfachleute empfehlen, täglich zwischen 20 und 35 Gramm Ballaststoffe zu verzehren [6]. In den meisten Studien entsprach diese Menge einer „ballaststoffreichen“ Ernährung [1]. Mit rund 20 Gramm durchschnittlich [9] liegen Herr und Frau Österreicher am unteren Ende diesen Empfehlungen.

Hintergrundinfo zu Darmkrebs

Darmpolypen sind weit verbreitet. Bei rund einem Drittel der Erwachsenen über 55 Jahre finden sich ein oder mehrere Polypen im Darm [8]. Aus der Mehrzahl dieser Wucherungen entsteht niemals Krebs.

Das Risiko für Darmkrebs nimmt mit dem Alter zu. Bei Menschen unter 50 Jahren ist Darmkrebs sehr selten, die meisten Betroffenen sind über 75 Jahre alt. Bei rund zwei von drei Personen mit dieser Diagnose lässt sich der Krebs heilen [8].

Wer an den chronisch entzündlichen Darmerkrankungen Colitis ulcerosa oder Morbus Crohn leidet, hat eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für Darmkrebs. Auch eine erbliche Veranlagung kann das Risiko steigern. Ernährung, Diabetes oder Übergewicht scheinen das Risiko für Darmkrebs nur gering zu beeinflussen.

Eine Möglichkeit, Darmkrebs vorzubeugen sind Untersuchungen zur Früherkennung – auch wenn man sich gesund fühlt und keine Beschwerden hat. Mittels Stuhltest oder Darmspiegelung werden Polypen oder Krebs frühzeitig erkannt und lassen sich dann zeitig entfernen.

Mehr wissenschaftlich gesicherte Informationen zu Darmkrebs und seinen Früherkennungs-Methoden bietet das unabhängige Portal Gesundheitsinformation.de

Die Studien im Detail

Für ihre systematische Übersichtsarbeit [1] durchsuchte eine US-amerikanische Forschungsgruppe im April 2016 mehrere medizinische Datenbanken nach aussagekräftigen Studien. Insgesamt fand sie fünf randomisiert-kontrollierte Studien zur Auswirkung von Ballaststoffen auf die Entwicklung von Darmpolypen und Darmkrebs. An den Studien nahmen 4798 Männer und Frauen mit einem Altersdurchschnitt von 56 bis 66 Jahren teil. Die Studien dauerten mindestens zwei bis maximal acht Jahre.

Die Menge der verzehrten Ballaststoffe schwankte je nach Studie. In der Ballaststoff-Gruppe waren es zwischen 13,5 und 35 Gramm pro Tag. Die Teilnehmenden der Vergleichsgruppe ernährten sich entweder weiter wie bisher oder gezielt ballaststoffarm mit 2 bis 3 Gramm Ballaststoffen täglich.

Die Art der Ballaststoffe schien in den Studien keinen Unterschied für das Darmkrebsrisiko zu machen. Egal ob die Testpersonen täglich ein paar Löffel Flohsamenschalen (lösliche Ballaststoffe) oder Weizenkleie (unlösliche Ballaststoffe) einnahmen – beides konnte die Entstehung von Darmpolypen nicht einschränken [1].

Auch eine erhöhter den Anteil an ballaststoffreichen Nahrungsmitteln in ihren Mahlzeiten mit mehr Vollkorn, Hülsenfrüchten, Kohl- und anderem Gemüse sowie Obst über acht Jahre konnte die Wahrscheinlichkeit für die Entstehung von Darmpolypen nicht verringern.

Mängel in der Durchführung schränken die Aussagekraft der Studien ein. So haben insgesamt 16 Prozent der Testpersonen die Teilnahme vorzeitig abgebrochen. Die Gründe dafür sind nicht angegeben. Daher ist unklar, wie lange sich die Studienabbrecherinnen und -abbrecher von jenen unterschieden, die bis zum Ende dabei waren. Das erhöht die Unsicherheit der Studienergebnisse stark.

In drei Studien war den Teilnehmenden zudem bewusst, ob sie der Ballaststoff-Gruppe oder der Kontrollgruppe ohne ballaststoffreiche Nahrungsmittel zugeteilt worden waren. Dadurch war es theoretisch möglich, dass die Erwartung und Verhalten der Testpersonen das Ergebnis verzerrten. Beispielsweise könnten die Mitglieder der Kontrollgruppe versucht haben, gesünder zu leben, um auch ohne Ballaststoffe ihr Krebsrisiko so günstig zu beeinflussen.

Die Aussagekraft ist auch geschmälert, weil die Studien nur zwischen zwei und vier Jahre lang dauerten. In einem so kurzen Zeitraum ist die Wahrscheinlichkeit sehr gering, dass sich aus Polypen Darmkrebs entwickelt. Für eine große vierjährige Studie wurden die Teilnehmenden zwar noch einmal vier Jahre lang nachbeobachtet. Doch in diesem Zeitraum traten zu wenig Krebsfälle auf, um gut abgesicherte Schlüsse zwischen Ballaststoffen und Darmkrebs-Risiko ziehen zu können.

Die rechnerische Zusammenfassung (Metaanalyse) der fünf Studien gibt also keinen Hinweis darauf, dass Ballaststoffe Darmpolypen oder Krebs vorbeugen können. Im Gegenteil: Die Berechnung scheint sogar anzudeuten, dass Krebsfälle mit ballaststoffreicher Ernährung häufiger auftreten.

Mit insgesamt 23 Betroffenen ist die Anzahl der Darmkrebsfälle in den Studien aber zu klein, um ein Zufallsergebnis ausschließen zu können Die Ergebnisse sind daher kein Beleg dafür, dass Ballaststoffe das Krebsrisiko erhöhen.

[1] Yao u.a. (2017)
Studientyp: Systematische Übersichtsarbeit und Meta-Analyse
Analysierte Studien: 5 randomisiert-kontrollierte Studien
Teilnehmende insgesamt: 4798 Personen, die in der Vergangenheit bereits Darmpolypen gehabt haben (Durchschnittsalter zwischen 56 und 66)
Fragestellung: Senkt eine Umstellung auf eine ballaststoffreiche Ernährung das Risiko für Darmkrebs?
Interessenkonflikte: keine laut Autorinnen und Autoren

Yao Y, Suo T, Andersson R, Cao Y, Wang C, Lu J, Chui E. Dietary fibre for the prevention of recurrent colorectal adenomas and carcinomas. Cochrane Database Syst Rev. 2017 Jan 8;1:CD003430. (Zusammenfassung der Übersichtsarbeit)

Weitere wissenschaftliche Quellen

[2] Statistik Austria (2019)
Krebserkrankungen – Dickdarm, Enddarm. Abgerufen am 26.3.2019 unter www.statistik.at

[3] IQWIG (2018)
Darmkrebs-Vorbeugung: Welche Rolle spielt der Lebensstil? Abgerufen am 26.3.2019 unter www.gesundheitsinformation.de

[4] UpToDate (2019)
Colditz GA. Healthy diet in adults. In Kunins L (ed.). UpToDate. Abgerufen am 26.3.2019 unter www.uptodate.com (Zugriff kostenpflichtig)

[5] IQWIG (2017)
Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. Vergrößerte Hämorrhoiden – Wie lassen sich Verstopfungen vermeiden? Abgerufen am 28.3.2019 unter www.gesundheitsinformation.de

[6] UpToDate (2019)
Wald E. Patient education: High-fiber diet (Beyond the Basics). Abgerufen am 1.4.2019 unter www.uptodate.com

[7] IQWIG (2016)
Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. Was hilft bei Reizdarm – und was nicht? Abgerufen am 28.3.2019 unter www.gesundheitsinformation.de

[8] IQWIG (2018)
Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen. Darmkrebs. Abgerufen am 28.3.2019 unter www.gesundheitsinformation.de

[9] Rust u.a. (2017)
Rust P, Hasenegger V, König J. Österreichischer Ernährungsbericht 2017. Department für Ernährungswissenschaften der Universität Wien. Abgerufen am 1.4.2019 unter https://ernaehrungsbericht.univie.ac.at

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