Dieser Beitrag ist älter als vier Jahre, möglicherweise hat sich die Studienlage inzwischen geändert.

Baldrian: pflanzliches Schlafmittel mit Fragezeichen

Baldrian als beliebtes Hausmittel. Es gibt aber keine guten Hinweise darauf, dass Baldrian wirksam gegen Schlafstörungen ist.

AutorIn:
Review:  Claudia Christof 

Hilft Baldrian bei Schlafstörungen?

Baldrian ist beliebt. Studien konnten bisher aber keine guten Nachweise zur Wirksamkeit gegen Schlafstörungen erbringen.

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© Twin Design - shutterstock.com Schlafstörungen: ist Baldrian eine Lösung?
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Gesunde Erwachsene verschlafen etwa sieben Stunden pro Tag bzw. Nacht. Kinder verbringen rund neun Stunden im Bett, ältere Menschen nur sechs – soweit die Statistik. Individuell brauchen wir etwas mehr oder weniger Schlaf, gewisse Schwankungen sind völlig normal [3].

Jeder Fünfte findet keine Ruhe

Problematisch wird es für diejenigen, die über einen längeren Zeitraum mehr als drei Mal pro Woche Probleme beim Ein- oder Durchschlafen haben. Dann spricht man von Schlafstörungen.

Personen mit Schlafstörungen brauchen beispielsweise lange, um einzuschlafen. Oder sie wachen nachts auf und liegen dann, trotz Müdigkeit, wach. Oder sie werden frühmorgens munter, lange bevor der Wecker klingelt, und können nicht mehr schlummern.

So geht es fast jedem fünften Menschen. Ältere Personen und Frauen sind besonders häufig von Schlafstörungen betroffen [3]. Die Ursachen sind vielfältig. Dazu zählen etwa Stress, Sorgen, bestimmte Medikamente, Lärm und Schichtarbeit.

Wunsch nach Hilfe aus der Natur

Schlafstörungen können sich massiv auf die Gesundheit und das Wohlbefinden auswirken und viele Lebensbereiche negativ beeinflussen. Sie sind oft behandlungsbedürftig: Es gibt einerseits verschreibungspflichtige Schlaftabletten, die nur über einen begrenzten Zeitraum eingenommen werden dürfen, weil sie viele Nebenwirkungen haben und abhängig machen können.

Deswegen erhoffen sich viele Betroffene Hilfe von pflanzlichen Beruhigungs- und Schlafmitteln [3]. Denn diese sind rezeptfrei erhältlich, und sie gelten als natürlich und sicher – auch wenn die Sicherheit und Wirksamkeit von pflanzlichen Mitteln oft kaum erforscht sind. Neben Hopfen, Melisse und anderen Arzneipflanzen soll auch Baldrian für einen ruhigen, erholsamen Schlaf sorgen.

Wurzel der Ruhe?

Baldrian – von dem es über 250 Arten gibt – hat eine lange Tradition in der Volksmedizin; seit hunderten Jahren soll er Nervosität, Stress und Schlafprobleme lindern. Bei uns wird insbesondere der Echte Baldrian (Valeriana officinalis) genutzt. Aus Baldrianwurzeln werden beispielsweise Extrakte für Kapseln hergestellt [6,7].

Trotz seiner Beliebtheit hat die Wissenschaft bisher keine guten Beweise für die Wirksamkeit von Baldrian als Schlafmittel sammeln können. Es gibt zwar eine Reihe von Studien über Baldrian – viele davon hatten nur wenige Teilnehmer, maßen unterschiedliche Symptome und verwendeten verschiedene Baldrian-Dosierungen. Und so waren die Ergebnisse bisheriger Studien oft weder belastbar noch untereinander vergleichbar [5,6]. Dies macht es schwierig, über eine mögliche (Un-)Wirksamkeit von Baldrian zu urteilen.

Stand des Wissens

Die Autorinnen und Autoren zweier Übersichtsarbeiten [1,2] haben sich davon nicht abschrecken lassen und lieferten eine gute Zusammenfassung zum aktuellen Stand des Wissens über Baldrianmittel. Wiewohl die Übersichtsarbeiten gut gemacht sind, kann dies nicht darüber hinweg täuschen, dass ihnen Studienmaterial zugrunde liegt, das etliche Mängel hat und daher eventuell die Realität nicht gut widerspiegelt.

  • Es ist nicht belegt, dass Baldrian dabei helfen kann, rascher einzuschlafen [1,2].
  • Es ist auch nicht belegt, dass die Mittel für einen längeren Schlaf sorgen [2] oder so wirken, dass die Schlafenszeit besser ausgenutzt wird [2].
  • Auch in punkto Schlafqualität [1,2] konnten Studien insgesamt keine deutliche Verbesserung zeigen – allerdings gibt es hier widersprüchliche Ergebnisse.
  • Denn Testpersonen hatten während der Baldrianeinnahme den Eindruck, dass sich ihre Schlafstörungen gebessert hätten [1].

Weiter Forschungsgebiete

Die bisherige Forschung zu Baldrian hat also keine eindeutigen Ergebnisse erbracht. Sie konnten weder eindeutig zeigen noch ausschließen, dass Baldrian bei Schlafstörungen wirksam ist. Mehr Studien über die Wirksamkeit und Sicherheit sind durchaus wünschenswert, da die Pflanzenmittel beliebt sind. Mögliche Fragen in diesen Studien wären beispielsweise:

  • Gibt es vielleicht bestimmte Baldrian-Arten, die wirksamer sind als andere?
  • Welche Rolle spielen etwa Anbau, Ernte, Gewinnung des Extrakts?
  • Welche Darreichungsform (Tropfen, Dragées, Tee usw.) sind eher wirksam?
  • Gibt es die erwünschten Effekte erst ab einer bestimmten Dosis?
  • Wie lange dauert es bis sich ein Effekt einstellt?
  • Ist die langfristige Einnahme sicher?
  • Hilft Baldrian eventuell besser bei einer bestimmten Bevölkerungsgruppe, bei einer bestimmten Form von Schlafstörung?
  • Welche Nebenwirkungen kann Baldrian auslösen? So ist etwa bekannt, dass Baldrian, in hohen Mengen verzehrt, die Leber schädigen kann [4]. Baldrian wird auch mit Nebenwirkungen wie Durchfall, Übelkeit und Bauchkrämpfen in Verbindung gebracht [1,2] [7].

Für einen besseren Schlaf

Eine bessere Schlafhygiene [3,5] kann, in Kombination mit anderen Maßnahmen, gegen Schlafstörungen helfen. Zum Beispiel: einige Stunden vor dem Schlafengehen nicht mehr viel essen und auf Kaffee, Nikotin und Alkohol verzichten. Wichtig ist auch, einen regelmäßigen Schlafrhythmus einzuhalten und untertags keine Nickerchen einzulegen. Während leichte Bewegung wie Spazierengehen den Schlaf verbessern soll, wird von anstrengenden Sportarten schon einige Stunden vor dem Schlafengehen abgeraten.

Hilfreich sein kann in manchen Fällen eine Kognitive Verhaltenstherapie. Ziel dieser psychologischen Behandlung ist es, Denkmuster und Verhaltensweisen zu verändern, die vom Schlaf abhalten können. Schlaftabletten werden nur bei schweren Schlafstörungen vorübergehend verschrieben, da sie rasch abhängig machen und starke Nebenwirkungen haben können [3].

Die Studien im Detail

Um die Wirksamkeit von Baldrian-Präparaten einschätzen zu können, fasste ein spanisches Forschungsteam 18 randomisiert-kontrollierte Studien mit 1317 Teilnehmerinnen und Teilnehmern zusammen [1]. Die Studien dauerten mindestens vier, maximal 56 Tage.

Die Ergebnisse zeigten im großen Überblick, dass Baldrian-Mittel die Schlafdauer im Vergleich zu Scheinmedikamenten (Placebo) nicht verlängern konnten. Wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gebeten, die Qualität ihres Schlafs auf einer Skala zu bewerten, gab es keinen Unterschied zwischen der Baldrian-Gruppe und der Placebo-Gruppe.

Auf Fragen, ob sie das Gefühl hätten, nun besser zu schlafen, antworteten die Probandinnen und Probanden aus der Baldrian-Gruppe häufiger mit „Ja“ als Personen aus der Placebo-Gruppe. Ein durchaus widersprüchliches Ergebnis, das nur durch weitere Studien mit ausreichend vielen Teilnehmerinnen und Teilnehmern aufgeklärt werden kann.

Eine weitere Übersichtsarbeit [2] zu verschiedenen pflanzlichen Schlafmitteln hat u.a. die Ergebnisse von zwölf Baldrian-Studien mit insgesamt 1356 Probandinnen und Probanden analysiert. Einige dieser Studien sind auch in die bereits erwähnte Übersichtsarbeit aus 2010 [1] eingeflossen.

Die einzelnen Studien hatten 14 bis 434 erwachsene Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die nach Zufallsprinzip entweder Baldrianmittel bekamen oder Placebopräparate. In einer Studie gab es zwecks Vergleich ein homöopathisches Mittel (statt Placebo), in einer anderen ein bewährtes Schlafmittel. Die kürzeste Untersuchung dauerte einen Tag, die längste sechs Wochen.

Die Autorinnen und Autoren zogen, wo es sinnvoll war, Vergleiche zwischen einzelnen Studien. In der großen Zusammenschau der Studien schnitt Baldrian nicht signifikant besser (oder schlechter) ab als seine Alterativen. Es gab also keinen deutlichen Unterschied zwischen Baldrian und Placebo bei der Zeit bis zum Einschlafen, bei der insgesamt schlafend verbrachten Zeit oder bei der effizienten Ausnutzung der Schlafenszeit. Wie auch bei der 2010 erschienenen Übersichtsarbeit [2] zeichnete sich auch in punkto Schlafqualität kein eindeutiger Trend ab.

Die Autorinnen und Autoren weisen darauf hin, dass das Verzerrungspotenzial der zugrunde liegenden Studien oft nicht klar war – daher sind die darauf fußenden Ergebnisse mit viel Vorsicht zu genießen. Bessere Studien könnten den derzeitigen Wissensstand durchaus noch verändern.

[1] Fernandez-San-Martin u.a. (2010)
Studienart: systematische Übersichtsarbeit
Eingeschlossene Studien: 18 randomisiert-kontrollierte Studien
Studiendauer: 4 – 56 Tage
Teilnehmer insgesamt: 1317 Patienten mit Schlafstörungen (zwischen 5 und 434 pro Studie)
Fragestellung: Baldrian-Präparate im Vergleich zu Placebo-Präparaten gegen Schlafstörungen
Mögliche Interessenskonflikte: keine angegeben

Fernández-San-Martín MI, Masa-Font R, Palacios-Soler L, Sancho-Gómez P, Calbó-Caldentey C, Flores-Mateo G. Effectiveness of Valerian on insomnia: a meta-analysis of randomized placebo-controlled trials. Sleep Med. 2010 Jun;11(6):505-11. (Zusammenfassung der Übersichtsarbeit) (kritische Bewertung der Übersichtsarbeit)

[2] Leach & Page (2015)
Studienart: systematische Übersichtsarbeit
Eingeschlossene Studien: 12 randomisiert-kontrollierte Studien
Studiendauer: 1 Tage bis 6 Wochen
Teilnehmer insgesamt: 1356 Patienten (14 bis 434 pro Studie)
Fragestellung: Sind pflanzliche Mittel (u.a. Baldrian) wirksam und sicher?
Mögliche Interessenskonflikte: keine laut Autorinnen und Autoren

Leach MJ, Page AT. Herbal medicine for insomnia: A systematic review and meta-analysis. Sleep Med Rev. 2015 Dec;24:1-12. (Zusammenfassung der Übersichtsarbeit)

Weitere wissenschaftliche Quellen

[3] IQWIG (2017)
Schlafstörungen. Abgerufen am 24. 12. 2017 unter https://www.gesundheitsinformation.de/schlafstoerungen.2179.de.html

[4] UpToDate (2018)
Treatment of insomnia in adults. Abgerufen am 24. 1. 2018 unter https://www.uptodate.com/contents/treatment-of-insomnia-in-adults

[5] DynaMed (2017)
Insomnia in adults. Abgerufen am 9. 1. 2018 unter http://www.dynamed.com/login.aspx?direct=true&site=DynaMed&id=114839

[6] NIH Office of Dietary Supplements (2013)
Valerian. Fact Sheet for Health Professionals. Abgerufen am 13. 1. 2018 https://ods.od.nih.gov/factsheets/Valerian-HealthProfessional/

[7] European Medicines Agency (2016)
Valerianae radix. Abgerufen am 13. 1. 2018 unter http://www.ema.europa.eu/ema/index.jsp?curl=pages/medicines/herbal/medicines/herbal_med_000015.jsp&mid=WC0b01ac058001fa1d

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