Dieser Beitrag ist älter als vier Jahre, möglicherweise hat sich die Studienlage inzwischen geändert.

Lebensmittelfarben: knallbunt und ungesund

Azofarbstoffe könnten Aufmerksamkeitsstörungen und Hyperaktivität bei Kindern verstärken. Dafür gibt es klare Hinweise, auch wenn die endgültige Bestätigung noch aussteht.

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Verursachen Azo-Lebensmittelfarbstoffe Aufmerksamkeitsstörungen und Hyperaktivität bei Kindern?

Einige Studien nähren den Verdacht, dass Azo-Farben ADHS-Symptome verschlimmern können.

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© stockphoto-graf - fotolia.com Azo-Farbstoffe: buntes Gesundheitsrisiko?
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Welches Kind liebt es nicht, am Süßigkeitenstand bei der knallbunten Auswahl an Zuckerln, Schleckern und Gummi-Naschzeug nach Herzenslust zuzugreifen? Je farbenfroher, desto beliebter sind Süßigkeiten bei Kindern. Dass Zahnärzte davon nicht genauso begeistert sind, verwundert nicht. Möglicherweise sollten aber auch Eltern, Kindergartenerzieherinnen und Lehrkräfte Bedenken haben.

Es sind nicht nur die großen Mengen Zucker, die sich auf die Gesundheit der kleinen Naschkatzen auswirken könnten. Gerade die leuchtend bunten Lebensmittelfarben sollten zum Nachdenken anregen. Ein großer Teil davon sind künstlich hergestellte Azofarbstoffe, mit deren Hilfe die Süßwarenindustrie ihre Produkte optisch aufpeppt. Diese stehen allerdings im Verdacht, Kinder unkonzentriert und zappelig werden zu lassen. Doch was heißt das genau?

Lebensmiffelfarben Ursache für Zappelphilipp-Syndrom?

Seit dem Jahr 2010 verpflichtet die EU Hersteller, Lebensmittel mit Azofarbstoffen mit dem Hinweis zu versehen „Kann Aktivität und Aufmerksamkeit von Kindern beeinträchtigen“. Auslöser dafür waren Ergebnisse einer Studie der britischen Lebensmittelbehörde FSA. Demnach wurden die rund 300 teilnehmenden Kinder hyperaktiver, nachdem sie einen Mix aus verschiedenen Azo-Lebensmittelfarben erhalten hatten – zumindest dem Urteil von Eltern und Lehrkräften zufolge [1]. Die Studie war allerdings nur mäßig gut gemacht und taugt nicht als eindeutiger Beweis.

Die zusammengefassten Ergebnisse dieser und anderer bisher veröffentlichter Studien liefern jedoch deutliche Hinweise darauf, dass künstliche Lebensmittelfarben eine Aufmerksamkeits- und Hyperaktivitätsstörung (ADHS) auslösen können. Im Volksmund ist diese auch als Zappelphilipp-Syndrom bekannt.

Viele, aber nicht alle der untersuchten Farbstoffe waren Azo-Farbstoffe. Die Symptome der teilnehmenden Kinder verschlechterten sich nicht nur nach Konsum der Lebensmittelfarbstoffe, sie verbesserten sich auch geringfügig, wenn die Kinder die Farbstoffe komplett vermieden [2] [3].

Die möglichen Auswirkungen von Azo-Lebensmittelfarben sind allerdings eher gering. Die grell-bunten Färbemittel könnten zwar eine Teilursache von ADHS sein – mit Sicherheit existieren aber noch viele weitere, unbekannte Auslöser [5].

Krebsrisiko unzureichend geprüft

Zahlreiche Medien schreiben, dass Azo-Lebensmittelfarbstoffe im Verdacht stehen, Krebs zu verursachen. Laut europäischer Lebensmittelbehörde EFSA gibt es dafür keine Anhaltspunkte, die „Beweislage der Daten“ deute nicht auf ein solches Risiko hin [9].

Gänzlich ausschließen kann die Behörde ein solches Risiko aber nicht. 2013 kam die EFSA zum Schluss, dass für einzelne Azo-Lebensmittelfarbstoffe weitere Tests durchgeführt werden müssen, um eine mögliche Krebsgefahr ausräumen zu können. Dennoch sind sie weiterhin zugelassen. Betroffen sind die Farbstoffe Amaranth (E 123), Cochenillerot A (E 124), Gelborange S (E 110), Tartrazin (E 102) und Azorubin/Carmoisin (E 122) [10].

Bestimmte Azo-Farben, die früher beispielsweise in Leder, Textilien, Schmuck oder Kosmetikartikel verwendet wurden, können im Körper tatsächlich in krebserregende Stoffe umgewandelt werden [7] [8]. Diese Farbstoffe sind jedoch spätestens seit dem Jahr 2002 EU-weit verboten. In Lebensmitteln waren sie auch davor nicht zu finden.

Asthma und Allergien durch Lebensmittelfarben?

Ob Azofarbstoffe Allergien verstärken beziehungsweise Asthma auslösen oder verschlimmern können, ist nicht abschließend geklärt. Bisher existieren nur mangelhafte Studien zum gelben Azofarbstoff Tartrazin. Laut denen scheint Tartrazin aber kein Asthma auslösen zu können. Asthmatiker, die den Farbstoff vermeiden, scheinen ihre Symptome dadurch ebenfalls nicht bessern zu können [4] [6].

Es existieren allerdings einzelne Fälle, in denen Personen auf Azo-Lebensmittelfarbstoffe mit einer Unverträglichkeit reagierten. Symptome können Juckreiz, Schwellungen, Rötungen im Gesicht bis hin zu Atembeschwerden sein [11]. Unverträglichkeiten von Azofarbstoffen sind aber selten. Die EFSA schätzt, dass Azo-Farb-Unverträglichkeiten weniger als eine unter 100 Personen betreffen, bei denen Juckreiz und Schwellungen aufgrund von Nahrungsmittelunverträglichkeiten auftreten [11].

Die Studien im Detail

Dass Azofarbstoffe schuld an Verhaltensauffälligkeiten von Kindern sein könnten, legt eine sauber gemachte Zusammenfassung bisheriger Studien nahe [2]. Die Verfasser dieser systematischen Übersichtsarbeit analysierten Studien, in denen Kinder mit ADHS-Symptomen eine Zeit lang nur Azofarbstoff-freie Nahrung bekamen, ohne dass sie dies wussten. Im Vergleich zu Kindern, die weiter Azofarbstoffe zu sich nahmen, verringerten sich die Verhaltensauffälligkeiten geringfügig.

Eine weitere systematische Übersichtsarbeit [3] kommt zu ähnlichen Schlüssen. In ihr wurden auch Studien analysiert, in denen Verhalten und Aufmerksamkeit der Kinder untersucht wurden, nachdem sie Azofarbstoffe zu sich genommen hatten. Dabei schätzten die Eltern die Verhaltensänderungen der teilnehmenden Kinder jedoch weniger auffällig ein als Lehrkräfte oder unabhängige Beobachter.

Insgesamt waren die analysierten Studien in beiden systematischen Übersichtsarbeiten nur von mittelmäßiger Qualität. Auch aufgrund der geringen Teilnehmerzahl müssen die Ergebnisse daher durch weitere Studien abgesichert werden.

Asthmakranken bringt der Verzicht nichts

Ob Personen mit Asthma davon profitieren, wenn sie den gelben Azo-Farbstoff Tartrazin vermeiden, untersuchten die Autoren einer systematischen Übersichtsarbeit der Cochrane Collaboration [4]. Die zusammengefassten Studien bis zum Jahr 2006 sind zwar von mangelhafter Qualität, deuten allerdings nicht darauf hin. Auch eine neuere Einzelstudie liefert dem evidenzbasierten Ärzteinformationsdienst UpToDate zufolge keine Hinweise darauf, dass sich Asthma- oder Allergiesymptome bessern, wenn man Tartrazin-hältige Nahrungsmittel meidet [6].

Die europäische Lebensmittelbehörde EFSA fasst Studien und Fallberichte zusammen, in denen eine Überempfindlichkeit gegenüber Azofarbstoffen untersucht wird. Dabei kommt die Behörde zum Schluss, dass gut gemachte Studien fehlen, um die allergieauslösende Wirkung solcher Farbstoffe klar beurteilen zu können [11].

[1] McCann u.a. (2007)
Studienart: doppelblinde und Placebo-kontrollierte Crossover-Studie
Teilnehmer: 153 3-jährige und 144 8- bis 9-jährige Kinder
Fragestellung: Lösen Mischungen aus Azo-Lebensmittelfarbstoffen und dem Konservierungsmittel Benzoesäure ADHS-Symptome aus?
Mögliche Interessenskonflikte: keine laut Autoren

McCann D, Barrett A, Cooper A, Crumpler D, Dalen L, Grimshaw K, Kitchin E, Lok K, Porteous L, Prince E, Sonuga-Barke E, Warner JO, Stevenson J. Food additives and hyperactive behaviour in 3-year-old and 8/9-year-old children in the community: a randomised, double-blinded, placebo-controlled trial. Lancet. 2007 Nov 3;370(9598):1560-7. (Zusammenfassung der Studie)

[2] Sonuga-Barke u.a. (2013)
Studienart: systematische Übersichtsarbeit und Meta-Analyse
Eingeschlossene Studien: u.a. 7 randomisiert kontrollierte Studien zu Lebensmittelfarbstoffen
Teilnehmer: 294 Kinder in den Studien zu Lebensmittelfarbstoffen
Fragestellung: unter anderem: Bessert die Vermeidung künstlicher Lebensmittelfarbstoffe ADHS-Symptome?
Mögliche Interessenskonflikte: Unterstützung durch Brain Products GmbH, Janssen-Cilag, Eli Lilly, Medice, Shire und Vifor

Sonuga-Barke, E. J., Brandeis, D., Cortese, S., Daley, D., Ferrin, M., Holtmann, M., … & Sergeant, J. (2013). Nonpharmacological interventions for ADHD: systematic review and meta-analyses of randomized controlled trials of dietary and psychological treatments. American Journal of Psychiatry, 170(3), 275-289. (Übersichtsarbeit in voller Länge) (Kritische Zusammenfassung in voller Länge)

[3] Nigg u.a. (2012)
Studienart: systematische Übersichtsarbeit und Meta-Analyse
Eingeschlossene Studien: 6 randomisiert kontrollierte Studien zu Lebensmittelfarbstoffen
Teilnehmer: 195 Kinder
Fragestellung: Bessert die Vermeidung künstlicher Lebensmittelfarbstoffe ADHS-Symptome?
Mögliche Interessenskonflikte: Finanzierung durch das North American Branch of the International Life Sciences Institute sowie die National Confectioners Association

Nigg JT, Lewis K, Edinger T, Falk M. Meta-analysis of attention deficit/hyperactivity disorder or attention-deficit/hyperactivity disorder symptoms, restriction diet, and synthetic food color additives. J Am Acad Child Adolesc Psychiatry. 2012 Jan;51(1):86-97.e8.
(Übersichtsarbeit in voller Länge)

[4] Ardern (2006)
Studienart: systematische Übersichtsarbeit
Eingeschlossene Studien: 6 randomisiert-kontrollierte Studien
Fragestellung: Verursacht der gelbe Azofarbstoff Tartrazin Asthma-Anfälle?
Mögliche Interessenskonflikte: keine laut Autoren

Ardern K. Tartrazine exclusion for allergic asthma. Cochrane Database of Systematic Reviews 2001, Issue 4. Art. No.: CD000460 (Zusammenfassung der Übersichtsarbeit)

Weitere wissenschaftliche Quellen

[5] UpToDate (2014)
Krull KR (2014). Attention deficit hyperactivity disorder in children and adolescents: Epidemiology and pathogenesis. In Torchia MM (ed.). UpToDate. Abgerufen am 26.3.2015 unter http://www.uptodate.com/contents/attention-deficit-hyperactivity-disorder-in-children-and-adolescents-epidemiology-and-pathogenesis

[6] UpToDate (2014)
Simon RA (2014). Allergic and asthmatic reactions to food additives. In Feldweg AM (ed.). UpToDate. Abgerufen am 26.3.2015 unter http://www.uptodate.com/contents/allergic-and-asthmatic-reactions-to-food-additives

[7] Umweltbundesamt (1999)
Fassold E, Häusler G, Hohenblum P, Scharf S (1999). Azofarbstoffe in Leder und Textilien. Umweltbundesamt, Wien. Abgerufen am 26.3.2015 unter http://www.umweltbundesamt.at/fileadmin/site/publikationen/R159.pdf

[8] Feng u.a. (2012)
Feng J, Cerniglia CE, Chen H. Toxicological significance of azo dye metabolism
by human intestinal microbiota. Front Biosci (Elite Ed). 2012 Jan 1;4:568-86. (nicht-systematische Übersichtsarbeit in voller Länge)

[9] EFSA (2013)
European Food Safety Authority. Häufig gestellte Fragen zu Farbstoffen in Lebens- und Futtermitteln. Abgerufen am 31.3.2015 unter http://www.efsa.europa.eu/de/faqs/faqfoodcolours.htm

[10] EFSA ANS Panel (2013)
EFSA Panel on Food Additives and Nutrient Sources Added to Food, 2013. Statement on Allura Red AC and other sulphonated mono azo dyes
authorised as food and feed additives. EFSA Journal 2013;11(6):3234, 25 pp http://www.efsa.europa.eu/en/efsajournal/doc/3234.pdf

[11] EFSA Panel (2010)
EFSA Panel on Dietetic Products, Nutrition and Allergies (NDA); Scientific
Opinion on the appropriateness of the food azo-colours Tartrazine (E 102), Sunset Yellow FCF (E 110), Carmoisine (E 122), Amaranth (E 123), Ponceau 4R (E 124), Allura Red AC (E 129), Brilliant Black BN (E 151), Brown FK (E 154), Brown HT (E 155) and Litholrubine BK (E 180) for inclusion in the list of food ingredients set up in Annex IIIa of Directive 2000/13/EC. EFSA Journal 2010;8(10):1778. [11pp.]. http://www.efsa.europa.eu/en/scdocs/doc/1778.pdf

Der Artikel wurde ursprünglich am 2. April 2015 veröffentlicht. Eine neuerliche Literatursuche brachte keine neuen Erkenntnisse.

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