Arginin: Schutz von Herz und Kreislauf nicht belegt

Arginin soll für eine bessere Durchblutung sorgen und den Blutdruck senken. Ob die Aminosäure tatsächlich Herz und Kreislauf schützt, ist nicht ausreichend untersucht.

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Hat die Einnahme von Arginin bei bestehenden Herz-Kreislauf-Erkrankungen einen Nutzen oder verhindert Arginin deren Entstehung?

Wir haben nur eine einzige kleine Studie gefunden, die eine für die Betroffenen spürbaren Nutzen untersucht hat. Bei Patientinnen und Patienten mit Herzschwäche hat die Einnahme von Arginin weder die körperliche Belastbarkeit noch die Lebensqualität verbessert. Wie verlässlich diese Ergebnisse sind, können wir wegen fehlender Details nicht abschließend bewerten. Daher können wir auch keine Aussagen zum Nutzen von Arginin treffen.

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© StoryTime Studio - Shutterstock.com Arginin einnehmen und dem Herzen etwas Gutes tun?
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Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind in Deutschland und Österreich weit verbreitet und stellen die häufigste Todesursache dar [2]. Neben Medikamenten spielen bei der Vorbeugung und Behandlung auch Fragen des Lebensstils eine wichtige Rolle. So gelten etwa Übergewicht, Rauchen oder zu wenig Bewegung als Risikofaktoren für Erkrankungen wie koronare Herzkrankheit oder Herzschwäche [3, 4].

Im Internet werden zum Schutz von Herz und Kreislauf Präparate mit Arginin, meist in Form von Nahrungsergänzungsmitteln, angepriesen. Sie sollen davor bewahren, dass Probleme an Herz und Kreislauf entstehen oder sich verschlechtern. Aber ist das auch tatsächlich belegt?

Gefäßweitender Botenstoff

Die Theorie dahinter klingt erst einmal ganz plausibel: Arginin ist eine Aminosäure, aus der im Körper unter anderem der Botenstoff Stickstoffmonoxid (NO) gebildet wird. Dieser Schritt passiert in den Zellen, die die Blutgefäße von innen auskleiden, den so genannten Endothel-Zellen.

NO sorgt dafür, dass sich die Blutgefäße weiten. Bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen könnte dieser Mechanismus günstig sein. Denn bei geweiteten Blutgefäßen sinkt der Blutdruck, die Durchblutung verbessert sich. Der Herzmuskel wird besser mit Sauerstoff versorgt, und das Herz kann leichter pumpen.

Ein NO-Mangel in den Endothel-Zellen, so vermuten einige Fachleute, begünstigt möglicherweise die Entstehung einer Arteriosklerose („Gefäßverkalkung“). Diese wiederum erhöht zum Beispiel das Herzinfarkt-Risiko [5].

Mechanismen sind keine Belege

Allerdings müssen sich solche Überlegungen auch im praktischen Test nachweisen lassen: Nämlich in Untersuchungen, in denen Menschen Arginin einnehmen.

Deshalb haben wir auch nach solchen klinischen Studien gesucht und uns dabei auf jene mit der höchsten Aussagekraft beschränkt: Nämlich Studien mit einer Kontrollgruppe, bei denen die Teilnehmenden nach dem Zufallsprinzip der Behandlung mit Arginin oder einem anderen Mittel zugeteilt und dann über einen gewissen Zeitraum beobachtet wurden.

Keine spürbare Wirkung

Bei einer umfassenden Sichtung der Studienlage sind wir hauptsächlich auf Studien gestoßen, die Blutdruckveränderungen nach der Einnahme von Arginin gemessen haben. Oder die Studienteams untersuchten, ob und wie gut sich die Blutgefäße mit und ohne Arginin erweiterten.

Diese Messgrößen erlauben aber keine sicheren Schlussfolgerungen dazu, was für Patientinnen und Patienten tatsächlich wichtig ist. Deshalb haben wir diese Studien nicht näher analysiert.

Wir haben gezielt nur nach Studien gesucht, die Herzinfarkte und Schlaganfälle erfasst haben – oder andere spürbare Verschlechterungen von bestehenden Erkrankungen an Herz oder Kreislauf. Wir haben auch recherchiert, ob es aussagekräftige Studien zu Vorbeugeeffekten gibt.

Enttäuschendes Ergebnis

Doch wir haben lediglich eine einzige kleine Studie [1] mit Arginin finden können, die bedeutsame Ergebnisse erhoben hat. Dabei nahmen Patientinnen und Patienten mit Herzschwäche entweder Arginin oder ein Scheinmedikament zusätzlich zu ihren bestehenden Herz-Medikamenten ein.

Nach drei Monaten wurden die Ergebnisse der beiden Gruppen verglichen, und die Studienautoren kamen zu einem eher ernüchternden Ergebnis: In der Arginin-Gruppe hatten sich im Vergleich zur Placebo-Gruppe weder Lebensqualität noch körperliche Belastbarkeit der Teilnehmenden verbessert.

Viele Fragen offen

Solide Schlussfolgerungen lassen sich aus dieser Studie jedoch nicht ziehen, denn dafür war sie zu klein und die Laufzeit zu kurz, und die Veröffentlichung lässt viele Fragen offen. Deshalb können wir die Qualität der Studie nicht abschließend beurteilen.

Es fehlen auch Einzelheiten zur Erhebung von unerwünschten Wirkungen. Bei einigen wenigen Teilnehmenden kam es nach der Einnahme von Arginin beispielsweise zu Hautausschlag sowie Kraftlosigkeit. Wegen der geringen Zahl an Teilnehmenden und der kurzen Studiendauer lässt sich die Verträglichkeit von Arginin mit diesen Angaben nicht bewerten.

Fraglich ist aus unserer Sicht auch, wie gut die Ergebnisse dieser Studie mit Herzschwäche-Betroffenen auf Menschen mit anderen Arten von Herz-Kreislauf-Erkrankungen übertragbar sind.

Unerlaubte gesundheitsbezogene Aussagen

Die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat aufgrund der mangelhaften wissenschaftlichen Datenlage übrigens untersagt, dass Nahrungsergänzungsmittel mit Arginin mit bestimmten Gesundheitsaussagen werben dürfen. Dazu gehören Behauptungen, wonach Arginin etwa zu einer gesunden Durchblutung oder einem normalen Blutdruck beiträgt [6].

Die Studien im Detail

Die einzige Studie [1], die wir zu unserer Frage identifizieren konnten, schloss 68 Patientinnen und Patienten ein und umfasste damit relativ wenige Teilnehmende. Derartig kleinen Studiengrößen begünstigen Zufallsbefunde, und die Ergebnisse sollten deshalb mit Vorsicht betrachtet werden.

Die Teilnehmenden im durchschnittlichen Alter von 64 Jahren waren an einer mittelgradigen Herzschwäche erkrankt. Die Pumpfunktion des Herzens war deutlich eingeschränkt. Das ist ein wichtiges Krankheitsbild, aber keineswegs ein geeigneter Stellvertreter für alle Arten von Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Es ist also nicht klar, ob die Ergebnisse dieser Studien auf Personen mit anderen Krankheiten von Herz und Kreislauf übertragbar sind.

Zusätzlich zu Medikamenten

Die Teilnehmenden wurden nach dem Zufallsprinzip auf zwei Gruppen aufgeteilt: Über einen Zeitraum von drei Monaten erhielt die eine Gruppe täglich insgesamt sechs Gramm Arginin als Nahrungsergänzung, auf drei Einzelportionen verteilt. Die andere Gruppe bekam ein Scheinmedikament. Zusätzlich nahmen alle Teilnehmenden ihre üblichen Medikamente zur Behandlung der Herzschwäche weiterhin ein.

In der Studie wurden diverse Effekte gemessen. Als solide stufen wir die Erhebung der Lebensqualität mittels Fragebogen sowie den Test zur körperlichen Belastbarkeit ein. Dabei ausschlaggebend: welche Strecke die Patientinnen und Patienten zu Fuß innerhalb von sechs Minuten zurücklegen können.

Der Bericht zu dieser Studie lässt jedoch viele Fragen zu den Details der Durchführung und Auswertung offen, so dass wir die Qualität der Studie nicht abschließend beurteilen können.

[1] Fontanive (2009)
Studientyp: randomisierte kontrollierte Studie
Teilnehmer: 68 Patientinnen und Patienten mit Herzschwäche
Fragestellung: Verbessert die Einnahme von Arginin die Beschwerden bei Herzschwäche?
Interessenkonflikte: keine Angaben

Fontanive P u.a. Effects of L-arginine on the Minnesota Living With Heart Failure Questionnaire Quality-Of-Life Score in Patients With Chronic Systolic Heart Failure. Med Sci Monit 2009, 15: CR606-11.
(Zusammenfassung)
(Freier Volltext)

Weitere wissenschaftliche Quellen

[2] Statistik Austria (2019) Todesursachen. (Abruf 26.06.2020)

[3] IQWiG (2017) Koronare Herzkrankheit. (Abruf 26.06.2020)

[4] IQWiG (2018) Herzschwäche. (Abruf 26.06.2020)

[5] UpToDate (2020) Coronary artery endothelial dysfunction: Basic concepts. (Abruf 26.06.2020)

[6] European Food Safety Authority (EFSA). Scientific Opinion on the substantiation of health claims related to L-arginine and “immune system functions” (ID 455, 1713), growth or maintenance of muscle mass (ID 456, 1712, 4681), normal red blood cell formation (ID 456, 664, 1443, 1712), maintenance of normal blood pressure (ID 664, 1443), improvement of endothelium-dependent vasodilation (ID 664, 1443, 4680), “physical performance and condition” (ID 1820), “système nerveux” (ID 608), maintenance of normal erectile function (ID 649, 4682), contribution to normal spermatogenesis (ID 650, 4682), “function of the intestinal tract” (ID 740), and maintenance of normal ammonia clearance (ID 4683) pursuant to Article 13(1) of Regulation (EC) No 1924/2006. EFSA Journal 2011;9:2051

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