Dieser Beitrag ist älter als vier Jahre, möglicherweise hat sich die Studienlage inzwischen geändert.

Nutzen von Zahnseide ist unzureichend erforscht

Gesunde Zähne und Zahnfleisch durch die regelmäßige Verwendung von Zahnseide? Ausreichend wissenschaftlich belegt ist die oft wiederholte Empfehlung nicht.

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Schützt die tägliche Benutzung von Zahnseide vor Karies, Parodontitis und Zahnverlust?

Möglicherweise kann das regelmäßige Reinigen der Zahnzwischenräume mit Zahnseide bei leichten Zahnfleischentzündungen helfen. Allerdings gibt es keine guten Studien, die untersuchen, ob das bei gesundem Zahnfleisch vorbeugend gegen Entzündungen wirkt. Die Wirkung auf die Entstehung von Plaque ist unklar. Gar keine Studien gibt es zur Frage, ob die Verwendung von Zahnseide zu weniger Karies, Parodontitis oder Zahnverlust führt.

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© simpili - fotolia.com Zahnseide: doch keine gute Wirksamkeit?
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Rote Bissspuren am Apfel, geschwollenes Zahnfleisch oder pochende Zahnschmerzen können nicht nur unangenehme Wegbegleiter sein, sondern im schlimmsten Fall auch zu Zahnverlust führen. Neben diesen unangenehmen Anzeichen von Zahnfleischerkrankungen und Karies plagt Betroffene oft noch zusätzlich das schlechte Gewissen: „Hätte ich doch auf meine Zahnärztin gehört, meine Zähne konsequenter gepflegt und die empfohlene Zahnseide verwendet!“

Zahnbelag entfernen – auch mit Zahnseide?!

Brutstätte für die krankmachenden Keime ist der Zahnbelag, auch Plaque genannt. Er besteht aus Speichel, Nahrungsresten, Bakterien und deren Stoffwechselprodukten und legt sich als klebriger Biofilm auf die Zähne. Speziell an schwer zugänglichen Stellen wie den Zahnzwischenräumen kann das mit der Zeit Probleme verursachen [6] [7] [8] [9].

Um ein strahlendes Lächeln zu erhalten, soll dieser Zahnbelag durch zweimal tägliches Zähneputzen möglichst gründlich entfernt werden. Und weil die Zahnbürste nicht überall hingelangt, wird seit Jahrzehnten empfohlen, die Zahnzwischenräume zusätzlich mit Zahnseide von Speiseresten und Zahnbelägen zu befreien.

Zahnseide unter Beschuss

Doch gerade diese Empfehlung ist nun gehörig unter Druck geraten: Ein amerikanisches Reporterteam hatte nach Nachweisen für die tägliche Zahnseide-Empfehlung gesucht, aber praktisch keine gefunden hat. Die „Dietary Guidelines for Americans“ – Leitlinien, die nach bester wissenschaftlicher Evidenz formuliert werden müssen – ließ daraufhin ihre jahrzehntelange Zahnseide-Empfehlung stillschweigend aus der Neuauflage der Leitlinien verschwinden.

Das war kommentarlos geschehen – aber blieb nicht unbemerkt. Im Gegenteil, die Wogen gingen weltweit hoch. Denn das tägliche Verwenden von Zahnseide wird seit Ewigkeiten als Um und Auf gründlicher Zahnpflege propagiert.

Alles Humbug? Wir haben uns noch einmal durch die Studien gewühlt, die zu dem Thema erschienen sind.

Studienlage nicht ausreichend für Zahnseide-Empfehlung

Obwohl gebetsmühlenartig wiederholt, wurde die Wirksamkeit von Zahnseide auf die Zahngesundheit tatsächlich bisher kaum näher untersucht. Es ist also nicht klar, ob Zahnseide tatsächlich dazu führt, dass seltener Karies, Zahnfleischentzündungen oder Parodontitis entstehen oder die Zähne länger erhalten bleiben. In den wenigen Studien, die es gibt, werden lediglich Vorstufen und Symptome der oralen Schreckensgespenster – wie Plaque, Blutungen oder Zahnfleischentzündung – untersucht, nicht aber Langzeiteffekte [1] [2] [4].

Eine Übersichtsarbeit fand lediglich bei leicht entzündetem Zahnfleisch eine Tendenz: Das regelmäßige Nachputzen mit Zahnseide könnte die Entzündungen möglicherwiese leicht bessern [1]. Allerdings sind die zugrundeliegenden Studien von schlechter Qualität, das Ergebnis ist also alles andere als gesichert.

Ob sich für Personen mit gesunden Zähnen und intaktem Zahnfleisch der zusätzliche Aufwand lohnt, bleibt ebenso offen wie die Frage, inwieweit Zahnseide bei schweren Zahnfleischentzündungen helfen kann.

Viele Fragen zu Zahnseide ohne Antwort

Gute Studien fehlen auch zu möglichen Nebenwirkungen. So ist vorstellbar, dass die „scharfe“ Zahnseide bei falscher Verwendung zu Verletzungen am Zahnfleisch führt, was Entzündungen sogar noch befördern könnte.

Tatsächlich gibt es Hinweise darauf, dass die richtige Putztechnik mit Zahnseide entscheidend für den Erfolg und das Vermeiden von Nebenwirkungen sein könnte: Die seitlichen Zahnflächen sollten demnach durch vorsichtige Auf-und Ab-Bewegungen von Zahnbelägen befreit werden [1] [2] [5].

Ebenfalls unbeantwortet bleibt aus bisherigen Studien die Frage, wie oft welche Art von Zahnseide angewendet werden sollte.

Und die Tatsache, dass an den meisten Studien wesentlich mehr Frauen als Männer teilnahmen, wirft die Frage auf, inwieweit deren Aussagen verallgemeinert werden können. Denn generell leiden Männer häufiger unter Zahnfleischentzündungen. Das Ergebnis könnte durch den hohen Frauenanteil also verzerrt sein.

Ein bisschen Hausverstand?!

Die bisherigen Studien helfen also nicht wirklich weiter: Weil sie zu wenige Leute über zu kurze Zeiträume hinweg beobachtet haben und zum Teil von schlechter Qualität sind, bieten sie keine ausreichende Grundlage für die allgemeine Empfehlung, täglich und schon ab dem Kindesalter Zahnseide zu verwenden.

Andererseits gibt es keinen Grund, das Kind mit dem Bade auszuschütten: Zwischen eng stehenden Zähnen bleiben Speisereste oft hängen. Und diese Speisereste sollten natürlich sehr wohl entfernt werden – nicht nur, um einen fauligen Geschmack im Mund zu vermeiden oder unangenehmen Druck durch Speise-Fasern von den Zähnen zu nehmen. Zahnseide kann dabei helfen.

Stehen die Zähne nicht zu eng, könnten auch Interdentalbürstchen nützlich sein. Mit diesen ist nicht nur das Reinigen der Zwischenräume einfacher zu handhaben. Möglicherweise könnten sie vor einer Entzündung des Zahnfleisches sogar etwas besser schützen als Zahnseide [10].

Weitere Maßnahmen:
Fluor-haltige Zahnpasten, möglicherweise auch Xylit-haltige Zahnpasta, könnten das Kariesrisiko senken und zu einem gesünderen Gebiss beitragen.

Richtig angewendet könnte unter Umständen auch eine elektrische Zahnbürste dazu beitragen, Zahnbelag und Zahnfleischbluten hintan zu halten.

Risikogruppen: Achtung!

Es gibt Gruppen, die eher dazu neigen eine Parodontitis zu entwickeln als andere. Dazu gehören schwangere Frauen oder Personen, die an Diabetes leiden. Auch wer raucht oder sich unausgewogen ernährt, sodass es zu Mangelerscheinungen kommt, hat ein höheres Risiko, die eigenen Beißerchen zu verlieren. Diese Personengruppen sollten jedenfalls verstärkt auf eine konsequente Mundhygiene achten und auch regelmäßig zu einem Zahnarzt oder einer Zahnärztin gehen [6] [7] [8].

Gingivitis und Parodontitis – die unterschätzte Gefahr

Warum hat Zahnseide überhaupt so eine hohe Bedeutung bekommen?

Als oberstes Ziel für gesunde Zähne gilt die Entfernung von Zahnbelägen und damit von Bakterien, die zu Zahnkrankheiten führen können [1] [5] [7]. Das sind einerseits die alt bekannten Karies, die den Zahn regelrecht zerfressen. Andererseits können in der zweiten Hälfte des Lebens aber auch gesunde Zähne verloren gehen: und zwar durch Parodontitis, im Volksmund auch Parodontose genannt, eine sich schleichend entwickelnde, zunächst schmerzlose, am Ende schwere Entzündung des so genannten „Zahnhalteapparates“. Der besteht aus dem Zahnfleisch, dem Kieferknochen und allerlei Fasern und Häuten dazwischen, die den Zahn im Knochen halten. Sind die jahrelang entzündet, können Zähne locker werden, ihre Stellung verändern und am Ende sogar ausfallen [6] [7] [8] – die gefürchtete Wirkung der Parodontitis.

Der Weg dorthin führt über die Gingivitis: also die Zahnfleischentzündung. Warnsignale sind Zahnfleischbluten beim Essen oder Zähneputzen, die jedoch oft ignoriert werden. Leider – denn eine Gingivitis ist noch gut behandelbar.

Wenn die Zahnhälse immer länger werden beziehungsweise der Zahn sogar wackelt oder das Zahnfleisch eitrig entzündet ist, kann es oft schon zu spät sein: Dann hat sich die Entzündung in die Tiefe ausgebreitet und Bindegewebe und Knochen, die dem Zahn Halt geben, beschädigt. Parodontitis ist entstanden.

Die kann übrigens nicht nur für die Zähne gefährlich sein: Die oft über lange Zeit ent- und bestehende Entzündung wird auch als Risikofaktor zum Beispiel für die Entstehung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder Schwangerschaftskomplikationen diskutiert [6] [7].

Die Studien im Detail

Die Studienlage zu den Auswirkungen von Zahnseide auf die Zahngesundheit ist dürftig. Die meisten Studien wurden von den Herstellern von Zahnpflegeprodukten finanziert und geplant, und fast immer lässt die Qualität sehr zu wünschen übrig [2, 3, 4].

Zu dieser Schlussfolgerung kommen auch die Autoren und Autorinnen einer systematischen Übersichtsarbeit der Cochrane Collaboration aus dem Jahr 2011 [1]. Sie wollten wissen, ob Erwachsene, die ihre Zähne nicht nur regelmäßig putzen, sondern zusätzlich auch Zahnseide verwenden, weniger Probleme mit Zahnfleischentzündungen und Karies haben. Dafür fassten sie die Ergebnisse von zwölf Studien zum Thema Zahnseide zusammen.

Gleich vorweg: Keine einzige der Studien befasste sich mit Karies als Langzeitfolge. Es wurde lediglich untersucht, ob Personen, die Zahnseide benutzten, weniger Plaque – bekanntlich entscheidend bei der Entstehung von Zahnfleischerkrankungen und Karies – spielt, oder ob sich bestehende leichte Zahnfleischprobleme besserten.

Keine Effekte nachweisbar

Bei jenen Testpersonen, die einen Monat lang zusätzlich ihre Zähne mit Zahnseide gereinigt hatten, besserte sich die Zahnfleischentzündung leicht. Keinen entscheidenden Vorteil brachte die Zahnseide hinsichtlich der Entstehung von Plaque.

Doch selbst die beobachtete geringe Besserung von Zahnfleischproblemen betrachtet das Cochrane-Team mit Skepsis, da jene Studien, die diese Tendenz beobachtet hatten, durchwegs von schlechter Qualität waren: Nur wenige Teilnehmer oder Teilnehmerinnen, zu kurze Beobachtungszeiträume, um tatsächlich auf eine Verbesserung schließen zu können, sowie das Problem, dass zu viele Frauen und zu wenige Männer an den Studien teilgenommen hatten, lassen keine seriösen Rückschlüsse auf die Wirksamkeit von Zahnseide zu.

Wir müssen also auf strengere, größere und über einen längeren Zeitraum hinweg durchgeführte Untersuchungen warten, bevor wir beurteilen können, ob sich der zusätzliche Aufwand für das Gebiss tatsächlich lohnt.

[1] Sambunjak u. a. (2011)
Studientyp: systematische Übersichtsarbeit und Meta-Analyse
Eingeschlossene Studien: 12 randomisiert-kontrollierte Studien, davon vier zu Atropin
TeilnehmerInnen insgesamt: 1083
Fragestellung: Hilft die zusätzliche Verwendung von Zahnseide in Kampf gegen Parodontitis und Karies?
Interessenskonflikte: keine

Sambunjak, D., Nickerson, J. W., Poklepovic, T., Johnson, T. M., Imai, P., Tugwell, P., & Worthington, H. V. (2011). Flossing for the management of periodontal diseases and dental caries in adults. Cochrane Database Syst Rev(12), CD008829. doi: 10.1002/14651858.CD008829.pub2 (Volltext der Studie)

Weitere wissenschaftliche Quellen

[2] Berchier u. a. (2008)
Berchier, C. E., Slot, D. E., Haps, S., & Van der Weijden, G. A. (2008). The efficacy of dental floss in addition to a toothbrush on plaque and parameters of gingival inflammation: a systematic review. Int J Dent Hyg, 6(4), 265-279. doi: 10.1111/j.1601-5037.2008.00336.x
(Zusammenfassung der Studie)

[3] Chapple u. a. (2015)
Chapple, I. L., Van der Weijden, F., Doerfer, C., Herrera, D., Shapira, L., Polak, D., . . . Graziani, F. (2015). Primary prevention of periodontitis: managing gingivitis. J Clin Periodontol, 42 Suppl 16, S71-76. doi: 10.1111/jcpe.12366
(Volltext der Studie)

[4] Corby u. a. (2008)

Corby, P. M., Biesbrock, A., Bartizek, R., Corby, A. L., Monteverde, R., Ceschin, R., & Bretz, W. A. (2008). Treatment outcomes of dental flossing in twins: molecular analysis of the interproximal microflora. J Periodontol, 79(8), 1426-1433. doi: 10.1902/jop.2008.070585
(Zusammenfassung der Studie)

[5] Wilder u. a. (2016)

Wilder, R. S., & Bray, K. S. (2016). Improving periodontal outcomes: merging clinical and behavioral science. Periodontol 2000, 71(1), 65-81. doi: 10.1111/prd.12125
(Zusammenfassung der Studie)

[6] UpToDate (2015)

Anthony W Chow, Epidemiology, pathogenesis, and clinical manifestations of odontogenic infections. Abgerufen am 14.08.2016 unter https://www.uptodate.com/contents/epidemiology-pathogenesis-and-clinical-manifestations-of-odontogenic-infections?source=see_link&sectionName=Association+with+cardiovascular+risk&anchor=H21#H21

[7] UpToDate (2016)

Rebecca S Wilder, Gingivitis and periodontitis in adults: Classification and dental treatment. Abgerufen am 14.08.2016 unter https://www.uptodate.com/contents/gingivitis-and-periodontitis-in-adults-classification-and-dental-treatment?source=search_result&search=gingivitis&selectedTitle=1%7E55

[8] IQWiG (2016)

Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, Systematische Behandlung von Parodontopathien. Abgerufen am 16.08.2016 unter https://www.iqwig.de/download/N15-01_Berichtplan_Systematische-Behandlung-von-Parodontopathien.pdf

[9] IQWiG (2016)

Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, Parodontitis. Abgerufen am 16.08.2016 unter https://www.iqwig.de/de/glossar.2727.html#parodontitis

[10] Poklepovic u. a. (2013)

Poklepovic, T., Worthington, H. V., Johnson, T. M., Sambunjak, D., Imai, P., Clarkson, J. E., & Tugwell, P. (2013). Interdental brushing for the prevention and control of periodontal diseases and dental caries in adults. Cochrane Database Syst Rev(12), CD009857. doi: 10.1002/14651858.CD009857.pub2

18. 4. 2017: Reihenfolge einzelner Absätze im Text verändert, aber keine inhaltlichen Änderungen

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