Dieser Beitrag ist älter als vier Jahre, möglicherweise hat sich die Studienlage inzwischen geändert.

Kann Wut einen Herzinfarkt verursachen?

Dass Wutanfälle das Herzinfarkt-Risiko erhöhen, klingt plausibel. Studien zeigen: Die Vermutung ist nicht aus der Luft gegriffen, gut belegt ist sie jedoch nicht.

Review:  Claudia Christof 

Kann ein Wutanfall einen Herzinfarkt auslösen?

Kann Wut über lange Zeit das Risiko für einen Herzinfarkt erhöhen?

Die Wahrscheinlichkeit eines Herzinfarkts ist möglicherweise in den Stunden nach einem Wutanfall erhöht. Ob häufige Wut über viele Jahre insgesamt zu einem höheren Infarktrisiko führt, ist nicht erwiesen.

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© Ana Blazic Pavlovic - fotolia.com Wie ungesund sind Wutanfälle?
© Ana Blazic Pavlovic – fotolia.com

Im Comic explodiert bei einem Wutanfall schon mal der Kopf, aber auch im echten Leben kann man sich gut vorstellen, dass Wut nicht gerade die Gesundheit fördert: Blutdruck und Puls steigen, die Zornesröte fährt ins Gesicht – der Körper ist offensichtlich belastet. Die Frage ist, ob solche Wutanfälle tatsächlich ungesund sind.

Wut könnte auf zwei unterschiedliche Arten eine Gefährdung für die eigene Gesundheit darstellen: Einerseits als Auslöser, beispielsweise wenn ein Wutanfall direkt zu einem Herzinfarkt führt. Und andererseits als langfristiger Risikofaktor: demnach wäre denkbar, dass Menschen mit häufigen Wutgefühlen ein höheres Risiko für Herz-Kreislauf-Schädigungen haben.

Wutanfall als Auslöser…

Ob Wutausbrüche einen Herzinfarkt auslösen können, hat ein Forschungsteam in Harvard versucht zu beantworten. Dazu haben die Teammitglieder nach bisher dazu veröffentlichten Studien gesucht und deren Ergebnisse zusammengefasst [1].

Das Ergebnis wirkt auf den ersten Blick eindeutig: Innerhalb von zwei Stunden nach einem Wutanfall scheint das Risiko für einen Herzinfarkt erhöht. Ein genauerer Blick schränkt die Ergebnisse jedoch ein: Insgesamt fand das Forschungsteam lediglich vier Studien zu dieser Fragestellung. Diese wurden auf sehr unterschiedliche Weise durchgeführt, eine allgemeingültige Aussage ist daher nur bedingt möglich. Zudem lässt sich anhand der Daten nicht ausschließen, dass in Wirklichkeit andere Faktoren als Wutanfälle für das erhöhte Risiko verantwortlich sind. So wäre beispielsweise denkbar, dass häufig wütende Personen auch ungesünder leben oder häufiger gestresst sind.

Dennoch zeigen die Ergebnisse der vier Studien klar in dieselbe Richtung. Falls sie stimmen, scheint der Effekt in absoluten Zahlen allerdings nicht sehr groß zu sein. Hätten 10.000 Menschen mit ohnehin schon hohem Herzinfarkt-Risiko durchschnittlich einen monatlichen Wutausbruch, würde dieser nur bei 4 von ihnen innerhalb eines Jahres einen Herzinfarkt auslösen. Handelte es sich bei denselben 10.000 Menschen jedoch um Choleriker, die rund zweimal täglich Wutanfälle bekämen, müssten möglicherweise 268 von ihnen innerhalb eines Jahres mit einem Infarkt rechnen. Wie vertrauenswürdig diese Zahlen sind, ist jedoch unklar.

Zu wenig erforscht ist allerdings, wie heftig ein Wutanfall sein muss, um gefährlich für das Herz zu werden, oder ob bereits eine geringe Dosis Wut das Risiko erhöhen kann.

…und als Risikofaktor

Erhöht der Hang zu Wutgefühlen auch langfristig das Risiko für Probleme mit dem Herzen? Der Verdacht besteht schon lange, aber die Forschungsergebnisse dazu sind nicht eindeutig [2-4]. In zahlreichen Studien haben Wissenschaftler und Forscherinnen Personen mit unterschiedlicher Wutneigung über mehrere Jahre lang beobachtet. Bei vielen davon zeigt sich scheinbar, dass Menschen mit häufigen Wutgefühlen auch häufiger einen Herzinfarkt erleiden.

Eine genaue Analyse offenbart jedoch, dass der Grund dafür vor allem der ungesunde Lebensstil dieser Personen sein dürfte. Ob auch Wutgefühle über die Jahre einen Herzinfarkt verursachen können, ist daher unklar. Eine Antwort können nur zukünftige, besser durchgeführte Studien mit hohen Teilnehmendenzahlen liefern.

Die Studien im Detail

Für eine Systematische Übersichtsarbeit suchte ein US-amerikanisches Forschungsteam nach allen Studien, die das Herz-Kreislauf-Risiko unmittelbar nach einem Wutanfall untersucht haben [1]. Zu Herzinfarkten konnten sie lediglich vier Arbeiten finden. Darin war analysiert worden, ob von einem Herzinfarkt Betroffene gehäuft von einem Wutausbruch in den zwei Stunden vor ihrem Infarkt berichteten.

Die vier Studien waren zwar auf unterschiedliche Weise durchgeführt worden, ihre Ergebnisse deuten jedoch alle in dieselbe Richtung. Selbst die Studie mit dem kleinsten Effekt – welche zugleich diejenige mit den meisten Teilnehmenden ist – zeigt inklusive Schwankungsbreite ein mindestens zwei- bis maximal knapp dreifach erhöhtes Risiko an. Die Ergebnisse der übrigen Studien sind noch höher. Wie verlässlich diese Zahlen sind, ist jedoch unklar, da nicht angegeben wurde, wie gut die Studien durchgeführt worden waren.

Ob die Ursache für das erhöhte Herzinfarkt-Risiko auch tatsächlich in den Wutanfällen liegt, können die Studien jedoch nicht mit Sicherheit nachweisen. Es wäre auch denkbar, dass andere Faktoren wie etwa ein ungesunder Lebensstil die wahre Ursache für das erhöhte Risiko ist. Immerhin bleiben die Ergebnisse der größten der vier Studien an knapp 4000 Teilnehmenden auch dann bestehen, wenn sie um den Einfluss mancher bekannter Herz-Kreislauf-Risikofaktoren bereinigt werden.

Langfristige Wirkung

Eine ältere Systematische Übersichtsarbeit hat Beobachtungsstudien zur langfristigen Wut-Neigung auf die Herzgesundheit analysiert, die bis November 2008 veröffentlicht worden sind [2]. Dabei wurden die teilnehmenden Personen zu Studienbeginn über ihre Wutneigung befragt und dann mehrere Jahre lang beobachtet. Die zusammengefassten Daten dieser Studien haben allerdings dasselbe Problem wie jene zweier später veröffentlichten, ähnlich durchgeführten Beobachtungsstudien [3,4]: Ihre Schwankungsbreite ist zu groß, um eine Risikoerhöhung zeigen zu können. Gleichzeitig können sie aber auch nicht ausschließen, dass häufige Wutgefühle über die Jahre das Herzinfarkt-Risiko erhöhen.

Auffällig ist, dass nur diejenigen Studien eine Risikoerhöhung nahelegen, die den Einfluss anderer Herz-Kreislauf-Risikofaktoren wie Rauchen, Alkohol oder Körperfülle nicht berücksichtigt haben. Bei Studien, die diese Faktoren herausgerechnet haben, ist die Risikoerhöhung deutlich geringer und zugleich unsicherer.

[1] Mostofsky u.a. (2014)
Studientyp: systematische Übersichtsarbeit und Meta-Analyse
Analysierte Studien: Neun Case-Crossover Studien
Teilnehmer insgesamt: 6119
Fragestellung: Kann Wut akute Herz-Kreislaufstörungen auslösen?
Interessenskonflikte: Keine laut Autoren

Mostofsky E, Penner EA, Mittleman MA. Outbursts of anger as a trigger of acute cardiovascular events: a systematic review and meta-analysis. Eur Heart J. 2014 Jun 1;35(21):1404-10. (Übersichtsarbeit in voller Länge)

[2] Chida, Steptoe (2009)
Studientyp: systematische Übersichtsarbeit und Meta-Analyse
Analysierte Studien: 38 prospektive Kohortenstudien
Teilnehmer insgesamt: 79.726
Fragestellung: Stehen Wut und Feindseligkeit in Verbindung mit Herzerkrankungen?
Interessenskonflikte: Keine laut Autoren

Chida Y, Steptoe A. The association of anger and hostility with future coronary heart disease: a meta-analytic review of prospective evidence. J Am Coll Cardiol. 2009 Mar 17;53(11):936-46.
(Übersichtsarbeit in voller Länge)

[3] Wrenn et al. (2013)
Studientyp: Kohortenstudie
Teilnehmende: 1968 Personen (Durchschnittsalter 60 Jahre)
Dauer: 10 Jahre
Fragestellung: Erhöht Wut oder Ängstlichkeit das Herzinfarktrisiko bei Menschen, die bereits einen Herzinfarkt überlebt haben?
Interessenskonflikte: keine laut Autoren

Wrenn, K. C., et al. (2013). „Anxiety, anger, and mortality risk among survivors of myocardial infarction.“ Am J Med 126(12): 1107-1113. (Studie in voller Länge)

[4] [4] Denollet u.a. (2010)
Studientyp: Kohortenstudie
Teilnehmende: 644 Teilnehmende mit Koronarer Herzerkrankung (Durchschnittsalter 56 Jahre)
Dauer: 5 bis 10 Jahre
Fragestellung: Erhöht Wut das Herzinfarktrisiko bei Menschen mit Koronarer Herzerkrankung?
Interessenskonflikte: keine laut Autoren

Denollet J, Gidron Y, Vrints CJ, Conraads VM. Anger, suppressed anger, and risk of adverse events in patients with coronary artery disease. Am J Cardiol. 2010 Jun 1;105(11):1555-60. (Zusammenfassung der Studie)

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