Koffein gegen Haarausfall: Nutzen mangelhaft erforscht

Im Labor kann Koffein das Haarwachstum anregen. Ob Haarprodukte mit Koffein das auch unter realen Bedingungen schaffen, ist unzureichend erforscht.

AutorIn:
Review:  Bernd Kerschner 

Können Haarpflege-Produkte mit Koffein gegen erblich bedingten Haarausfall helfen?

Koffein kann in die Haarwurzel eindringen und dort die Wachstumsphase der Haare verlängern – zumindest wenn der Haarausfall erblich bedingt ist. Darauf deuten Studien aus dem Labor hin. Ob Koffein in Shampoos oder kosmetischen Produkten Frauen und Männern mit erblich bedingtem Haarausfall helfen kann, ist dadurch noch nicht gesagt. Vertrauenswürdige Forschung fehlt bisher.

so arbeiten wir
Mann mit beginnender Glatze Zweifel an der Wirksamkeit von Koffein-Shampoo gegen Haarausfall.
© ESB Professional – shutterstock.com

Der Kaffee am Morgen macht wach und stimuliert die Sinne, dank Koffein. Warum nicht auch die Haare? Haarausfall ist meist erblich bedingt und weit verbreitet, besonders unter Männern. Frauen bekommen üblicherweise keine Glatze, doch auch bei ihnen kann das Haar dünner werden – wenn auch deutlich seltener.

Dass Haarverlust vielen Männern und Frauen Sorgen bereitet, haben auch Hersteller von Haarpflegeprodukten erkannt. Shampoos, Spülungen und Tonics werben deshalb mit der aktivierenden Wirkung von Koffein. Es soll die Haarwurzeln anregen und Haare wieder wachsen lassen. Aber können Haarpflegeprodukte mit Koffein bei Männern und Frauen wirklich für mehr Haare am Kopf sorgen? Und zwar so, dass der Effekt auch merkbar ist? Oder sind derartige Versprechen, tja… an den Haaren herbeigezogen? Wir haben uns die Studienlage genauer angesehen.

Theoretisch möglich…

Unsere Suche in drei wissenschaftlich Datenbanken förderte mehrere Studien zum Thema zutage: einerseits Laborstudien, andererseits Studien mit männlichen und weiblichen Teilnehmenden. Aufschlussreich waren diese jedoch nicht. Die Studien aus dem Labor haben zwar gezeigt: Koffein wandert durch die Kopfhaut in die Haarwurzeln [8]. Es lässt sich daraus aber nicht automatisch schließen, dass es dort auch so wirkt, wie von Herstellern versprochen.

Wir konnten sechs Studien finden, die die behauptete Wirkung von Koffein auf die Haare untersuchten – vier an Männern [1-3] und zwei an Frauen [4,5]. Deren Haarausfall war erblich bedingt. Zu anderen Formen von Haarausfall fanden wir keine Studien.

… praktisch schlecht erforscht

In einer Studie zeigte sich kein Effekt. In den fünf anderen berichteten die Forschenden von weniger Haarausfall oder höherer Zufriedenheit durch die untersuchten Haarpflegeprodukte mit Koffein. Das Problem: Alle sechs Studien haben ernsthafte Mängel und sind daher aus unserer Sicht alles andere als vertrauenswürdig (mehr dazu im Abschnitt Die Studien im Detail). Ob Koffeinshampoo und Co. in der Praxis wirken, kann anhand dieser Ergebnissen also nicht beantwortet werden. Obwohl eine Wirkung denkbar und theoretisch möglich ist – die verfügbaren Studien sind zu mangelhaft, um das zu beurteilen. Deswegen sucht man Koffein auch in medizinischen Leitlinien für Ärztinnen und Ärzte vergeblich: Als mögliche Behandlung des erblich bedingten Haarausfalls kommt es dort nicht vor [9].

Hauptsache Haare

Erblich bedingter Haarausfall heißt im Fachjargon auch androgenetische Alopezie. Es ist ein typisch männliches Phänomen. In Europa sind rund 8 von 10 Männern über 70 Jahre davon betroffen sowie 4 von 10 Frauen aus derselben Altersgruppe [9].

Warum Männer deutlich häufiger Haarausfall haben? Das liegt an den größeren Mengen an Testosteron. Das Geschlechtshormon kann die Haare am Wachsen hindern und den Haarausfall beschleunigen. Die Haarwurzeln werden mit der Zeit inaktiv. Typischerweise beginnt dann der Haaransatz nach oben zu wandern, oder das Haar am oberen Haupt lichtet sich zusehends.

Auch bei Frauen kann ein Zuviel an Testosteron zu verstärktem Haarausfall führen. Etwa in der Pubertät oder nach den Wechseljahren.

Haarausfall kann viele Gründe haben

Erblich bedingter Haarverlust ist keine Krankheit, gesundheitlich nicht bedenklich und streng genommen „nur“ ein kosmetisches Problem. Aber natürlich kann der Haarverlust für Betroffene äußerst belastend sein. Neben der genetisch bedingten androgenetischen Alopezie gibt es noch weitere Formen des Haarausfalls. Sie können die Folge einer Erkrankung sein: bei Pilzinfektionen der Kopfhaut oder bei Autoimmunerkrankungen zum Beispiel. Auch bestimmte Behandlungen können als Nebenwirkung Haarausfall verursachen. Dazu zählt die Chemotherapie bei einer Krebserkrankung.

Koffein-Kick fürs Haar?

Bei störendem erblich bedingten Haarausfall soll Koffein durch seine Anti-Testosteron-Wirkung helfen. Koffein hemmt ein Enzym (Phosphodiesterase), wodurch weniger Testosteron in seine aktive Form Dihydrotestosteron umgewandelt wird. Auf die Kopfhaut aufgebracht, soll Koffein also zu den Wurzeln der Haare wandern und dort für weniger aktives Testosteron sorgen. Und das bedeutet: Längere Wachstumsphasen, bessere Durchblutung der Haarwurzeln und schnelleres Wachstum der Haare [8]. Soweit zumindest die Theorie. Was es wirklich bringt, sich die Haare mit Koffeinshampoo zu waschen und andere kosmetische Produkte mit Koffein zu verwenden, ist allerdings unklar.

Andere Medikamente besser erforscht

Gegen erblich bedingten Haarausfall gibt es Substanzen, deren Wirkung deutlich besser erforscht ist als jene von Koffein. Minoxidil wird auf die Kopfhaut aufgetragen und hemmt Haarverlust nachweislich. Als Nebenwirkung kann es beispielsweise zu Hautirritationen kommen [10,11]. Finasterid ist ein Medikament zum Schlucken. Es wirkt gegen Haarverlust, indem es den Effekt von Testosteron hemmt. Bei Männern kann die Substanz die Sexualität beeinträchtigen und beispielsweise die Potenz und sexuelle Lust stören. Bei Frauen sind solche Probleme nicht bekannt. Eine Einnahme in der Schwangerschaft kann jedoch das Ungeborene schädigen [11]. Gesicherte Informationen zu Aufbau und Wachstum der Haare finden Sie auf www.gesundheitsinformation.de.

Die Studien im Detail

Ob Koffein erblich bedingten Haarausfall stoppen oder verlangsamen kann, lässt sich am besten mit sogenannten randomisiert-kontrollierten Studien untersuchen. Dabei wird eine große Anzahl an Teilnehmenden per Zufall (randomisiert) einer von zwei Gruppen zugeteilt: Die Behandlungs-Gruppe erhält ein Shampoo mit Koffein, die Kontrollgruppe ein gleich aussehendes und gleich riechendes Shampoo ohne Koffein. Weder die Teilnehmenden noch die Forschenden sollten wissen, wer welcher Gruppe zugelost wurde. Fachleute sprechen davon, dass Teilnehmende und Forschende „verblindet“ sind.

Die Teilnehmenden waschen sich nun mehrere Monate lang mit dem ihnen zugeteilten Shampoo die Haare. Am Ende wird die Haardichte oder die Anzahl der ausgefallenen Haare beider Gruppen miteinander verglichen. Nur wenn diese Messungen bei der Koffein-Gruppe deutlich besser ausfallen als bei der Kontrollgruppe, zeigt das die Wirksamkeit von Koffein.

Wir haben in drei wissenschaftlichen Datenbanken nach solchen randomisiert-kontrollierten Studien gesucht. Gefunden haben wir sechs Studien. Zwei wurden in einer Übersichtsarbeit [1] aus dem Jahr 2017 analysiert, die zwei Studien analysiert hat, die vier restlichen Studien wurden erst nach dem Erscheinen der Übersichtsarbeit veröffentlicht.

Vier der Studien haben ein Koffein-haltiges Kosmetikprodukt mit einem Koffein-freien verglichen. Zwei dieser Studien untersuchten Männer [1,2,6], die zwei anderen Frauen [4,5].
Eine weitere Studie [3] hat die Wirksamkeit von Koffein mit dem Medikament Minoxidil verglichen. Die sechste Studie [7,1] hat untersucht, ob Koffein in Kombination mit Minoxidil besser wirkt als Minoxidil alleine.

Viele Probleme, viele Fragezeichen

Keine der Studien ist wirklich aussagekräftig. Die Gründe sind:

  • Fehlende Vergleichbarkeit: Bei den Männer-Studien unterschieden sich die Koffein-Gruppe und die Kontroll-Gruppe bereits vor Studienbeginn deutlich voneinander. Dadurch war es nicht möglich zu sagen, ob Unterschiede beim Haarverlust zu Studienende wirklich durch das Koffein zustande gekommen sind. Bei den Frauen-Studien lässt sich zumindest nicht nachvollziehbar, ob die Gruppen zu Studienbeginn tatsächlich vergleichbar waren.
  • Lückenhafte Daten und Ergebnisse: Zwei Studien mit Männern [6,7,1] und eine mit Frauen [4] haben nicht alle erhobenen Daten berichtet – die Ergebnisse sind somit nicht vollständig nachvollziehbar.
  • Ungenauigkeiten: Eine Studie hat die männlichen Teilnehmer nach ihrer Zufriedenheit befragt, aber keine exakt messbaren Daten wie Haardichte oder Anzahl der verlorenen Haare erhoben. In einer Studie an Frauen [5] haben die Forschenden sehr ungenau eine Strähne mit „ungefähr 50 Haaren“ in die Hand genommen und daran gezogen, um zu sehen, wie viele Haare sich von der Kopfhaut lösen. Derart ungenaue Messungen können das Ergebnis stark verzerren. Eine andere Studie [5] hat nicht überprüft, ob die Teilnehmerinnen tatsächlich erblich bedingtem Haarausfall hatten, die Forschenden haben sich auf die ungefähre Einschätzung der Teilnehmerinnen verlassen.
  • Fehlende Verblindung: In drei Studien [3,5,6] wussten Teilnehmende und Forschende, wer der Koffein-Gruppe zugeteilt war und wer nicht – sie knüpften also womöglich eine gewisse Erwartung an die Anwendung. Das kann Wahrnehmung und Ergebnisse verzerrt haben.
  • Zu wenige Teilnehmende: Die Anzahl der teilnehmenden Männer ist zu gering, um die Wirkung von Koffein mit Koffein-losem Mittel oder mit Minoxidil aussagekräftig zu vergleichen. Die Anzahl der teilnehmenden Frauen wäre mit 489 zwar ausreichend groß – jedoch ist beim Großteil davon (349 in einer Studie [5]) unklar, ob sie wirklich alle von erblichem Haarausfall betroffen waren.
  • Interessenskonflikte: An der Durchführung von mindestens vier der Studien [2,3,4,5] war die Herstellerfirma des untersuchten Koffeinprodukts beteiligt. Das kann zu Interessenskonflikten geführt haben.

[1] Dressler u.a. (2017)
Dressler, C., Blumeyer, A., Rosumeck, S., Arayesh, A., & Nast, A. (2017). Efficacy of topical caffeine in male androgenetic alopecia. JDDG: Journal der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft, 15(7), 734-741. (zur Übersichtsarbeit)

[2] Welzel (2022)
Welzel J, Wolff HH, Gehring W. Reduction of telogen rate and increase of hair density in androgenetic alopecia by a cosmetic product: Results of a randomized, prospective, vehicle-controlled double-blind study in men. J Cosmet Dermatol. 2022 Mar;21(3):1057-1064. (Zusammenfassung der Studie)

[3] Dhurat u.a. (2017)
Dhurat, R., Chitallia, J., May, T. W., Jayaraaman, A. M., Madhukara, J., Anandan, S., … & Klenk, A. (2017). An open-label randomized multicenter study assessing the noninferiority of a caffeine-based topical liquid 0.2% versus minoxidil 5% solution in male androgenetic alopecia. Skin pharmacology and physiology, 30(6), 298-305. (Zusammenfassung der Studie)

[4] Bussoletti (2020)
Bussoletti C, Tolaini MV, Celleno L. Efficacy of a cosmetic phyto-caffeine shampoo in female androgenetic alopecia. G Ital Dermatol Venereol. 2020 Aug;155(4):492-499. (Zusammenfassung der Studie)

[5] Davis (2021)
Davis MG, Piliang MP, Bergfeld WF, Caterino TL, Fisher BK, Sacha JP, Carr GJ, Moulton LT, Whittenbarger DJ, Schwartz JR. Scalp application of antioxidants improves scalp condition and reduces hair shedding in a 24-week randomized, double-blind, placebo-controlled clinical trial. Int J Cosmet Sci. 2021 Nov;43 Suppl 1:S14-S25. (Zusammenfassung der Studie)

[6] Sisto (2013)
Sisto, T., Bussoletti, C., & Celleno, L. (2013). Efficacy of a cosmetic caffeine shampoo in androgenetic alopecia management. II Note. Journal of Applied Cosmetology, 31(1), 57-66. (Zusammenfassung der Studie)

[7] Golpour (2013)
Golpour, M., Rabbani, H., Farzin, D., & Azizi, F. (2013). Comparing the effectiveness of local solution of minoxidil and caffeine 2.5% with local solution of minoxidil 2.5% in treatment of androgenetic alopecia. Journal of Mazandaran University of Medical Sciences, 23(106), 30-36. (Studie in voller Länge auf Persisch)

[8] Herman u.a. (2013)
Herman, A., & Herman, A. P. (2013). Caffeine’s mechanisms of action and its cosmetic use. Skin pharmacology and physiology, 26(1), 8-14. (Arbeit in voller Länge)

[9] Kanti u.a. (2018)
S3-Leitlinien zur Behandlung von androgenetischer Alopezie Kanti, V., Messenger, A., Dobos, G., Reygagne, P., Finner, A., Blumeyer, A., … & Nast, A. (2018). Evidence‐based (S3) guideline for the treatment of androgenetic alopecia in women and in men–short version. Journal of the European Academy of Dermatology and Venereology, 32(1), 11-22. (Leitlinien in voller Länge)

[10] UpToDate (2023)
Donovan J u.a. Treatment of androgenetic alopecia in men. UpToDate. Abgerufen am 9. 6. 2023 unter https://www.uptodate.com/contents/treatment-of-androgenetic-alopecia-in-men

[11] UpToDate (2023)
McMichael A u.a. Female pattern hair loss (androgenetic alopecia in females): Management. UpToDate. Abgerufen am 9. 6. 2023 unter https://www.uptodate.com/contents/female-pattern-hair-loss-androgenetic-alopecia-in-females-management

  • 13. 2. 2023: drei neue Studien [2,4,5] ändern unsere Einschätzung nicht
  • 29. 7. 2020: erste Version

In über 500 Faktenchecks suchen