Dieser Beitrag ist älter als vier Jahre, möglicherweise hat sich die Studienlage inzwischen geändert.

Eigenurintherapie: Gesund dank eigener Ausscheidungen?

Grauslich, aber von manchen praktiziert: Der eigene Urin, getrunken, als Einreibung oder Injektion, soll bei gesundheitlichen Problemen aller Art helfen. Kann das stimmen?

Hilft Eigenurin bei gesundheitlichen Problemen?

Es gibt keine einzige gesundheitliche Beschwerde, für die es einen Wirksamkeitsnachweis einer Urin-Anwendung gäbe.

so arbeiten wir
© Patchara - fotolia.com Mit Eigenurintherapie gesünder?
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Wenn es um Gesundheit geht, sind Menschen schon früh auf seltsame Ideen gekommen. Einige davon haben sich über sehr lange Zeit gehalten, selbst wenn sie in fast allen Fällen schädlich waren – wie zum Beispiel der Aderlass.
Auch die Behandlung mit dem eigenen Urin hat eine sehr lange Geschichte und in Ländern wie Indien oder in Afrika bis heute einen gewissen Stellenwert [5]. Doch auch bei uns gibt es Menschen, die eine Eigenurintherapie als Heilmittel preisen [z.B. 13]. Wir haben uns angesehen, was dran ist am Urin als Therapeutikum.

Urin: Keine Wirkung gegen Krebs oder Allergien

Die Anwendungsarten der Eigenurintherapie, auch Eigenharnbehandlung geannnt, sind breit gefächert und reichen von Trinken oder Gurgeln über Einreiben bis hin zu Spritzen unter die Haut oder Einläufen [9–11] [13]. Wie vielen traditionellen Methoden wird auch dieser „Therapie“ eine Wirksamkeit gegen eh fast alles nachgesagt – von Infektionskrankheiten über Hautprobleme bis hin zur Krebsbehandlung [9–13].

Außer anekdotischen Berichten konnten wir jedoch keine einzige Studie finden, die eine therapeutische Wirkung von Harn zeigen würde.

So hatte eine griechische Forschungsgruppe in den 1970er- und 1980er-Jahren über gute Erfolge bei Lebermetastasen berichtet [12]. In Folgestudien konnte die Wirkung jedoch nicht bestätigt werden [6–8].

Auch in der Behandlung von Allergien konnte für die Eigenurintherapie keine Wirksamkeit festgestellt werden [2].

Eigenurintherapie ohne Nebenwirkungen?

Die Fans der Eigenharn-Anwendungen behaupten, dass die Therapie harmlos und ohne schwere Nebenwirkungen sei. Sogar Abszesse durch Spritzen – die bei jeder Art von Injektion auftreten können – sollen angeblich nicht vorkommen [9–11]. So eine Behauptung müsste allerdings erst durch gut gemachte Studien mit ausreichender Teilnehmerzahl bewiesen werden. Die fehlen aber für die Eigenurintherapie.

Außerdem gibt es dann doch auch Berichte über Nebenwirkungen, wie Übelkeit und Erbrechen, Kopfschmerzen, Fieber, Unruhe oder Durchfall [13].

Logik und Unlogik der Urintherapie

Wie aber kommt es überhaupt zu dieser bei näherem Überlegen doch eher widersinnig anmutenden Behandlungsform? Immerhin ist Harn das Produkt eines höchst aufwendigen Ausscheidungsprozesses. All die darin enthaltenen Giftstoffe hat der Körper gerade extra hinausbefördert – wieso sollten sie dann wieder zugeführt werden und auch noch gesund machen können?

Die Fans der Eigenurintherapie führen ins Feld, dass gesunder Harn eine Vielzahl an Stoffen enthält, die theoretisch etwas Positives bewirken könnten, etwa wasserlösliche Vitamine (die, Anmerkung, der Körper aber gerade nicht gebraucht und deshalb wieder ausgeschieden hat), Hormone, Botenstoffe des Immunsystems und natürlich Harnstoff [3] [5].

Synthetischer Harnstoff, bekannt als Urea, findet sich beispielsweise in vielen Hautpflegeprodukten. Eine positive Wirkung des harnstoffreichen Urins auf die Haut erscheint also nicht ganz unplausibel. Allerdings gibt es keine Studien, die eine gefunden hätten.

Im Gegenteil. Die Autorinnen und der Autor eines Fallberichts über einen 16-Jährigen mit schwerer Akne, dessen Symptome sich durch eine Eigenurintherapie dramatisch verschlechtert hatten, warnen aus Mangel an positiven Beweisen unter anderem vor möglichen Schäden an bereits kranker Haut durch Bakterien, die im Harn enthalten sind [4].

Antibiotikaresistenzen im Harn nachweisbar

Tatsächlich ist Urin keineswegs steril – bzw. nur an seinem Produktionsort in den Nieren. Sobald er den bakterienbesiedelten Harnleiter passiert hat, enthält sogar der Urin gesunder Menschen Bakterien – die sich, sobald an der Luft, munter weiter vermehren [5].

Das zeigte zum Beispiel eine Studie aus Nigeria. In manchen ärmeren Regionen in Afrika wird die Urintherapie als billiges, leicht verfügbares traditionelles Heilmittel auch bei kranken Babys und Kindern angewendet. Eine Untersuchung des Urins von gesunden Kindern und Kühen in Nigeria fand darin eine erhebliche Keimbelastung. Unter anderem waren auch antibiotikaresistente Keime nachweisbar. Die Autorinnen der Studie warnen, dass die sich in der Bevölkerung ausbreiten könnten, wenn der Urin zur Therapie verwendet wird [1].

Zwar ist nicht nachgewiesen, ob antibiotikaresistente Keime im Harn tatsächlich vermehrt zu Infektionskrankheiten führen würden, wenn der Harn wieder verabreicht wird. Aber allein schon das Risiko durch keimbelasteten Urin für ohnehin schon geschwächte Kinder spricht eindeutig gegen die Anwendung [5].

Die Studien im Detail

Im Jahr 1965 veröffentlichte die deutsche Medizinzeitschrift „Der Landarzt“ mehrere Fallberichte von Ärzten, die bei verschiedensten Krankheiten Behandlungen mit Eigenurin durchgeführt hatten [9–11]. Zumeist wurde der Eigenurin gefiltert und dann mit einer Spritze injiziert, entweder in die Muskulatur oder unter die Haut.

Die Autoren stellen ihre Erfahrungen mit dieser Therapieform positiv dar, was aber nichts über die echte Wirksamkeit sagt: Negative Beispiele werden nur selten erzählt, die Therapie wird nicht mit anderen Therapieformen verglichen, und es ist unmöglich zu sagen, was Wirkung ist und was einfach nur der natürliche Verlauf der Erkrankung. Immerhin waren manche Autoren selbstkritisch genug, auch Fälle zu schildern, bei denen keine Wirkung erzielt wurde.

[1] Ogunshe u.a. (2010)
Studientyp: Laboruntersuchung
Fragestellung: Mikrobiologische Evaluation des Urins von Kindern und Kühen und Konsequenzen für die Anwendung der Eigenurintherapie

Microbial evaluation and public health implications of urine as alternative therapy in clinical pediatric cases: health implication of urine therapy. Pan Afr Med J. 2010 May 25;5:12 (Volltext der Studie)

[2] David (1987)
Unorthodox allergy procedures. Arch Dis Child. 1987 Oct;62(10):1060-2 (Zugang zu Volltext der Arbeit)

[3] Eldor (1997)
Urotherapy for patients with cancer. Med Hypotheses. 1997, Apr;48(4):309-15 (Zusammenfassung)

[4] Totri u.a. (2015)
Kids These Days: Urine as a Home Remedy for Acne Vulgaris? J Clin Aesthet Dermatol. 2015 Oct;8(10):47-8 (Volltext des Fallberichts)

[5] Loeffler (2010)
The golden fountain: Is urine the miracle drug no one told you about? Pan Afr Med J 5: 13 (Volltext des Editorials)

[6] Levin u.a. (1987)
Oral urea in treatment of liver metastases from colorectal adenocarcinoma. Cancer Treat Rep. 1987 Nov;71(11):1119 (Link; keine Zusammenfassung)

[7] Hooper u.a. (1984)
Oral urea in the treatment of colo-rectal liver metastases. Clin Oncol. 1984 Dec;10(4):341-4 (Zusammenfassung der Fallserie)

[8] Clark u.a. (1988)
Oral urea in the treatment of secondary tumours in the liver. Br J Cancer. 1988 Mar; 57(3): 317–318 (Volltext)

Weitere Quellen

[9] Fuhrmann (1965)
Die Auto-Uro-Therapie in der Allgemeinpraxis. Der Landarzt, 1965, Jun 30;41(18):770-2

[10] Weissenborn (1965)
Erfahrung mit Eigenharnbehandlung. Der Landarzt, 1965, Dec 20;41(35):1520-2

[11] Edam (1965)
Eigenharnbehandlung. Der Landarzt, 1965, Dec 20;41(35):1522-3

[12] Danopoulos u.a. (1981)
Eleven years experience of oral urea treatment in liver malignancies. Clinical Oncology, 01 Dec 1981, 7(4):281-289 (Link; keine Zusammenfassung)

[13] Urintherapie
Homepage eines Anwenders. Abgerufen am 12.7.2017 unter http://www.urintherapie.com

Die ursprüngliche Fassung dieses Artikels erschien am 12.12.2014. Eine neuerliche Literatursuche brachte keine neuen Erkenntnisse.

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