Erhöhtes Krebsrisiko durch Süßstoffe?

Süßstoff statt Zucker spart Kalorien. Aber fördert der Zucker-Ersatz möglicherweise Krebs? Dafür gibt es bisher keine Hinweise, doch auch keine abschließenden Antworten.

AutorIn:

Erhöht Zucker-Ersatz das Risiko, an Krebs zu erkranken oder zu versterben?

Die meisten Studien zu Süßstoffen wie Aspartam und Cyclamat finden keinen eindeutigen Zusammenhang. Allerdings weisen sie alle größere Mängel auf, so dass sich die Frage derzeit nicht sicher beantworten lässt. Zu anderen Zucker-Alternativen wie Erythrit und Xylit haben wir gar keine aussagekräftigen Studien finden können.

so arbeiten wir
© Fuss Sergey - Shutterstock Künstliche Süße: Weniger Karies und Übergewicht, dafür ein erhöhtes Krebsrisiko?
© Fuss Sergey – Shutterstock

Abnehmen oder die Zähne vor Karies schützen: Es gibt viele Gründe, warum Menschen auf Zucker verzichten und lieber zu anderen süß schmeckenden Alternativen greifen.
Dazu gehören vor allem zwei Gruppen:

  • die Süßstoffe im engeren Sinn wie etwa Saccharin,
  • aber auch die chemisch anders aufgebauten Zuckeralkohole wie Xylit (Birkenzucker) oder Erythrit.

Unter Verdacht

Allerdings stehen diese Zucker-Alternativen immer wieder unter Verdacht, gesundheitsschädlich zu sein. So war in Medienberichten zu lesen, dass sie etwa Übergewicht oder Diabetes fördern – belegt ist das aber nicht.

Nun erreichte uns eine Anfrage, ob Erythrit zu Krebs führen kann. Weil das manchmal auch für die anderen Zucker-Alternativen diskutiert wird, haben wir unsere Recherche ausgeweitet.

Keine definitiven Ergebnisse

Zu Erythrit und ähnlichen Zucker-Alternativen (so genannte Zuckeralkohole) konnten wir überhaupt keine aussagekräftigen Studien finden, die den Zusammenhang mit Krebserkrankungen untersucht haben.

Deutlich mehr Studien zu dieser Frage gibt es zu Süßstoffen im engeren Sinn. Gefunden haben wir insgesamt 23 Einzelstudien [1-5]. An den Untersuchungen waren knapp 900.000 Menschen beteiligt. Dabei wollten die Forschungsteams wissen, ob der Süßstoff-Verzehr das Risiko erhöht, an Krebs zu erkranken oder daran zu sterben.

Bei den meisten Studien fand sich dabei kein deutlicher Zusammenhang: Menschen, die mehr Süßstoffe verzehrten, erkrankten oder starben also nicht häufiger an Krebs als Personen, die nur wenig, selten oder nie Süßstoffe verwendeten.

Eingeschränkte Aussagekraft

Allerdings lässt sich durch die Machart der Studien nicht ausschließen, dass die Ergebnisse verzerrt sind. Außerdem beruhen alle Studien auf der Selbstauskunft der Teilnehmenden: Ob sie ihren Süßstoff-Verzehr immer korrekt berichtet haben, lässt sich nicht sicher sagen.

Trotz der Vielzahl an Studien und Teilnehmenden können wir deshalb derzeit nicht abschließend bewerten, ob Süßstoffe tatsächlich das Krebsrisiko erhöhen. Komplett ausschließen lässt es sich auch nicht. Dafür bleiben in den vorhandenen Studien zu viele Fragen offen.

Ein sehr großer Effekt scheint auf Basis der derzeitigen Daten allerdings unwahrscheinlich.

Alles, was süßt

Wer seinen Zuckerkonsum einschränken und dennoch nicht auf süßen Geschmack verzichten will, dem stehen mehrere Alternativen zur Verfügung:

  • Dazu gehören einerseits Zuckeralkohole wie Xylit (auch bekannt als Birkenzucker), Sorbit oder Erythrit.
  • Andererseits gibt es die „klassischen“ Süßstoffe wie etwa Acesulfam, Aspartam, Cyclamat oder Saccharin.

Sie alle sind entweder kalorienfrei oder haben zumindest deutlich weniger Kalorien als Haushaltszucker. Das Risiko für Karies ist bei Süßstoffen und Zuckeralkoholen viel geringer als bei normalem Zucker oder gar nicht erhöht [6].

Sowohl Zuckeralkohole als auch Süßstoffe gelten als Lebensmittelzusatzstoffe und müssen von der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) zugelassen werden. Derzeit läuft gerade eine Neu-Bewertung der Süßungsmittel [7].

Die Studien im Detail

Wir haben zu den zwei Gruppen von Zucker-Alternativen recherchiert: Zuckeralkohole und Süßstoffe.

Zu Zuckeralkoholen wie Erythrit konnten wir keine einzige vergleichende Studie finden, die den Zusammenhang zwischen dieser Süßungsmittel-Gruppe und Krebs untersucht hat. Zu dieser Teilfrage können wir also keine Aussagen treffen.

Zur Gruppe der Süßstoffe im engeren Sinne haben wir eine Übersichtsarbeit [1] gefunden, die 19 Einzelstudien zusammenfasste. Hier sind nur Studien berücksichtigt, die bis Mai 2017 veröffentlicht wurden. Deshalb haben wir zusätzlich nach Studien zum Zusammenhang von Krebs und Süßstoffen gesucht, die nach Mai 2017 publiziert wurden. So konnten wir vier weitere Studien [2-5] identifizieren, so dass unsere Bewertung insgesamt auf 23 Studien beruht. Insgesamt nahmen an den Studien rund 900.000 Menschen teil.

„Nur“ beobachtet

Die allermeisten der Untersuchungen sind – wie es bei Ernährungsstudien üblich ist – so genannte Beobachtungsstudien:

  • In 17 Studien wurden Menschen, nachdem sie bereits eine Krebsdiagnose erhalten hatten, nach ihrem Süßstoff-Verzehr in der Vergangenheit befragt (Fall-Kontroll-Studien).
  • An fünf Untersuchungen nahmen Menschen teil, die zu Beginn der Studien nicht an Krebs erkrankt waren und regelmäßig Süßstoff benutzten. Sie wurden dann über einen längeren Zeitraum beobachtet (Kohortenstudien).

In den Verzehr von Süßstoffen oder in den normalen Alltag der Teilnehmenden griffen die Wissenschaftsteams bei diesen Studien nicht ein. Das hat einen entscheidenden Nachteil: Der Verzehr von Süßstoffen wird möglicherweise durch viele Faktoren beeinflusst, etwa Übergewicht. Diese Faktoren können wiederum unabhängig vom Süßstoff-Verzehr das Krebsrisiko beeinflussen.

Daher sind Beobachtungsstudien in der Regel nicht so aussagekräftig wie Untersuchungen, bei denen Menschen nach dem Zufallsprinzip Vergleichsgruppen zugeordnet sind und dann eine bestimmte Behandlung einhalten müssen. Das ist beispielsweise bei Medikamententests der Normalfall, für Ernährungsfragen aber meist nicht machbar.

Krebs: Erkrankungen und Todesfälle gezählt

In den meisten von uns berücksichtigten Studien wurde registriert, ob die Teilnehmenden an Krebs erkrankten. In einer Studie wertete das Forschungsteam aus, ob die Menschen an Krebs verstarben [4].

In einigen Studien wurden verschiedene Krebsarten getrennt betrachtet oder nur einige gezählt, in anderen Untersuchungen dagegen alle Krebsarten gemeinsam ausgewertet. Das macht es schwierig, zu eindeutigen Aussagen zu kommen.

Unterschiedliche Süßstoffe und Vergleiche

Auch der „Süßstoff-Verzehr“ ist bei den Studien nicht einheitlich: Zum Teil liegt das daran, dass einige der Studien schon ziemlich alt sind, die älteste Studie wurde 1975 veröffentlicht. Heute sind zum Teil ganz andere Süßstoffe verfügbar oder gebräuchlich.

Einige der Studien werteten nur Süßstoffe in Softdrinks aus, andere auch Süßstoff-Tabletten oder flüssigen Süßstoff, den die Teilnehmenden beispielsweise für ihren Kaffee nutzten.

Neben den unterschiedlichen Süßungsmitteln erschwerte auch den Vergleich, dass die Probandinnen und Probanden die Zuckeralternativen in unterschiedlichen Mengen und über unterschiedlich lange Zeiträume konsumierten. Gerade bei Krebserkrankungen kann der Zeitfaktor bedeutsam sein, weil nach dem Auslöser meist ein gewisser Zeitraum verstreichen muss, bevor sich eine neue Krebserkrankung überhaupt zeigt.

Zusätzlich zur schwierigen Vergleichbarkeit haben die meisten Studien einige Mängel: Bei vielen Untersuchungen wurden mögliche Verzerrungsfaktoren nicht ausreichend berücksichtigt [1].

Außerdem berichteten die Teilnehmenden selbst Art und Menge der verzehrten Süßstoffe, aber es gab keine objektive Erhebung. Ob man sich darauf verlassen kann, ist unklar. Das ist besonders deshalb problematisch, weil die allermeisten Studien entscheidende Daten erst nachträglich erfassten. Bei diesen so genannten Fall-Kontroll-Studien sind die gefundenen Zusammenhänge also mit besonderer Vorsicht zu genießen.

Ergebnisse nicht eindeutig

In der Zusammenschau der Einzelstudien in der Übersichtsarbeit [1] als auch in der Mehrheit der neueren Studien [3-5] zeigt sich kein eindeutiger Zusammenhang zwischen dem Verzehr von Süßstoffen und dem Risiko, an Krebs zu erkranken oder zu versterben.

Nur eine einzige Fall-Kontroll-Studie [2] fand einen sehr großen Zusammenhang zwischen Süßstoffen und dem Risiko für Schilddrüsenkrebs. Allerdings ist die Studie mit 100 Teilnehmenden eher klein und weist schwerwiegende Mängel auf. Die Größenordnung des Zusammenhangs – ein mehr als zehnfaches Krebsrisiko – findet sich so in keiner anderen Studie, so dass dieser Effekt erst einmal wenig plausibel erscheint.

[1] Toews (2019)
Studientyp: systematische Übersichtsarbeit
Eingeschlossene Studien: 19 Einzelstudien
Fragestellung: Erhöht der Konsum von Süßstoff das Krebsrisiko?
Interessenkonflikte: keine nach Angaben der Autoren. Die Studie wurde durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) finanziert.

Toews I u.a. Association between intake of non-sugar sweeteners and health outcomes: systematic review and meta-analyses of randomised and non-randomised controlled trials and observational studies. BMJ 2019;364:k4718
(Zusammenfassung)
(Freier Volltext)

[2] Singh (2020)
Studientyp: Fall-Kontroll-Studie
Teilnehmer: 50 Fälle mit Schilddrüsenkrebs, 50 Kontrollen mit gutartigen Schilddrüsenknoten
Fragestellung: Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Konsum von Süßstoffen und dem Auftreten von Schilddrüsenkrebs?
Interessenkonflikte: keine nach Angaben der Autoren

Singh N u.a. A Study of Artificial Sweeteners and Thyroid Cancer Risk. J Clin Med Res 2020; 12:492-498
(Zusammenfassung)
(Freier Volltext)

[3] Chazelas (2019)
Studientyp: Kohortenstudie
Teilnehmer: rund 100.000 Menschen in Frankreich
Fragestellung: Erhöhen Getränke, die mit Zucker oder Süßstoff gesüßt sind, das Krebsrisiko?
Interessenkonflikte: keine nach Angaben der Autoren

Chazelas E u.a. Sugary drink consumption and risk of cancer: results from NutriNet-Santé prospective cohort. BMJ 2019;366:l2408
(Zusammenfassung)
(Freier Volltext)

[4] Malik (2019)
Studientyp: Analyse von zwei Kohortenstudien
Teilnehmer: rund 140.000 Männer und Frauen
Fragestellung: Erhöhen Getränke, die mit Zucker oder Süßstoff gesüßt sind, das Risiko, an Krebs zu sterben?
Interessenkonflikte: keine finanziellen Interessenkonflikte nach Angabe der Autoren. Zwei Autoren sind ehrenamtliche Berater von staatlichen Institutionen zu den gesundheitlichen Aspekten von gesüßten Getränken.

Malik V u.a. Long-Term Consumption of Sugar-Sweetened and Artificially Sweetened Beverages and Risk of Mortality in US Adults.
(Zusammenfassung)
(Freier Volltext)

[5] Hodge (2018)
Studientyp: Kohortenstudie
Teilnehmer: rund 15.000 Teilnehmende in Australien
Fragestellung: Erhöhen Getränke, die mit Zucker oder Süßstoff gesüßt sind, das Risiko für übergewichtsbedingte Krebserkrankungen?
Interessenkonflikte: keine nach Angaben der Autoren

Hodge A u.a. Consumption of sugar-sweetened and artificially sweetened soft drinks and risk of obesity-related cancers. Public Health Nutr 2018; 21:1618-1626
(Zusammenfassung)
(Freier Volltext)

Weitere wissenschaftliche Quellen

[6] EU Science Hub (2020) Sugars and Sweeteners. Abgerufen am 02.11.2020 unter https://ec.europa.eu/jrc/en/health-knowledge-gateway/promotion-prevention/nutrition/sugars-sweeteners

[7] EFSA (2020) Süßungsmittel. Abgerufen am 02.11.2020 unter https://www.efsa.europa.eu/de/topics/topic/sweeteners

In über 500 Faktenchecks suchen