Dieser Beitrag ist älter als vier Jahre, möglicherweise hat sich die Studienlage inzwischen geändert.

Helfen Probiotika beim Abnehmen?

Probiotika wie Laktobazillen oder Bifidobakterien gelten als Unterstützung beim Abnehmen. Sind die Mikroorganismen wirklich eine wirksame Hilfe beim Gewichtsverlust?

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Erleichtert die Einnahme von Probiotika das Abnehmen in bedeutsamem Ausmaß?

Die Fragestellung ist in einer Vielzahl von Studien untersucht worden. In der Zusammenschau ergibt sich höchstens ein kleiner Nutzen über einen Zeitraum von maximal einem halben Jahr, der aber wahrscheinlich nicht bedeutsam ist. Längerfristige Effekte sind nicht untersucht. Wegen methodischer Mängel der meisten Studien lassen sich keine sicheren Schlussfolgerungen ziehen.

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© Olena Yakobchuk - shutterstock.com Binsenweisheiten zum Abnehmen: mehr bewegen, anders essen. Helfen auch Probiotika?
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Übergewicht und Fettleibigkeit gehören in den Industrieländern zu den wichtigsten Gesundheitsproblemen. In Deutschland und Österreich sind zwischen 40 und 50 Prozent der erwachsenen Bevölkerung betroffen [7,8]. Zu viele Kilos erhöhen das Risiko für etliche chronische Erkrankungen wie etwa Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Arthrose [9].

Wer es jemals versucht hat, weiß aber auch: Abspecken ist alles andere als einfach. Die Kilos schwinden trotz Diät und Sport nur langsam – und wenn man nicht aufpasst, sind sie nach dem Abnehmen schnell wieder da.

Zu viel auf Rippen und Hüften

Kein Wunder also, dass alle möglichen Mittelchen auf dem Markt sind, die Hilfe beim Abnehmen versprechen. Unsere bisherigen Recherchen beispielsweise zu Kaktusfeige, pflanzlichen Appetitzüglern oder dem Schwangerschaftshormon hCG haben aber gezeigt, dass die Wirkung in der Regel nicht belegt ist und oft auch Daten zur (Langzeit-)Sicherheit fehlen.

Ist das bei den ebenfalls für diesen Zweck angepriesenen Probiotika vielleicht anders? Das wollte ein Leser von uns wissen.

Probiotika: im Darm und im Supermarkt

Probiotika (Einzahl: Probiotikum) sind bestimmte Bakterien oder Hefen, also lebende Mikroorganismen, denen gesundheitsfördernde Eigenschaften zugeschrieben werden. Sie kommen natürlicherweise in bestimmten Lebensmitteln vor, etwa als Milchsäurebakterien in Joghurt [10].

Im Supermarkt findet man aber auch Lebensmittel, die extra mit Probiotika angereichert wurden. In Form von Tabletten und Kapseln werden Probiotika in Drogerien und im Internet vertrieben. Man weiß für einige Probiotika-Arten, dass sie sich positiv auf die Darmflora auswirken und beispielsweise bei Durchfall helfen.

Abnehmen? Theoretisch möglich!

Die angebliche Wirksamkeit beim Abnehmen wird an Beobachtungen zum Zusammenhang zwischen der Darmflora und Übergewicht festgemacht: So soll sich die Zusammensetzung der gutartigen Bakterien im Darm bei Normalgewichtigen und Übergewichtigen unterscheiden.

Da die Bakterien der Darmflora Substanzen produzieren, die den Energiestoffwechsel und das Sättigungsgefühl beeinflussen können [1], scheint eine Wirksamkeit zumindest theoretisch plausibel. Aber zeigt sich das auch in klinischen Studien?

Kleiner oder kein Effekt durch Probiotika?

Tatsächlich ist diese Frage auch in zahlreichen Untersuchungen getestet worden [1-6]. Dabei bekamen die Teilnehmenden nach dem Zufallsprinzip entweder ein Probiotikum oder ein Scheinpräparat. Am Ende der Studien haben die Forschungsteam dann geprüft, ob das Probiotikum tatsächlich beim Abnehmen geholfen hat.

Allerdings ist die Datenlage ziemlich ernüchternd: Die Mehrheit der Studien hat entweder keinen Effekt gefunden. Oder der Effekt war so klein, dass er im Alltag wahrscheinlich keine Rolle spielte und für die Betroffenen nicht merklich war.

Viele Wissenslücken

Hinzu kommt, dass die meisten der Studien methodische Mängel aufweisen. So wurden beispielsweise die Ernährungsgewohnheiten oder die körperliche Aktivität der Teilnehmenden oft nicht berücksichtigt. Das schränkt die Aussagekraft der Studien deutlich ein.

Außerdem dauerten die Studien oft nur wenige Wochen, längstens ein halbes Jahr. Damit lässt sich ein langfristiger Nutzen nicht abschätzen.

Nutzen für Normalgewichtige?

Auch wichtig zu wissen: Die überwiegende Mehrheit der Menschen in den Untersuchungen war übergewichtig oder fettleibig. Ob Probiotika Normalgewichtigen helfen, die erstrebte Bikinifigur zu bekommen, lässt sich anhand der Studien also nicht sagen.

Spärliche Information zu Nebenwirkungen

Ob Probiotika Nebenwirkungen haben, wurde in den meisten Studien nicht untersucht. Gravierende gesundheitliche Probleme scheinen aber nicht aufgefallen zu sein. Da die Probandinnen und Probanden die Probiotika nur über einen relativ kurzen Zeitraum einnahmen, lassen sich daraus keine verlässlichen Schlussfolgerungen für die Langzeitsicherheit ableiten.

Übergewicht und Fettleibigkeit

Die Einstufung, ob jemand übergewichtig ist, richtet sich an den Kriterien der Weltgesundheitsorganisation WHO nach dem Body Mass Index (BMI). Er lässt sich berechnen, indem man das Körpergewicht durch das Quadrat der Körpergröße in Metern teilt. Eine Person mit einer Körpergröße von 1,75m und 80kg hat demnach einem BMI von gut 26.

Als Übergewicht gilt ein BMI zwischen 25 und 29,9 kg/m2, als Fettleibigkeit oder Adipositas ein BMI ab 30 kg/m2. Von schwerer Adipositas wird gesprochen, wenn der BMI bei 40 kg/m2 oder höher liegt. Sobald Begleiterkrankungen vorliegen, gilt das Kriterium für schwere Adipositas auch schon ab einem BMI von 35 kg/m2 als erfüllt [11].

Die Studien im Detail

Zu unserer Fragestellung haben wir vier relativ aktuelle systematische Übersichtsarbeiten [1-4] identifizieren können, die randomisierte kontrollierte Studien umfassen. Da sich diese Zusammenfassungen hinsichtlich der ausgewerteten Einzelstudien nur teilweise überlappen, haben wir alle vier in unsere Auswertung einbezogen. Zusätzlich haben wir noch nach aktuelleren Einzelstudien gesucht und zwei neuere randomisierte kontrollierte Studien [5,6] gefunden.

Die vier systematischen Übersichtsarbeiten haben zwischen 14 und 25 Studien mit jeweils rund 880 bis 1900 Teilnehmenden eingeschlossen. Die beiden zusätzlichen Studien umfassten nochmals 80 [6] bzw. 90 [5] Menschen.

Die meisten der Teilnehmenden waren übergewichtig bzw. stark übergewichtig, litten aber mehrheitlich nicht an Begleiterkrankungen. In einigen wenigen Studien waren normalgewichtige Menschen eingeschlossen oder solche, bei denen bereits eine durch das Übergewicht bedingte Erkrankung vorlag. Dazu gehören etwa ein Typ-2-Diabetes oder eine nicht-alkoholische Fettleber.

Stark unterschiedliche Produkte

In den Studien wurden die Männer und Frauen nach dem Zufallsprinzip auf zwei Gruppen aufgeteilt: Die eine Gruppe erhielt ein Scheinmedikament, die andere ein Präparat mit Probiotika. Die Einzelstudien in den Übersichtsarbeiten [1-4] enthielten in der Regel sehr verschiedene Probiotika-Stämme, teilweise auch Mischungen, die in Form von Kapseln, Drinks oder angereicherten Joghurts verabreicht wurden.

In den neueren Studien wurde jeweils ein Lactobacillus-Präparat [6] bzw. ein Mittel mit einem bestimmten Bifidobacterium-Stamm [5] untersucht. Die eingesetzten Dosierungen unterschieden sich teilweise enorm, waren also sehr weit gestreut. Die Studiendauer lag jeweils zwischen drei Wochen und sechs Monaten, typischerweise um zwölf Wochen.

Was ist relevant?

Die Studien werteten oft mehrere Zielgrößen aus, alle enthielten aber Informationen zu Veränderungen des Body Mass Index (BMI) bzw. des Körpergewichts im Vergleich zu den jeweiligen Ausgangswerten. Inwieweit diese Veränderungen für die Teilnehmenden tatsächlich spürbar und relevant waren, wurde in den Publikationen in der Regel nicht diskutiert – was wir als Schwachpunkt werten.

Als Anhaltspunkt haben wir deshalb eine Vorgabe der europäischen Arzneimittelagentur EMA herangezogen [12]. Die EMA verlangt bei neuen Arzneimitteln zur Gewichtsreduktion den Nachweis, dass sie über einen Zeitraum von zwölf Monaten zu einem Gewichtsverlust von mindestens fünf Prozent im Vergleich zum Ausgangsgewicht führen. Für Menschen mit Übergewicht bzw. starkem Übergewicht bedeutet das nach unseren Berechnungen einen Gewichtsverlust von deutlich mehr als zwei Kilogramm oder bezogen auf den BMI von mindestens einer BMI-Einheit.

Geringfügige Effekte – auf dem Papier

Drei der Übersichtsarbeiten [1,2,4] fassen die eingeschlossenen Studien auch quantitativ zusammen und berechnen Gewichtsverluste zwischen 0,54 und 0,65 kg bzw. eine Senkung des BMI um 0,27 bis 0,49 Einheiten.

Das ist zwar, statistisch gesehen, eine deutliche Verminderung. Doch nun folgt ein großes Aber: Nach den EMA-Kriterien sind das keine relevanten Änderungen. Die vermeintlichen „Abnehmerfolge“ sind wohl für die Betroffenen nicht spürbar und auch nicht von gesundheitlicher Bedeutung.

Die vierte Übersichtsarbeit [3] beschreibt lediglich die Ergebnisse der 14 Einzelstudien: Danach findet sich in neun Studien ein Gewichtsverlust, dessen Ausmaß jedoch nicht beschrieben wird. In drei Studien findet sich kein Unterschied zwischen den beiden Gruppen, in zwei Untersuchungen sogar eine Gewichtszunahme im Vergleich zu dem Scheinpräparat.

Die beiden neueren Studien [5,6] können keinen Unterschied zwischen der Einnahme des Probiotikums und dem Placebo feststellen.

Methodische Probleme

Die meisten der Studien in den Übersichtsarbeiten [1-4] haben ein wesentliches Manko: Unterschiede der verschiedenen Gruppen hinsichtlich Ernährung und Bewegung, die sich wesentlich auf das Körpergewicht auswirken, wurden in der Regel nicht oder nicht vollständig berücksichtigt oder es fehlen entsprechende Angaben. Das kann die Aussagekraft der Ergebnisse deutlich beeinträchtigen. Hinzu kommt, dass die meisten Einzelstudien weitere methodische Mängel aufweisen.

Methodisch sauberer sind die beiden neueren Studien [5,6]. Sie ließen außerdem die Teilnehmenden Ernährungsgewohnheiten und körperliche Bewegung [6] oder zumindest die Ernährung [5] protokollieren.

Sicherheitsdaten fehlen

Nebenwirkungen werden in den Übersichtsarbeiten nicht thematisiert [1-4]. Eine der neueren Studien [6] gibt an, dass die Teilnehmenden nicht über unerwünschte Wirkungen berichtet haben. Es fehlen aber Angaben dazu, wie mögliche Nebenwirkungen erhoben wurden.

Die andere neuere Studie [5] berichtet, dass insgesamt keine ernsthaften Nebenwirkungen auftraten und leichtere Beschwerden wie Kopfschmerzen oder Erkältung in beiden Gruppen vorkamen. In keinem Fall ließ sich jedoch ein ursächlicher Zusammenhang mit der Probiotika-Einnahme herstellen.

[1] John u.a. (2018)
Studientyp: systematische Übersichtsarbeit Eingeschlossene Studien: zu Probiotika 14 Studien mit insgesamt 968 Teilnehmenden
Fragestellung: Welchen Einfluss hat die Einnahme von Probiotika auf Körpergewicht und Body-Mass-Index im Vergleich zu einem Scheinmedikament?
Interessenskonflikte: keine Angaben des Autorenteams

John GK u.a. Dietary Alteration of the Gut Microbiome and Its Impact on Weight and Fat Mass: A Systematic Review and Meta-Analysis. Genes (Basel) 2018; 16;9(3): pii: E167
Zusammenfassung
Freier Volltext

[2] Borgeraas u.a. (2018)
Studientyp: systematische Übersichtsarbeit
Eingeschlossene Studien: 15 randomisierte kontrollierte Studien mit 957 Teilnehmern
Fragestellung: Erleichtert die Einnahme von Probiotika im Vergleich zu einem Scheinmedikament das Abnehmen?
Interessenskonflikte: keine laut Angaben des Autorenteams

Borgeraas H u.a. Effects of probiotics on body weight, body mass index, fat mass and fat percentage in subjects with overweight or obesity: a systematic review and meta-analysis of randomized controlled trials. Obes Rev. 2018; 19:219-232
Zusammenfassung
Freier Volltext

[3] Crovesy u.a. (2017)
Studientyp: systematische Übersichtsarbeit
Eingeschlossene Studien: 14 Studien mit insgesamt 886 Teilnehmenden
Fragestellung: Erleichtern Probiotika mit Lactobacillus-Arten das Abnehmen im Vergleich zu einem Scheinpräparat?
Interessenskonflikte: keine nach Angaben des Autorenteams

Crovesy L u.a. Effect of Lactobacillus on body weight and body fat in overweight subjects: a systematic review of randomized controlled clinical trials. Int J Obes (Lond). 2017; 41:1607-1614
Zusammenfassung

[4] Zhang u.a. (2015)
Studientyp: systematische Übersichtsarbeit
Eingeschlossene Studien: 25 randomisierte kontrollierte Studien mit 1931 Teilnehmenden
Fragestellung: Erleichtert die Einnahme von Probiotika im Vergleich zu einem Scheinmedikament das Abnehmen?
Interessenskonflikte: keine nach Angaben des Autorenteams

Zhang Q u.a. Effect of probiotics on body weight and body-mass index: a systematic review and meta-analysis of randomized, controlled trials. Int J Food Sci Nutr. 2015;67:571-80
Zusammenfassung

[5] Minami u.a. (2018)
Studientyp: randomisiert-kontrollierte Studie
Teilnehmende insgesamt: 80 Personen mit Übergewicht
Fragestellung: Hilft die Einnahme von einem Probiotikum mit einem bestimmten Bifidobakterien-Stamm beim Abnehmen?
Interessenskonflikte: keine Angaben

Minami J u.a. Effects of Bifidobacterium breve B-3 on body fat reductions in pre-obese adults: a randomized, double-blind, placebo-controlled trial. Biosci Microbiota Food Health 2018;37(3):67-75
Zusammenfassung
Freier Volltext

[6] Kim u.a. (2018)
Studientyp: randomisiert-kontrollierte Studie
Teilnehmende insgesamt: 90 Männer und Frauen mit Übergewicht
Fragestellung: Unterstützt die Einnahme eines Probiotikums mit einem Lactobacillus-Stamm das Abnehmen?
Interessenskonflikte: keine nach Angaben des Autorenteams

Kim J u.a. Lactobacillus gasseri BNR17 Supplementation Reduces the Visceral Fat Accumulation and Waist Circumference in Obese Adults: A Randomized, Double-Blind, Placebo-Controlled Trial. J Med Food. 2018 ;21:454-461
Zusammenfassung

Weitere wissenschaftliche Quellen

[7] Schienkiwitz A u.a. (2017)
Übergewicht und Adipositas bei Erwachsenen in Deutschland Journal of Health Monitoring 2017, 2(2 (Zugriff am 25.09.2019)

[8] Bundesministerium für Gesundheit und Frauen (2017)
Österreichischer Ernährungsbericht 2017 (Zugriff am 25.09.2019)

[9] IQWIG (2018)
Starkes Übergewicht (Zugriff am 25.09.2018)

[10] IQWIG
Glossar: Probiotika (Zugriff am 25.09.2018)

[11] UpToDate(2018)
Obesity in adults: Overview of management (Zugriff am 13.09.2018)

[12] European Medicines Agency (2017)
Clinical evaluation of medicinal products used in weight control (Zugriff am 25.09.2018)

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