Dieser Beitrag ist älter als vier Jahre, möglicherweise hat sich die Studienlage inzwischen geändert.

Höhere Intelligenz durch Gehirntraining?

Lässt sich das Gehirn wie ein Muskel trainieren und können wir uns mit bestimmten Übungen intelligenter machen? Oder müssen wir mit dem auskommen, was unsere Nervenzellen ganz von sich aus leisten?

AutorIn:
Review:  Bernd Kerschner 

Fördert Gehirntraining die Intelligenz?

Es gibt viele Wege des Gehirntrainings, aber keine Belege, dass sich damit die Intelligenz verbessern ließe. Am meisten wird in der Wissenschaft über ein bestimmtes Training des „Arbeitsspeichers“ geforscht, hier sprechen die Studien gegen eine allgemeine Verbesserung der Intelligenz.

so arbeiten wir
© fabioberti.it - fotolia.com Hilft das dem IQ?
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Lesen, rechnen, Probleme lösen, Beziehungen managen – unser Hirn muss unterschiedlichste Aufgaben meistern. Wäre es da nicht praktisch, wenn wir mit einem einzigen Training uns in allen Bereichen der Intelligenz verbessern können? Versucht wird das durchaus, über die Erfolge wird heftig gestritten.

Pauschal intelligent

Intelligenz kann sich auf vielerlei Weise zeigen, dennoch gehen die wichtigsten Theorien zur Intelligenz davon aus, dass es einen allgemein bestimmenden Faktor gibt, quasi eine Grundintelligenz, von der die einzelnen Leistungen abhängen; die Intelligenzforschung nennt das den g-Faktor. Wie intelligent wir sind, hängt sowohl von unseren Genen als auch von den Umweltbedingungen ab, ist aber ab einem bestimmten Alter relativ stabil. Kann Gehirntraining das ändern?

Es gibt verschiedene Ideen dazu, wie ein solches Hirntraining ausschauen soll: Beispielsweise existiert ein eher esoterisches Konzept namens Brain Gym, bei dem mit Hilfe von körperlichen Gymnastikübungen auch die Gehirnfunktionen verbessert werden sollen – was weder plausibel ist, noch sprechen irgendwelche Studien dafür [a][b].

Deutlich interessanter sind jede Studien, die sich gewissermaßen mit dem „Arbeitsspeicher“ (Arbeitsgedächtnis) befassen, denn dieser Arbeitsspeicher steht in Verbindung mit allen geistigen Fähigkeiten [1]. Lässt sich also der Arbeitsspeicher trainieren, dann trainiert man damit alle Bereiche.

Arbeitsspeicher aufrüsten?

Bei Aufgaben zum Training des Arbeitsgedächtnisses geht es nicht nur darum, sich etwas zu merken, sondern darum, sich etwas zu merken, während man eine andere geistige Aufgabe löst. Übungen dazu gibt es viele, sogar einige Computerprogramme, die mit dem Versprechen verkauft werden, den IQ zu erhöhen [1].

Das Problem: Eine Übersichtsarbeit aus dem Jahr 2013 zeigt deutlich, dass es trotz der schönen Theorie nicht funktioniert. Wer seinen Arbeitsspeicher trainiert, wird nur in diesen Übungen besser, also nur beim Arbeitsgedächtnis und nicht auch bei anderen Aspekten der Intelligenz. Das Training wirkt sich nicht auf andere geistige Aufgaben wie Sprachflüssigkeit oder Rechnen aus. Selbst die Verbesserungen bei den eigentlichen Testaufgaben sind nur kurzfristig und können nach ein paar Monaten schon nicht mehr festgestellt werden. [1]

Eine randomisiert-kontrollierte Studie aus dem gleichen Jahr [2] liefert noch einen interessanten Nebenaspekt: Die Teilnehmer, die das Trainingsprogramm absolviert hatten, hatten den Eindruck, sich in allen möglichen geistigen Bereichen verbessert zu haben – was sich bei den objektiven Tests allerdings nicht zeigte.

Gehirntraining als Therapie?

Die Übersichtsarbeit [1] kann weitreichende Folgen haben: Nicht nur weil eine seit längerem tobende Debatte hier mit sauberen Fakten gefüttert wird, sondern weil diese Form von Gehirntraining auch als Therapie eingesetzt wird – beispielsweise bei Kindern mit ADHS oder Lernschwäche. Gemeinsam mit anderen Studien [3] liefert die Übersichtsarbeit [1] starke Hinweise, dass das keine gute Idee ist. Laut den Autoren brauchen betroffene Kinder ein gezieltes Training für ihre Schwachpunkte, keine unwirksamen Versuche, die allgemeine Intelligenz zu steigern.

Die Studien im Detail

In die Übersichtsarbeit wurden 23 Einzelstudien eingeschlossen. Im Gegensatz zu früheren Übersichtsarbeiten, wurden nur Studien aufgenommen, in denen die Teilnehmer in eine Trainingsgruppe und eine Kontrollgruppe aufgeteilt wurden. Bei der Auswertung haben die Autoren das Studiendesign der Einzelstudien mitberücksichtigt: Werden nur jene Studien zusammengefasst, die eine ausreichend gute Methodik aufweisen (randomisiert kontrollierte Studien), zeigt das Arbeitsgedächtnis-Training keine Auswirkungen auf die allgemeinen geistigen Fähigkeiten [1] wie Aufmerksamkeit, Sprachflüssigkeit oder Rechnen.

Eine randomisiert-kontrollierte Studie ebenfalls aus 2013 ist nicht nur interessant, weil sie in der Übersichtsarbeit noch nicht enthalten ist, sondern weil sie auf die Kritik an früheren Studien reagiert und methodisch entsprechend gut gemacht ist. Mit insgesamt nur 75 Teilnehmern ist sie zwar nicht sehr umfangreich, bestärkt aber die Ergebnisse der Übersichtsarbeit: auch hier wurde durch ein 20 Einheiten umfassendes Training die allgemeine Intelligenz nicht verbessert [2].

Eine weitere Übersichtsarbeit von 2013 zieht in Zweifel, in wie weit kognitives Training für Kinder und Jugendliche mit verschiedenen geistigen Entwicklungsstörungen hilfreich sein kann [3]. Nur bei einer von 22 eingeschlossenen Einzelstudien konnte eine Steigerung der Intelligenz festgestellt werden, in Summe zeigt sich keine Wirkung. Die Ergebnisse dieser Übersichtsarbeit sind aufgrund von methodischen Mängeln und schlechter Dokumentation allerdings mit Vorsicht zu betrachten.

[1] Melby-Lervag, Hulme (2013)
Studientyp: Systematische Übersichtsarbeit und Meta-Analyse
Eingeschlossene Studien: 23
Fragestellung: Hilft Working Memory Training die kognitive Leistung zu verbessern?
Interessenskonflikte: Keine angegeben.

Melby-Lervåg M, Hulme C. Is working memory training effective? A meta-analytic review. Dev Psychol. 2013 Feb;49(2):270-91.
Volltext

[2] Redick u.a. (2013)
Studientyp: randomisiert-kontrollierte Studie
Teilnehmer: 75 junge Erwachsene
Fragestellung: Hilft Working Memory Training die kognitive Leistung zu verbessern?
Interessenskonflikte: Keine angegeben.

Redick TS, Shipstead Z, Harrison TL, Hicks KL, Fried DE, Hambrick DZ, Kane MJ,
Engle RW. No evidence of intelligence improvement after working memory training:
a randomized, placebo-controlled study. J Exp Psychol Gen. 2013
May;142(2):359-79.
Zusammenfassung

[3] Melby-Lervag, Hulme (2013)
Studientyp: Systematische Übersichtsarbeit und Meta-Analyse
Eingeschlossene Studien: 22
Fragestellung: Hilft kognitives Training Kindern und Jugendlichen mit kognitiven Einschränkungen?
Interessenskonflikte: Keine angegeben.

Karch D, Albers L, Renner G, Lichtenauer N, von Kries R. The efficacy of
cognitive training programs in children and adolescents: a meta-analysis. Dtsch
Arztebl Int. 2013 Sep;110(39):643-52.
Volltext

Weitere wissenschaftliche Quellen

[a] Samac, Klaus: Schulleistungen werden durch Edu-Kinestetik nicht besser; Volltext https://dl.dropboxusercontent.com/u/11301673/Edukinestetik%20und%20Schulleistungen.pdf

[b] Logen u.a.: Stressreduktion und Leistungsverbesserung – Hält Brain-Gym was es verspricht? http://psydok.sulb.uni-saarland.de/volltexte/2004/377/pdf/pdf141.pdf

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