Dieser Beitrag ist älter als vier Jahre, möglicherweise hat sich die Studienlage inzwischen geändert.

Verkürzt Infrarot die Zeit mit Zahnspange?

Soll eine Zahnspange die Stellung der Zähne korrigieren, dauert das meist Jahre. Ob ein teures Gerät diese Zeit mithilfe von Infrarot-Strahlung verkürzt, ist nicht mit Studien belegt.

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Beschleunigt das Orthopulse-Gerät die kieferorthopädische Korrektur von Zahnfehlstellungen?

Schlecht gemachte Studien zeigen, dass das Gerät kurzfristig die Zahnbewegungen beschleunigen kann. Ob sich dadurch die Behandlungsdauer insgesamt verkürzt, ist bisher nicht ausreichend nachgewiesen. Durch die methodischen Schwächen der Studien sind die Ergebnisse auch wenig glaubwürdig. Mögliche Nebenwirkungen sind bisher nicht ausreichend untersucht.

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Wenn die Zähne schief oder zu eng stehen, sich Lücken im Gebiss finden oder die Zähne nicht aufeinander passen, empfehlen Zahnärzte in vielen Fällen eine kieferorthopädische Behandlung mit einer Zahnspange. Die Behandlung erstreckt sich in der Regel über mehrere Jahre und umfasst die aktive Verschiebung der Zähne sowie eine anschließende Stabilisierungsphase. Die genaue Behandlungsdauer ist individuell sehr verschieden [4].

In Österreich werden mit einer festsitzenden Zahnspange in der Regel Kinder und Jugendliche ab dem 12. Lebensjahr behandelt. Allerdings kann in manchen Fällen auch schon vorher eine Behandlung mit einer herausnehmbaren Spange nötig sein, außerdem ist eine Zahnkorrektur auch noch im Erwachsenenalter möglich. Nach Schätzungen sind in Österreich bei etwa 40 Prozent aller Kinder und Jugendlichen kieferorthopädische Behandlungen notwendig [4], in Deutschland tragen mehr als die Hälfte der Jugendlichen im Alter von 15 Jahren eine Zahnspange [5].

Beschleunigung durch Infrarot?

Das Gerät „Orthopulse“ wird damit beworben, dass es die Behandlungsdauer mit einer Zahnspange bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen verkürzen soll – laut Werbung soll die Therapie dann nur noch halb so lange dauern. Das Prinzip hinter Orthopulse: Über eine Schiene, die der Patient in den Mund nimmt, strahlt das Gerät über LEDs Infrarot-Strahlen aus. Die Infrarot-Strahlung soll das Zahnfleisch und Umbauprozesse im zahnnahen Teil des Kiefers (Alveolarknochen) durch die ausgestrahlte Wärmeenergie stimulieren und so dafür sorgen, dass die Zähne sich durch die Zahnspange besser bewegen lassen. Täglich muss der Patient das Gerät zu Hause für zehn Minuten anwenden. Dadurch soll sich die Behandlungsdauer deutlich verkürzen. Orthopulse ist in der EU und einigen anderen Ländern als Medizinprodukt zugelassen und ist für die Anwendung bei festen oder unsichtbaren Zahnspangen (Aligner) vorgesehen. Die Kosten für das Gerät – mehr als 1000 Euro – muss der Patient selbst tragen.

Werbung mit Studien

Die Broschüre des Herstellers [6] suggeriert, dass die Wirksamkeit des Geräts für die Anwendung am Menschen hervorragend untersucht sei. Der größte Teil der zitierten Untersuchungen besteht jedoch aus physikalischen Erklärungen zur Infrarot-Strahlung und Versuchen an Zellkulturen oder Labortieren. Es gibt nur einige wenige Studien, die tatsächlich an Menschen mit Zahnspange durchgeführt wurden – das bestätigt auch unsere ausgedehnte Literaturrecherche.

Fehlende Transparenz

Von den sechs Studien, die der Hersteller anführt, sind nur drei bisher veröffentlicht [1-3]. Von den drei anderen wurden zwei nach Herstellerangaben zur Publikation eingereicht, für eine weitere scheint noch nicht einmal ein fertiges Manuskript zu existieren [6]. Auf Nachfrage lehnte der Hersteller es ab, uns vor der Veröffentlichung Einblick in die Daten zu geben. Uns stehen für die Bewertung deshalb nur die wenig aussagekräftigen Zusammenfassungen in der Herstellerbroschüre zur Verfügung. Da sich auf dieser Basis aber die methodische Qualität der Studien und damit die Aussagekraft nicht beurteilen lassen, verzichten wir zu diesem Zeitpunkt darauf. Sobald die Studien veröffentlicht sind, werden wir sie hier ergänzen.

Wenig aussagekräftig

Die drei veröffentlichten Studien [1-3] können nicht überzeugen: Keine der Studien untersucht tatsächlich die komplette Behandlungsdauer, sondern lediglich die Geschwindigkeit der Zahnbewegungen in der Korrekturphase der Zahnspangen-Therapie. Damit lassen sich keine sicheren Aussagen zur Verkürzung der Behandlungsdauer insgesamt treffen, mit der der Hersteller wirbt. Alle Studien umfassen nur sehr wenige Patienten und weisen schwerwiegende methodische Mängel auf. Zwei der Studien [1,2] untersuchen nicht das derzeit vertriebene Gerät, sondern ein Vorgängermodell, das noch außerhalb des Mundes befestigt werden musste. Inwiefern sich die Ergebnisse auf das aktuelle Modell übertragen lassen, lässt sich nicht sicher sagen. Alle Studien wurden auch durch den Hersteller finanziert und viele der Autoren haben finanzielle Verbindungen zu dieser Firma.

Auch sicher?

Bei einer Behandlung mit einer festsitzenden Zahnspange können sich durch die Krafteinwirkung möglicherweise die Zahnwurzeln verkürzen, die die Zähne im Kiefer verankern – Zahnärzte bezeichnen das als Wurzelresorption. Das Risiko dafür steigt mit zunehmenden Kräften, die die Zahnspange auf die Zähne ausübt, und mit längerer Behandlungsdauer [7].

Theoretisch wären zwei Auswirkungen von Orthopulse denkbar: Positive Effekte, wenn die Behandlungsdauer verkürzt würde, oder negative Effekte, wenn Umbauprozesse an der Zahnwurzel beschleunigt werden. Allerdings berichtet nur eine [2] der drei publizierten Studien über diese mögliche Nebenwirkung. Bei allen 20 Patienten lassen sich Verkürzungen der Zahnwurzeln beobachten, allerdings stufen die Autoren diese nicht als bedeutsam ein. In dieser Untersuchung bleibt es allerdings unklar, welchen Anteil die Infrarot-Strahlung daran hat. Denn die Autoren stellen keinen Vergleich mit Patienten an, die nur eine Zahnspange tragen, ohne das Orthopulse-Gerät zu verwenden.

Die Studien im Detail

Der Studienbeschreibung nach berichten zwei Publikationen [1,2] vermutlich über Teilergebnisse der gleichen Studie. In dieser Studie, die in vier Zahnarztpraxen in den USA durchgeführt wurde, teilten die Forscher die 90 Patienten nach dem Zufallsprinzip in vier Gruppen auf: Drei der Gruppen wendeten zusätzlich zur kieferorthopädischen Behandlung ein Vorgängermodell des derzeit vertriebenen Orthopulse-Gerätes über verschieden lange Zeiträume pro Tag an, die Patienten in der Kontrollgruppe erhielten nur die feste Zahnspange. In den Behandlungsgruppen vermerkten die Ärzte im Mittel eine Zahnbewegung von 1,12 mm pro Woche, in der Kontrollgruppe 0,49 mm pro Woche.

Diese Ergebnisse sind aber aus mehreren Gründen nur eingeschränkt glaubwürdig: So geht aus der Studienbeschreibung [1] nicht klar hervor, dass die Patienten in beiden Gruppen tatsächlich vergleichbar waren. Die Ergebnisse bestimmte zwar ein Zahntechniker, der nicht wusste, zu welcher Gruppe die Patienten gehörten. Den Zeitpunkt dieser Bestimmung
legte allerdings ein Arzt fest, der die Behandlung der Patienten kannte Da dieser Zeitpunkt der Messung wesentlichen Einfluss auf das Ergebnis hat, kann die Auswertung der Studie dadurch verzerrt sein. Außerdem enthält der Studienbericht Hinweise darauf, dass nicht die Ergebnisse aller Patienten in die Auswertung einfließen. Unklar bleibt außerdem, warum die Ergebnisse der drei Behandlungsgruppen zusammengefasst und nicht einzeln ausgewertet wurden.

Eine weitere Publikation [2] berichtet über Nebenwirkungen der Behandlung, allerdings nur bei 20 der 90 Patienten. Wie diese Patienten ausgewählt wurden und wie lange sie pro Tag das Orthopulse-Gerät anwendeten, wird nicht erwähnt. Bei den Zähnen im Oberkiefer findet sich eine maximale Wurzelverkürzung von 0,75 mm, im Unterkiefer von höchstens 1,19 mm. Die Autoren stufen diesen Befund als klinisch nicht relevant ein. Zum Vergleich: Als schwerwiegende Verkürzung, die die Lebensdauer der Zähne beeinträchtigen kann, gelten Verkürzungen um mehr als 4 mm [7]. Die Aussagekraft dieser Ergebnisse bleibt jedoch fraglich, da eine Kontrollgruppe fehlt – man weiß also nicht, wie sich Wurzelverkürzungen nur mit einer Zahnspange, aber ohne das Gerät entwickelt hätten.

Eine einzige veröffentlichte klinische Studie untersucht das derzeit verwendete Modell [4]. Dafür werden 19 Patienten in einer einzigen Praxis im US-Staat Georgia behandelt. Die Forscher vergleichen eine Zahnspangenbehandlung plus der Anwendung des Orthopulse-Gerätes mit einer kieferorthopädischen Behandlung allein. Die Patienten werden allerdings nicht zufällig, sondern zeitlich nacheinander auf die Gruppen aufgeteilt. Dadurch resultiert auch das Problem, dass die Kontrollgruppe eine andere Art von Zahnspange erhält als der größte Teil der Behandlungsgruppe. Inwieweit die Behandlungen und damit die Ausgangsbedingungen für die Patienten damit vergleichbar sind, lässt sich nicht sicher sagen. Damit ist es auch fraglich, ob die schnellere Behandlung mit dem Orthopulse-Gerät tatsächlich durch die Infrarot-Therapie entsteht: In der Kontrollgruppe bewegen sich die Zähne durchschnittlich um 0,44 mm pro Woche, in der Gruppe mit dem Orthopulse-Gerät im Mittel um 1,27 mm pro Woche. Bis zur Angleichung der Zahnreihen vergehen nach Angaben der Autoren 48 Tage in der Behandlungsgruppe und 104 Tage in der Kontrollgruppe. Allerdings sind diese Angaben aus dem gleichen Grund fragwürdig wie in der anderen Studie [1]: Der behandelnde Arzt, der die Gruppenzuteilung kennt, bestimmt, wann der Techniker die genauen Veränderungen ausmessen darf. Die Wahl dieses Zeitpunktes ist also sehr anfällig für ein verzerrtes Urteil, bestimmt aber das Ergebnis wesentlich mit.

[1] Kau 2013
Studientyp: randomisierte kontrollierte Studie
Teilnehmer: 90 Patienten, mittleres Alter 18 Jahre, davon 69% Frauen. Zahnfehlstellung Klasse I, Abweichungen von der Achse im Unterkiefer mehr als 2 mm
Fragestellung: Beschleunigt die Anwendung von Orthopulse über verschieden lange Zeiträume pro Tag in der Ausrichtungsphase der kieferorthopädischen Behandlung die Therapiedauer?
Interessenkonflikte: Die Studie wurde vom Hersteller finanziert. Einer der Autoren ist Angestellter der Firma, einer anderer hat Anteile an der Firma.

Kau CH u.a. Photobiomodulation accelerates orthodontic alignment in the early phase of treatment. Progress in Orthodontics 2013, 14:30 (Studie in voller Länge)

[2] Nimeri 2014
Studientyp: Anwendungsbeobachtung, vermutlich stammen die Patienten aus [1]
Teilnehmer: 20 Teilnehmer zwischen 11 und 32 Jahren (15 Frauen, 5 Männer) mit kieferorthopädischer und Orthopulse-Behandlung; Zahnfehlstellung Klasse I, Abweichungen von der Achse im Unterkiefer mehr als 2 mm; Schwangere und Patienten mit Bisphosphonat-Anwendung waren ausgeschlossen
Fragestellung: Wie sicher ist die Anwendung von Orthopulse im Hinblick auf Wurzelresorption?
Interessenkonflikte: Die Studie wurde vom Hersteller finanziert.

Nimeri G u.a. The effect of photobiomodulation on root resorption during orthodontic treatment. Clin Cosmet Investig Dent, 2014, 6:1-8. (Studie in voller Länge)

[3] Shaugnessy 2016
Studientyp: kontrollierte klinische Studie/Kohortenstudie
Teilnehmer: 19 Jugendliche zwischen 11 und 18 Jahren (6 Männer, 13 Frauen), mit fester Zahnspange und Zahnfehlstellung Klasse I oder II, Abweichungen von der Achse im Unterkiefer mindestens 3 mm
Fragestellung: Beeinflusst die Anwendung von Orthopulse die Ausrichtung der Frontzähne mehr als keine weitere Behandlung?
Interessenkonflikte: Der Hersteller hat die Studie finanziert, alle Autoren geben finanzielle Interessenkonflikte an.

Shaughnessy T u.a. Intraoral photobiomodulation-induced orthodontic tooth alignment: a preliminary study. BMC Oral Health 2016, 16:3. (Studie in voller Länge)

Weitere Quellen
[4] Öffentliches Gesundheitsportal Österreichs (2016) Zahnfehlstellungen und Zahnspangen. www.gesundheit.gv.at/Portal.Node/ghp/public/content/zahnbehandlungen-korrektur-fehlstellungen.html (Zugriff 10.06.2016)

[5] Robert-Koch-Institut (2009) Gesundheitsberichterstattung Themenheft Mundgesundheit www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/GBEDownloadsT/mundgesundheit.html (Zugriff 10.06.2016)

[6] Herstellerdossier zu Orthopulse (2016) www.orthopulse.com/pdf/dossier2-16.pdf (Zugriff 10.06.2016)

[7] Weltman B u.a. (2010)
Root resorption associated with orthodontic tooth movement: A systematic review. Am J Orthod Dentofacial Orthop. 2010;137:462-76
(Zusammenfassung der Übersichtsarbeit)

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