Dieser Beitrag ist älter als vier Jahre, möglicherweise hat sich die Studienlage inzwischen geändert.

Krebsrisiko durch Fertiggerichte?

Wir essen und trinken immer mehr industriell hoch verarbeitete Produkte. Möglicherweise erhöhen diese Speisen und Getränke das Krebsrisiko.

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Erhöht industriell stark verarbeitete Nahrung das Risiko für Krebs?

Erste Hinweise auf einen möglichen Zusammenhang zwischen dem Konsum von industriell hergestellten, stark verarbeiteten Produkten und Krebs haben sich in einer großen französischen Beobachtungsstudie ergeben. Es könnte also sein, dass es bei Menschen, die mehr stark verarbeitete Produkte (z. B. Fertiggerichte) essen und trinken, etwas häufiger zu Krebserkrankungen kommt.

Mehr Langzeit-Forschung zu diesem wichtigen Thema ist unbedingt notwendig. Der aktuelle Wissensstand ist keineswegs gut abgesichert, und verlässliche Belege für eine Ursache-Wirkung-Beziehung von stark verarbeiteter Nahrung und Krebs fehlen. Der möglicherweise zugrunde liegende Mechanismus ist unbekannt.

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Ob Schokoriegel oder Softdrinks, Fertiggerichte oder Frühstücksflocken: Stark verarbeitete Nahrung steht bei den meisten auf dem Speisezettel. In westlichen Ländern stammt die aufgenommene Energie bis zur Hälfte aus industriell hoch verarbeiteten Produkten, zum Beispiel aus Fertiggerichten [1].

Die Produkte aus den Nahrungsmittelfabriken sind haltbar und günstig, außerdem sofort genießbar oder leicht zuzubereiten. Und sie haben einen massentauglichen Geschmack.

Gesundheitsgefahr durch Fertiggerichte?

Doch Hühnernuggets, Dessertcremes und Instantnudeln stehen auch in der Kritik. Die mit speziellen Zutaten und Technologien hergestellten Speisen und Getränke enthalten oft viel Zucker, Fett und Salz – dafür aber wenig Ballaststoffe und Vitamine. Darüber hinaus stecken in ihnen auch Konservierungsmittel, Aromen, Farben und Stabilisatoren [1].

Eine in Frankreich durchgeführte Studie hat nun erstmals hinterfragt: Geht der Konsum von stark verarbeiteten Lebensmitteln mit einem höheren Krebsrisiko einher?

Was auf den Teller kommt

In dieser Langzeitstudie [1] haben Forscherinnen und Forscher 104.980 Freiwillige aus Frankreich regelmäßig nach Gesundheitszustand und Ernährungsgewohnheiten befragt:

  • Aßen und tranken sie ziemlich „naturbelassen“, also bereiteten sie ihr Essen eher aus einfachen, gut bekannten Zutaten wie Gemüse, Obst, Milch, Getreide, Pasta, Fleisch und Fisch zu?
  • Oder konsumierten sie viele stark verarbeitete Speisen und Getränke, zum Beispiel Packerlsuppen, Tiefkühlpizza und andere Fertiggerichte, abgepackte Kuchen und Limonaden?.

Mehr Krebs – aber wodurch?

Im Laufe der Zeit deutete sich ein gewisses Muster an: Menschen mit dem höchsten Konsum von „Industrie-Essen“ erkrankten etwas häufiger an Krebs. Das heißt, dass stark verarbeitete Produkte eventuell zu einer leichten Erhöhung des Krebsrisikos führen. Die statistische Auswertung zeigte, dass diese Erhöhung vermutlich nicht zufallsbedingt ist.

  • 27 von 1000 Personen aus der Gruppe mit dem niedrigsten Konsum (8,5%) an stark verarbeiteter Nahrung erkrankten an Krebs.
  • 33 von 1000 Personen aus der Gruppe mit dem höchsten Konsum (32%) an stark verarbeiteter Nahrung erkrankten an Krebs.

Keine Beweise, nur Hinweise

Allerdings ist fraglich, auch wenn es plausibel erscheinen mag, ob wirklich der vermehrte Konsum von stark verarbeiteten Produkten zu dem Plus an Krebserkrankungen geführt hat.

Denn die Untersuchung war eine Kohortenstudie, die Personen über längeren Zeit im Alltag beobachtet hat. Eine solche Studie kann zwar wertvolle Hinweise liefern; sie kann aber keine Zusammenhänge im Sinne von Ursache und Wirkung nachweisen. Es ist also möglich, dass ganz andere, noch unbekannte Gründe hinter dem erhöhten Krebsrisiko jener steckten, die am meisten hoch verarbeitete Produkte konsumiert hatten.

Darüber hinaus waren die untersuchten Personen in der Studie nicht unbedingt ein Spiegel der Allgemeinbevölkerung. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren zum Beispiel gebildeter und gesundheitsbewusster als der Durchschnitt. Daher ist die Übertragbarkeit der Studienergebnisse auf jedermann und jederfrau fraglich.

Auch war die Beobachtungsdauer der einzelnen von maximal sieben Jahren zu kurz, um Langzeiteffekte gut zu erfassen. Dazu könnte die Entstehung von manchen Krebsformen zählen, die sich manchmal über große Zeiträume entwickeln.

Mehr Studien zu Fertiggerichten und Co.

Nichtsdestotrotz hat die französische Kohortenstudie eine wichtige Entwicklung thematisiert: Wir essen und trinken immer mehr stark verarbeitete Produkte, hergestellt mit neuartigen Zutaten und Technologien. Falls massenproduzierte Speisen und Getränke mit stark verarbeiteten Zutaten wirklich das Krebsrisiko steigern sollten, wäre es wichtig, diese mögliche Gefahr zu erkennen bzw. ihr Ausmaß einzuschätzen und gegenzusteuern.

Mögliche Risiko-Mechanismen

Die Autorinnen und Autoren der Studie [1,2,3] wissen nicht, welche Mechanismen hinter dem möglicherweise erhöhten Krebsrisiko stecken könnten.

  • Sind es bestimmte Zusatzstoffe, die einzeln zwar als harmlos gelten und zugelassen sind, aber zusammengemischt einen negativen Cocktaileffekt haben?
  • Spielt die Verarbeitung, wie hohes Erhitzen, etwa eine Rolle?
  • Oder gibt es vielleicht krebserregende Substanzen, die aus der Verpackung in die Lebensmittel übertreten?

Sollten sich Annahmen wie diese im Rahmen von gut gemachten Langzeitstudien verdichten, gibt es verschiedene politische Maßnahmen, um die Bevölkerung zu schützen. Möglich wäre es, stark verarbeitete Produkte stärker zu besteuern bzw. das Marketing dafür einzuschränken, bestimmte Zutaten zu verbieten oder das Kaufen und Genießen von Lebensmitteln, die nicht oder nur kaum verarbeitet sind, zu fördern.

Die Studien im Detail

Ein französisch-brasilianisches Forschungsteam hat die erste große Studie [1] zum Thema „Stark verarbeitete Nahrung & Krebsrisiko“ durchgeführt. Dafür wurden die Daten von 104.980 Erwachsenen (82.159 Frauen, 22.821 Männer) ausgewertet. Wir haben diese Studie als solide gemacht eingeschätzt.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der NutriNet-Santé-Kohorte [3] lebten in Frankreich. Sie waren durchschnittlich 43 Jahre alt und hatten zu Beginn der Studie keine bekannte Krebserkrankung.

Gut erfasst: Ernährung und Erkrankung

Im Laufe von bis zu sieben Jahren (2009 bis 2016) wurden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer regelmäßig befragt. Dazu füllten sie im Idealfall alle sechs Monate detaillierte Online-Fragebögen über ihre Ernährungsgewohnheiten aus.

Die konsumierten Speisen und Getränke wurden einer von vier Gruppen zugeschrieben: Sie reichten von un- bzw. wenig verarbeitet (Obst, Gemüsen, Eier, Fleisch, Milch usw.) bis zu hoch verarbeitet (z. B. Süßigkeiten, Tiefkühl-Mahlzeiten, Fleischbällchen, Limonaden). Die Forscherinnen und Forscher konnten auf dieser Basis für jede Person definieren, wie prominent Fertiggerichte und Co am Speisezettel waren.

Erhöhtes Krebsrisiko bei hohem Konsum

Ebenso wurden die neuen Krebserkrankungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer erfasst. 2228 Personen von 104.980 erhielten im Laufe der Studie eine Krebsdiagnose. Beim Abgleich zwischen Ernährungsweise und Krebsrisiko zeigte sich, dass nicht alle Personen gleichermaßen betroffen waren. Umso mehr die Teilnehmerinnen und Teilnehmer stark verarbeitete Produkte konsumierten, desto eher erhielten sie während der Studie eine Krebsdiagnose.

Diese Ergebnisse deuten also darauf hin, dass das Essen und Trinken von hoch verarbeiteten Lebensmitteln das Auftreten von Krebs möglicherweise leicht begünstigt.

Genauer gesagt hat steht eventuell ein Konsum-Anstieg um 10 Prozent mit etwa 12 Prozent mehr Krebserkrankungen in Zusammenhang. Allerdings war das mögliche Risiko nicht für alle Krebsarten gleich stark erhöht: Während für Brustkrebs bei Frauen nach der Menopause ein Anstieg von 11 Prozent pro 10 Prozent Konsumplus verzeichnet wurde, gab es bei Prostatakrebs und Darmkrebs keine Risikoänderungen.

Vorsicht bei der Interpretation

Verlässlich belegt ist der vermeintliche Zusammenhang allerdings keineswegs. Das Mehr an Krebserkrankungen bei jenen, die die meisten stark verarbeiteten Lebensmittel konsumiert hatten, muss nicht an der Ernährungsweise liegen. Diese Unsicherheit betonte auch das Wissenschaftsteam in seiner 2018 erschienenen Publikation.

Zwar haben die Forscherinnen und Forscher in ihrer statistischen Auswertung möglichst viele Faktoren berücksichtigt, die bekanntermaßen mit Krebs in Zusammenhang stehen können. Dazu zählen Rauchen, Bewegungsmangel und familiäre Vorbelastung.

Es ist aber denkbar, dass unbekannte oder nicht berücksichtigte Einflüsse (z. B. Armut oder Zugang zum Gesundheitssystem) ausgerechnet bei Personen mit hohem Konsum an „Industrie-Nahrung“ das Krebsrisiko gesteigert haben – während das verdächtigte Essen „unschuldig“ ist.

Kein Spiegel der Bevölkerung

Auch aus einem anderen wichtigen Grund sind die Studienergebnisse nicht unkritisch auf die Allgemeinbevölkerung zu übertragen. Bei der Studie hatten sich die Probandinnen und Probanden freiwillig zur Teilnahme gemeldet, mit einem wesentlich größeren Anteil an Frauen (78%). Sie waren besser gebildet und gesundheitsbewusster als die Allgemeinbevölkerung.

Erster Schritt in die richtige Richtung

Ein weiterer möglicher Schwachpunkt der Studie: Alle stark verarbeiteten Lebensmittel wurden nach ihrer Klassifikation mit Hilfe des recht neuen NOVA-Systems in einen Topf geworfen. Falls von hoch verarbeiteten Produkten ein erhöhtes Krebsrisiko ausgehen sollte, gilt dies wohl nicht für alle in gleicher Weise. Auch hier ist zu hoffen, dass weitere gut gemachte Langzeitstudien Klärung bringen.

[1] Fiolet u.a. (2018)
Studientyp: prospektive Kohortenstudie
Teilnehmer insgesamt: über 104.000
Fragestellung: Steht der Konsum von hochverarbeiteten Lebensmitteln in einem Zusammenhang mit dem Krebsrisiko?
Interessenskonflikte: keine laut Autorinnen und Autoren

Fiolet T, Srour B, Sellem L, Kesse-Guyot E, Allès B, Méjean C, Deschasaux M, Fassier P, Latino-Martel P, Beslay M, Hercberg S, Lavalette C, Monteiro CA, Julia C, Touvier M. Consumption of ultra-processed foods and cancer risk: results from NutriNet-Santé prospective cohort. BMJ. 2018 Feb 14;360:k322.
Zusammenfassung

gesamte Studie zum Download

Weitere Quellen

[2] BMJ talk medicine (2018)

Interview zur Studie in englischer Sprache

[3] NutriNet-Santé-Kohorte (2018)

Information zur NutriNet-Santé-Kohorte in Frankreich in englischer Sprache

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