Dieser Beitrag ist älter als vier Jahre, möglicherweise hat sich die Studienlage inzwischen geändert.

Chlorophyll-Tabletten unwirksam gegen Körpergerüche?

Chlorophyll-Tabletten werden als Mittel gegen Körper- und Mundgeruch beworben. Belege dafür fehlen. Den Geruch von Urin und Stuhl dürften sie auch nicht beeinflussen.

Review:  Claudia Christof 

Kann die Einnahme von Chlorophyll Mund- oder Körpergeruch verändern?

Kann die Einnahme von Chlorophyll den Geruch von Urin bei Katheter-Trägerinnen und –Trägern oder Stuhl bei Personen mit künstlichem Darmausgang beeinflussen?

so arbeiten wir
Knoblauch und grüne Blätter Hilft Blattgrün gegen Knoblauchatem?
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Knoblauchatem, Alkoholfahne, schwitziger Mief – Gerüche, die dem Körper anderer entsteigen, werden oft als unangenehm empfunden und lassen viele Menschen die Nase rümpfen.

Dagegen gibt es angeblich ein wirksames und einfaches Mittel: Chlorophyll-Tabletten. Das legen zumindest die Hersteller dieser Nahrungsergänzungsmittel nahe. Chlorophyll – das ist pflanzliches Blattgrün – soll nämlich schlechte Gerüche neutralisieren.

Diese Behauptung ist nicht neu. Schon in den 1950er Jahren versprachen Zahnpasten und Mundwässer, versetzt mit Chlorophyll, Abhilfe bei Mundgeruch. Chlorophyll-haltiges Bier sollte einer Alkoholfahne vorbeugen, und Chlorophyll-Tabletten wurden als Mittel gegen Schweißgeruch beworben [9].

70 Jahre und kaum Forschung

Wer nach wissenschaftlichen Belegen für eine solche Wirkung sucht, wird allerdings enttäuscht. Es gibt keine aussagekräftigen Studien über Chlorophyll als Gegenmittel für Körpergeruch. Das gilt auch für Mundgeruch, wie er nach dem Genuss von Knoblauch, Zwiebeln und anderen Nahrungsmitteln auftreten kann.

Die angebliche Anti-Mief-Wirkung von Chlorophyll ist also bis heute nicht seriös erforscht. Und das, obwohl seit Aufkommen der ersten Behauptungen rund um Chlorophyll-Tabletten vor rund 70 Jahren genug Zeit gewesen wäre.

Es gibt auch bis heute keine schlüssige Erklärung, warum Chlorophyll Gerüche neutralisieren soll.

Fragewürdige Fragestellung

Darüber hinaus haben wir noch zwei Studien [1,2] aus den 1980ern gefunden. Sie haben die Wirkung von Chlorophyll-Tabletten auf den Geruch von Urin und Stuhl untersucht.

Wir gehen allerdings davon aus, dass gesunde Menschen nicht von einer künstlich herbeigeführten Geruchsveränderung ihrer Ausscheidungen profitieren würden. Vielmehr vermuten wir hier ein künstlich erzeugtes „Problem“.

Unerwünschte Gerüche

In einer dieser Studien nahmen 20 ältere Frauen und Männer aus einem Pflegeheim teil. Sie waren inkontinent und trugen dauerhaft einen Katheter [1]. Das ist eine zumindest heute nicht mehr gängig empfohlene Praxis bei Inkontinenz [3].

Dem Pflegepersonal zufolge hatten alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer unangenehm riechenden Urin. Das Studienteam rechtfertigt die Untersuchung damit, dass Pflegebedürftige mit Harnkatheter ihren Uringeruch mitunter als peinlich empfinden würden und dass er die Arbeit der Pflegenden erschwert.

Wir hingegen vermuten, dass sich diese vermeintliche Belästigung durch korrekte Pflege des Harnkatheters und einen sparsamen Einsatz von Harnkathetern gut vermeiden lässt [4].

Die zweite Studie untersuchte 28 Personen mit einem künstlichen Darmausgang (Stoma) aufgrund von Darmkrebs oder einer Entzündung der Darmschleimhaut [2]. Das Studienteam berichtet, dass die Betroffenen den Geruch ihrer Ausscheidungen bei der Körperpflege und beim Umgang mit anderen Menschen als belastend empfinden können. Bei einer kurzen Recherche konnten wir keine Hinweise auf eine ungewöhnliche Geruchsbelastung finden, wenn der künstliche Darmausgang korrekt versorgt wird, etwa mit geruchsdichten, sicheren Sammelbeuteln [5].

Gibt es eine Lösung auf Knopfdruck?

Zwei Wochen lang schluckten die Teilnehmenden täglich Chlorophylltabletten, zwei weitere Wochen bekamen sie Placebo-Tabletten ohne Chlorophyll. Die Reihenfolge – ob zuerst Chlorophyll oder Placebo – bestimmte das Los und war weder den Teilnehmenden noch der Studienleitung bekannt.

Jeweils am Ende der zweiwöchigen Behandlungszeit wurde auf einer Skala von 0 bis 10 beurteilt, wie unangenehm der Geruch der Ausscheidungen erschien. Bei der Urin-Untersuchung wurde das Urteil durch eine Person aus dem Forschungsteam gefällt, bei der Stuhluntersuchung durch die Teilnehmenden selbst.

Kein erwünschter Geruch

In keiner Studie fiel das Geruchsurteil mit Chlorophyll-Tabletten besser aus als mit Placebo-Tabletten. Die geringe Anzahl der Teilnehmenden und Schwächen in der Durchführung der Studie schränken die Aussagekraft der Ergebnisse jedoch ein – demnach ist es unwahrscheinlich, dass Chlorophyll-Tabletten den Geruch von Urin und Stuhl bei Personen mit Harnkatheter oder künstlichem Darmausgang in gewünschter Weise beeinflussen.

Weitere Kritikpunkte

Neben methodischen Unzulänglichkeiten haben wir noch weitere grundlegende Kritikpunkte an den Studien: Es schien ihnen an einer gesundheitlich relevanten Frage zu mangeln. Sie erzeugen den Eindruck, dass es erwünscht und vorteilhaft wäre, normale Gerüche sozusagen per Knopfdruck zu neutralisieren, also durch das Schlucken einer Tablette.

Wir finden es fragwürdig, dass im Rahmen der wissenschaftlichen Studien der natürliche Geruch von Körperausscheidungen als reparaturbedürftig und unerwünscht erscheint. Das Anschwärzen von prinzipiell nicht-krankhaften Phänomenen kann eine verzerrte Wahrnehmung bzw. den Leidensdruck schüren und eventuell die Vermarktung von Produkten fördern, die „Abhilfe“ versprechen.

Wirklich ganz harmlos?

Unbeabsichtigte Effekte wie diese wurden vom Studienteam nicht gesondert beachtet. Unerwünschte (körperliche) Nebenwirkungen seien aber in beiden Studien nicht aufgetreten [1,2]. Allerdings färbten die Chlorophyll-Tabletten den Stuhl der meisten Teilnehmenden grün [2].

Die durch Chlorophyll herbeigeführte Veränderung, so eine unserer Überlegungen, könnte eventuell übertünchen, wenn sich Farbe oder Geruch des Stuhls aufgrund einer tatsächlichen Krankheit verändern. Für die Diagnose eventuell wertvolle Hinweise wären dann verschleiert.

Blattgrün als Lebensmittelfarbe

Chlorophyll und Chlorophyll-Verbindungen sind in der EU als Lebensmittelfarbe E140 zugelassen. Sie gelten als gesundheitlich unbedenklich – zumindest in der zum Färben benötigten Menge [6].

Natürlicherweise kommt Chlorophyll etwa in grünem Gemüse vor. Das Blattgrün Chlorophyll ist der Stoff, mit dem grüne Pflanzen Wasser und Kohlendioxid mithilfe von Sonnenlicht in Stärke umwandeln. Dabei entsteht auch Sauerstoff. In der Fachsprache heißt dieser Vorgang Photosynthese.

Die Studien im Detail

Die Studien im Detail

In den 1950ern veröffentlichten einige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Artikel über eine geruchsneutralisierende Wirkung von Chlorophyll [1,7]. Die „Belege“ dafür waren aber wenig aussagekräftig.

Es gab einerseits Experimente im Reagenzglas, von denen sich aber nicht auf die Wirkung im menschlichen Körper schließen lässt. Bei anderen Untersuchungen handelte es sich um Versuchsreihen mit Menschen, allerdings ohne Vergleich mit einer Chlorophyll-freien Behandlung [2,8].

Ohne einen solchen Vergleich ist eine wissenschaftliche Studie nicht aussagekräftig – selbst wenn sich der untersuchte Geruch bessern würde. Denn ob die Verbesserung auch ohne Chlorophyll eingetreten wäre, bleibt dabei unklar.

Voraussetzung für Studien mit menschlichen Probandinnen und Probanden wäre die plausible Annahme, dass – falls die gewünschte Geruchsveränderung eintritt – diese Neuerung auch eine Verbesserung der Gesundheit bringt und nicht nur den Verkauf eines Produkts absegnet.

Die ideale Studie

Ist diese Voraussetzung gegeben, könnte nur eine randomisiert-kontrollierte Studie mit einer großen Anzahl an Testpersonen eine klare Antwort geben. Dabei werden die Teilnehmenden nach dem Zufallsprinzip (randomisiert) einer von zwei Gruppen zugelost. Eine Gruppe erhält Chlorophyll-Tabletten, die andere zur Kontrolle gleich aussehende und gleich schmeckende Placebo-Tabletten ohne Chlorophyll.

Möglich ist auch, dass jede Testperson zuerst für einige Zeit die eine Tablettenart nimmt und danach ebenso lange die andere. Randomisiert zugeteilt wird dann die Reihenfolge der beiden Versuchsbedingungen. Dabei handelt es sich um eine Studie im Crossover-Design.

Wichtig ist, dass weder Testpersonen noch die Studienleitung erfahren, wer welche Tabletten bekommt – beziehungsweise, im Fall einer Crossover-Studie, in welcher Reihenfolge. Nur so lässt sich verhindern, dass Erwartungen die Geruchsbeurteilungen beeinflussen.

Die Wirkung von Chlorophyll wäre dann belegt, wenn es einen deutlichen Unterschied bei der Geruchsbeurteilung der beiden Gruppen gibt – zugunsten der Chlorophyll-Tabletten.

Uringeruch bei Katheter

Bei unserer Recherche in mehreren Forschungsdatenbanken haben wir nur zwei randomisiert-kontrollierte Studien gefunden. Beide Studien wurden im Crossover-Design durchgeführt.

Eine US-amerikanische Forschungsgruppe untersuchte 15 Frauen und 5 Männer mit Inkontinenz aus einem Altenpflegeheim. Sie waren im Durchschnitt 72 Jahre alt und trugen einen Harnkatheter [1].

Zwei Wochen bekamen sie täglich Tabletten mit 100 Milligramm Chlorophyllin, das ist eine wasserlösliche Chlorophyll-Verbindung. Zwei weitere Wochen erhielten sie gleich aussehende und gleich schmeckende Placebo-Tabletten. Welche Tablettenart sie zuerst erhielten, bestimmte der Zufall. Zwischen den beiden Versuchsbedingungen lag eine Woche ohne Tabletten.

Am Ende jeder Woche roch ein Mitglied der Forschungsgruppe an den Urinproben der Teilnehmenden. Auf einer Skala von 0 (nicht unangenehm) bis 10 (extrem unangenehm) beurteilte sie den Geruch der Proben. Wer welche Tabletten eingenommen hatte, wusste weder sie noch die Testpersonen.

Sowohl am Ende der ersten wie auch der zweiten Woche waren die durchschnittlichen Geruchsurteile der beiden Gruppen ähnlich. Sie reichten von 1,8 bis 2,2.

Die Aussagekraft dieser Ergebnisse ist jedoch eingeschränkt. 47 Testpersonen hatten die Studie begonnen, doch 27 verließen das Pflegeheim, bevor die Studie abgeschlossen war. Dass somit Daten von mehr als der Hälfte der Teilnehmenden fehlen, könnte die Ergebnisse verzerrt haben.

Zudem fehlen Angaben zu Gesundheitszustand und Strenge des Uringeruchs vor Studienbeginn. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass bereits vor Studienbeginn wichtige Unterschiede zwischen den beiden Gruppen bestanden haben.

Künstlicher Darmausgang

Eine dänische Forschungsgruppe untersuchte die Auswirkung von Chlorophyll-Tabletten auf den Stuhlgeruch von 15 Frauen und 13 Männern mit künstlichem Darmausgang [2]. Die Testpersonen waren durchschnittlich 71 Jahre alt. Der Versuchsaufbau war der US-amerikanischen Studie ähnlich. Es gab aber keinen zeitlichen Abstand zwischen den beiden Versuchsbedingungen.

Die Dosis der Chlorophyll-Tabletten war in der dänischen Studie höher: Die Teilnehmenden bekamen dreimal täglich75 Milligramm Chlorophyllin – ebenfalls über eine Dauer von zwei Wochen.

Die Testpersonen schätzten selbst ein, wie unangenehm sie den Stuhlgeruch nach der Behandlung mit Chlorophyll-Tabletten oder Placebo empfanden. Auch hier verwendeten sie eine Skala von 0 bis 10. Mit Chlorophyll-Tabletten lag die Bewertung im Durchschnitt bei 2,6 Punkten, mit Placebo bei 5,5. Die Einschätzungen waren breit gestreut. Es ist also gut möglich, dass der Unterschied der beiden Durchschnittswerte nicht „echt“, sondern nur zufallsbedingt war.

Zudem bemerkten die meisten Teilnehmenden (21 von 28) nach der Chlorophyll-Bedingung eine Grünfärbung ihres Stuhls, die bei den Placebo-Tabletten nicht aufgetreten war. Ihnen war also möglicherweise bewusst, wann sie Chlorophyll-Tabletten eingenommen hatten und wann Placebo. Ihre Erwartungshaltung, zum Beispiel eine geruchsneutralisierende Wirkung von Chlorophyll, könnte ihr Geruchsurteil leicht verzerrt haben.

Zweifel an Fragestellung

Wie schon erwähnt, haben wir starke Zweifel daran, dass es sich hier um gesundheitlich bedeutsame Fragestellungen handelte. Weiters gehen wir davon aus, dass sich mittlerweile Pflege und Versorgung von Menschen mit Inkontinenz bzw. künstlichem Darmausgang wesentlich verändert haben. Die Ergebnisse sind daher nicht auf aktuelle Verhältnisse übertragbar.

[1] Nahata u.a. (1983)
Studientyp: randomisiert-kontrollierte Crossover-Studie
Teilnehmende: 20 ältere Personen mit Urin-Inkontinenz und Harnkatheter
Studiendauer: 2 Wochen mit Chlorophyll und 2 Wochen mit Placebo, unterbrochen von 1 Woche Pause
Fragestellung: Kann die Einnahme von Chlorophyll-Tabletten den Geruch von Urin bei inkontinenten Personen lindern?
Interessenskonflikte: Angabe fehlt

Nahata MC, Slencsak CA, Kamp J. Effect of chlorophyllin on urinary odor in
incontinent geriatric patients. Drug Intell Clin Pharm. 1983 Oct;17(10):732-4. (Zusammenfassung der Studie)

[2] Christiansen u.a. (1989)
Studientyp: randomisiert-kontrollierte Crossover-Studie
Teilnehmende: 28 Personen mit künstlichem Darmausgang
Studiendauer: 2 Wochen mit Chlorophyll und 2 Wochen mit Placebo
Fragestellung: Kann die Einnahme von Chlorophyll-Tabletten den üblen Geruch der Darmausscheidungen von Personen mit künstlichem Darmausgang lindern?
Interessenskonflikte: Chlorophyll- und Placebo-Tabletten wurden von der Firma Ferrosan zur Verfügung gestellt.

Christiansen SB, Byel SR, Strømsted H, Stenderup JK, Eickhoff JH. [Can
chlorophyll reduce fecal odor in colostomy patients?]. Ugeskr Laeger. 1989 Jul 3;151(27):1753-4. (Eintrag auf Pubmed)

 

[3] Gemeinsam Gut Entscheiden (2018)
Die Top 5 der Geriatrie. Department für Evidenzbasierte Medizin und Klinische Epidemiologie, Cochrane Österreich, Donau-Universität Krems. Abgerufen am 12. 8. 2019 unter www.gemeinsam-gut-entscheiden.at

[4] UpToDate (2019)
Schaeffer AJ. Placement and management of urinary bladder catheters in adults. In Chen W (ed.). UpToDate. Abgerufen am 12.8.2019 unter www.uptodate.com (Zugriff kostenpflichtig)

[5] UpToDate (2019)
Landmann RG. Routine care of patients with an ileostomy or colostomy and management of ostomy complications. In Chen W (ed.). UpToDate. Abgerufen am 12.8.2019 unter www.uptodate.com (Zugriff kostenpflichtig)

[6] Europäische Kommission (2012)
Spezifikationen der zugelassenen Lebensmittelzusatzstoffe. Abgerufen am 8.8.2019 unter eur-lex.europa.eu

[7] Brocklehurst (1953)
Brocklehurst JC. An assessment of chlorophyll as a deodorant. Br Med J. 1953 Mar 7;1(4809):541-4. (Artikel in voller Länge)

[8] Lancet (1952)
Chlorophyll as deodorant. Lancet. 1952 Aug 23;2(6730):372-3. (Eintrag auf Pubmed)

[9] Der Spiegel (1953)
Ein guter grüner Spaß. Der Spiegel . Ausgabe 25. 2. 1953. Abgerufen am 8.8.2019 unter www.spiegel.de

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