Dieser Beitrag ist älter als vier Jahre, möglicherweise hat sich die Studienlage inzwischen geändert.

Astaxanthin: Ein Super-Antioxidans mit super Wirkung?

Im Reagenzglas fängt der rosa Farbstoff Astaxanthin „freie Radikale“ ab, bevor sie Zellen schädigen. Aber hilft die Einnahme gegen Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen?

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Schützt Astaxanthin vor Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs oder verlängert es das Leben?

Es fehlen aussagekräftige Studien zu Astaxanthin. Es gibt nur Untersuchungen, die bestimmte Blutwerte oder andere Ersatzgrößen für Herz-Kreislauf-Erkrankungen erfasst haben, die obendrein keinen Nutzen für den rosa Farbstoff finden konnten.

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© Vera Larina - shutterstock.com Pretty in pink: Astaxanthin macht Flamingos rosa. Hilft es auch dem Menschen?
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Wer sich im Internet zu der rosarot gefärbten Substanz Astaxanthin informieren will, kann dort wahre Lobeshymnen lesen. Angepriesen wird Astaxanthin als „Super-Antioxidans“ oder sogar als „das rote Wunder aus dem Meer“.

Astaxanthin durch die rosarote Brille

Beim Weiterlesen erfährt man dann, dass Astaxanthin als Nahrungsergänzungsmittel gegen unzählige Beschwerden und gesundheitliche Probleme helfen soll: Das beginnt bei Sonnenbrand und Falten, geht über verbesserte Stressresistenz und Leistungsfähigkeit bis hin zum Schutz vor Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Das wäre natürlich formidabel – wenn es denn stimmen würde. Ob das tatsächlich der Fall ist, wollte ein Leser wissen. Das interessierte uns natürlich auch, besonders der behauptete Nutzen des Nahrungsergänzungsmittels bei lebensbedrohlichen Erkrankungen.

Im Reagenzglas: Kampf gegen Radikale

Die angebliche Wirksamkeit machen Astaxanthin-Fans an einer Eigenschaft fest, die der Wirkstoff im Reagenzglas zeigt: Astaxanthin kann sogenannte „freie Radikale“ abfangen. Darunter versteht man besonders reaktionsfreudige chemische Verbindungen, die Zellen schädigen können. Sie entstehen bei vielen Stoffwechselprozessen.

Fachleute bezeichnen die durch freie Radikale verursachten Schäden als „oxidativen Stress“. Entsprechend werden Substanzen, die freie Radikale aus dem Verkehr ziehen, als Antioxidantien bezeichnet [1].

Unterstützung bei der Stress-Abwehr

Die Abwehr von oxidativem Stress ist wichtig. Man weiß inzwischen, dass freie Radikale bei der Entstehung von Krankheiten eine Rolle spielen. Dazu gehören auch Krebs und Herz-Kreislauf-Erkrankungen [2].

Wenn Astaxanthin in seiner Funktion als Antioxidans freie Radikale abfangen und so die krankmachenden Reaktionen verhindern könnte, müsste es doch gegen Krebs, Herzinfarkt und Co. helfen.

Für andere Antioxidantien – darunter Selen, Vitamin C, Vitamin E, Vitamin A und dessen Vorstufe Beta-Carotin – ist allerdings nachgewiesen, dass sie nicht vor Krebs oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen schützen: Vitamintabletten: gesund oder gefährlich?

Ob Astaxanthin anders als diese Antioxidantien tatsächlich eine solche Wirkung hat?

Gute Belege? Fehlanzeige

Offenbar nicht. Bei unserer Suche in drei großen Datenbanken haben wir zwar einige Untersuchungen gefunden, bei denen Menschen nach dem Zufallsprinzip Astaxanthin oder ein Scheinmedikament erhielten. Diese Studien sind trotzdem wenig aussagekräftig: Denn sie haben nur Laborwerte der Testpersonen gemessen und analysiert.

Aber sie haben nicht untersucht, ob sich Astaxanthin tatsächlich positiv auf das Leben der Testpersonen auswirkt, zum Beispiel: Ist mit Astaxanthin der Verlauf von bestimmten Krankheiten günstiger? Oder kann die Substanz die Entstehung von Krankheiten wie Krebs verhindern oder gar für eine längere Lebensspanne sorgen?

Zu diesen für die Anwenderinnen und Anwender spürbaren Effekten fehlen gut gemachte Studien.

Immerhin zwei Untersuchungen beschäftigten sich im weitesten Sinne mit dem Nutzen bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Eine systematische Übersichtsarbeit fasste sieben Studien zusammen. Dabei wurde der Einfluss von Astaxanthin auf die Blutfettwerte und Blutzuckerwerte von gesunden Freiwilligen getestet [3].

Eine randomisiert-kontrollierte Studie untersuchte die Auswirkungen auf verschiedene Eigenschaften der Blutgefäße bei Menschen, die nach einer Nierentransplantation ein besonders hohes Risiko für Atherosklerose (umgangssprachlich „Gefäßverkalkung“) und damit für einen Herzinfarkt hatten [4].

Abgesehen davon, dass sich die Wirksamkeit von Astaxanthin in beiden Untersuchungen nicht von der eines Scheinmedikaments unterschied, haben all diese Untersuchungen ein großes Problem: Sie erfassten nur Labormesswerte.

Leicht messbar, wenig aussagekräftig

Labormesswerte sind in klinischen Studien ein beliebter Ersatz für die Diagnose von tatsächlich aufgetretenen Krankheiten und Ereignissen. Schließlich lassen sich im Labor Blut- oder andere Messwerte sehr schnell bestimmen. Im Fachjargon werden sie als „Surrogatparameter“ (Ersatzmesswerte) bezeichnet.

Das Problem: Für Patientinnen oder Patienten sind Änderungen dieser Parameter in der Regel nicht deutlich spürbar. Surrogatparameter spiegeln nur selten wider, was tatsächlich interessiert: Ob jemand beispielsweise einen Herzinfarkt erleidet, an Krebs erkrankt oder früher stirbt [5].

Nicht relevant für Patientinnen und Patienten

Studien, die für die Anwenderinnen und Anwender deutlich spürbare Ereignisse erheben, sind wesentlich aussagekräftiger. Fachleute sprechen dann von Untersuchungen mit „patientenrelevanten Endpunkten“. Solche Studien fehlen aber leider für Astaxanthin.

Die angeblich wunderbaren Wirkungen von Astaxanthin als Nahrungsergänzungsmittel sind also nicht ausreichend untersucht, geschweige denn belegt.

Astaxanthin: in Pflanzen und Tieren

Astaxanthin gehört chemisch gesehen zu den Carotinoiden. Das ist eine Gruppe von natürlichen Substanzen, die bunt gefärbt sind. Besonders häufig kommen Carotinoide in Pflanzen vor. Sie geben etwa Tomaten oder Paprika ihre typischen Farben.

Allerdings finden sich einige Carotinoide auch in tierischen Organismen. Dazu gehört Astaxanthin, das Krebsen oder Lachsen ihre charakteristische rosarote Färbung verleiht [3,4].

Das Astaxanthin in Nahrungsergänzungsmitteln stammt meist aus der mikroskopisch kleinen Alge Haematococcus pluvialis [3].

Gesundheitsbezogene Aussagen nicht genehmigt

Die europäische Datenbank zu gesundheitsbezogenen Aussagen enthält übrigens 15 Einträge zu von Herstellern beantragten „health claims“. Sie reichen von Gelenkschutz über Anti-Aging bis zu einem gesunden Cholesterinspiegel.

Allerdings wurde keine der gesundheitsbezogenen Aussagen durch die europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit genehmigt. Der Grund: Es fehlen Daten, die diese Wirkungen belegen [6].

Pretty in pink

Übrigens: Astaxanthin ist auch für die rosa Farbe von Flamingos verantwortlich, die sich in der freien Wildbahn von kleinen Krebsen ernähren.

In Zoos bekommen Flamingos Futter, das Astaxanthin enthält. Astaxanthin ist also durchaus ein sehr sinnvolles Nahrungsergänzungsmittel – wenn man ein Flamingo ist.

Wissenschaftliche Quellen

[1] IQWiG (2017)
Nahrungsergänzungsmittel: Können sie auch schaden? (Zugriff am 21.08.2018)

[2] Fortmann SP u.a. (2013)

Vitamin, Mineral, and Multivitamin Supplements for the Primary Prevention of Cardiovascular Disease and Cancer: A Systematic Evidence Review for the U.S. Preventive Services Task Force Freier Volltext (Zugriff am 21.08.2018)

[3] Ursionu u.a. (2015)

Lipid profile and glucose changes after supplementation with astaxanthin: a systematic review and meta-analysis of randomized controlled trials. Arch Med Sci. 2015 Apr 25;11(2):253-66 Freier Volltext (Zugriff am 21.08.2019)

[4] Coombes u.a. (2016)

Astaxanthin has no effect on arterial stiffness, oxidative stress, or inflammation in renal transplant recipients: a randomized controlled trial (the XANTHIN trial). Am J Clin Nutr. 2016 Jan;103(1):283-9 Freier Volltext (Zugriff am 21.08.2018)

[5] IQWIG (2016)
Können Messwerte zeigen, ob eine Behandlung hilft? (Zugriff am 21.08.2018)

[6] European Commission
EU Register on nutrition and health claims

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