Dieser Beitrag ist älter als vier Jahre, möglicherweise hat sich die Studienlage inzwischen geändert.

Alzheimer: Stoppt Liponsäure das Vergessen?

Alzheimer macht die Betroffenen im Laufe der Zeit pflegebedürftig. Für die Demenz-Erkrankung gibt es zur Zeit keine Heilung. Ob Alpha-Liponsäure Alzheimer zumindest lindern kann, ist fraglich. Verlässliche Studien fehlen.

AutorIn:

Hilft Alpha-Liponsäure bei der Vorbeugung oder Behandlung von Alzheimer?

Es ist offen, ob Alpha-Liponsäure dabei helfen kann, das Entstehen einer Alzheimer-Erkrankung zu verhindern oder zu verzögern. Aussagekräftige Studien fehlen auch zur Frage, inwiefern die Substanz den Verlauf einer bereits ausgebrochenen Krankheit günstig beeinflussen kann.

so arbeiten wir
© bilderstoeckchen - fotolia.de Alzheimer: Wenn die Erinnerung geht.
© bilderstoeckchen – fotolia.de

Für die Darstellung einer Alzheimer-Patientin in ‚Still Alice. Mein Leben ohne Gestern’ gewann Julianne Moore im Februar 2015 den Oscar. Arno Geiger schrieb in ‚Der alte König in seinem Exil’ über seinen an Alzheimer erkrankten Vater. Für die TV-Dokumentation ‚Leben, lieben, vergessen. Alzheimer mit 40’ [8] begleitete Thomas Liesen eine Betroffene aus Deutschland, bei der die Krankheit in ungewöhnlich jungen Jahren ausbrach.

So unterschiedlich die Annährung durch Künstler und Journalisten an das Thema auch sein mag: In allen Werken wird deutlich, dass die Diagnose Alzheimer einen enormen Einschnitt in das Leben von Betroffenen und Angehörigen bedeutet. Nicht nur für viele Familien ist das Thema höchst relevant, sondern für die ganze Gesellschaft. Denn wir werden immer älter, und damit steigt auch die Wahrscheinlichkeit für Demenzerkrankungen.

Zehntausende Alzheimer-Patienten in Österreich

In Österreich leben etwa 60.000 bis 80.000 Personen mit einer Alzheimer-Demenz [8]. Zu Beginn haben Alzheimer-Patienten oft ‚nur’ mit kleineren Gedächtnislücken und Konzentrationsschwierigkeiten zu kämpfen. Im Laufe der Zeit sterben immer mehr Nervenzellen im Gehirn ab, den Betroffenen fällt die Bewältigung des Alltags zunehmend schwer. Die Kommunikations- und Urteilsfähigkeit nimmt ab. Persönlichkeit, gewohntes Verhalten und Erinnerungen scheinen zu verschwinden [5].

Es gibt eine Reihe von Therapien, die die Krankheit günstig beeinflussen sollen. Eines der Behandlungsziele ist eine möglichst lange Selbständigkeit. Doch letztlich führt Alzheimer in die Pflegebedürftigkeit. Denn die Krankheit ist unheilbar [5] [6].

Vorbeugung und Heilung nicht in Sicht

Kein Wunder also, dass viele Menschen wissen möchten, ob sich eine Alzheimer-Erkrankung durch bestimmte Maßnahmen verhindern lässt. Oder gibt es wenigstens Methoden, um die Krankheit nach dem Ausbruch zu bremsen?

Leider hat die Wissenschaft dazu bisher keine handfesten Ergebnisse oder Empfehlungen geliefert. Bislang ist auch nicht im Detail geklärt, welche Mechanismen zum Abbau der Nervenzellen im Gehirn führen.

Schutz und Risiko

Es ist allerdings eine Reihe von Faktoren bekannt, die vermutlich bis zu einem gewissen Grad vor Alzheimer schützen können. Dazu zählen körperliche und geistige Aktivität, soziale Kontakte und ausgewogene Ernährung.

Womöglich erhöhen Rauchen, Diabetes und Einsamkeit das Risiko, an der gefürchteten Demenz zu erkranken [5] [6]. Ausführlicher haben wir zu Schutz- und Risikofaktoren in diesem Beitrag berichtet: Demenz vorbeugen – geht das?.

Die Rolle von Ernährung und Nahrungsergänzungsmitteln ist immer wieder Thema in der Alzheimer-Forschung. Auch wir sind dieser Frage bereits nachgegangen: Alzheimer – Nahrungsergänzung nutzlos.

Dürftige Studienlage

Manche Forscher halten es für plausibel, dass so genannte Antioxidantien schädliche Reaktionen im Gehirn verhindern können. Antioxidantien sollen demnach Gegenspieler von chemischen Zerstörungsprozessen sein und ‚neuroprotektiv’ wirken, also das Nervensystem schützen.

Ausgehend von dieser Annahme wurde auch ein Antioxidans namens Alpha-Liponsäure in einer Handvoll von Studien untersucht. Dieser Naturstoff kommt beispielsweise in Fleisch, Obst und Gemüse in kleinen Mengen vor.

Manche Aspekte aus diesen Studien mögen viel versprechend klingen. Bei genauer Betrachtung sind die Untersuchungen jedoch nicht aussagekräftig – es wurden zum Beispiel nur kleine Personengruppen untersucht oder die Studien liefen nur über recht kurze Zeiträume [2] [3]. Somit wissen wir nicht, ob Alpha-Liponsäure die Krankheit abmildern oder sogar vor Alzheimer schützen kann [1].

Die Studien im Detail

Welche Beweise finden sich in Studien für den möglichen Nutzen von Alpha-Liponsäure? Schon in einer 2008 aktualisierten Übersichtsarbeit der Cochrane Collaboration [1] stellten die Autoren fest, dass ihnen für eine Beurteilung schlicht die Basis fehlt. Aufgrund der wenigen vorhandenen Beobachtungsstudien konnten sie keine Schlüsse ziehen oder gar Empfehlungen für die Einnahme von Alpha-Liponsäure abgeben. Dafür, so die Autoren, bräuchten sie ordentlich gemachte randomisiert-kontrollierte Studien.

Seit diesem vorläufigen Fazit, das etwa neun Jahre zurück liegt, gibt es leider keinen entschiedenen Erkenntniszuwachs: Zwar sind 2013 und 2014 Studien mit mehreren Dutzend Probanden erschienen. In Italien [2] und den USA [3] erhielten Alzheimer-Patienten Alpha-Liponsäure über einen Zeitraum von 16 bzw. 12 Monaten. Doch ist das wirklich lang genug, um etwaige Verbesserungen von Gedächtnisleistung und Alltagsbewältigung erkennen zu können?

Beide Untersuchungen lassen keine seriösen Schlüsse über Wirksamkeit und Sicherheit zu. So nahmen Teilnehmer der amerikanischen Studie [3] Alpha-Liponsäure nicht isoliert ein, sondern nur in Kombination mit Omega-3-Fettsäuren. Bei der italienischen Studie [2] erhielten alle 126 Patienten Alpha-Liponsäure; eine unbehandelte Kontrollgruppe fehlte.

Über einen möglichen Vorbeugungseffekt sind gar keine Studien vorhanden. Wir haben also keine Hinweise darauf, ob die Einnahme von Alpha-Liponsäure durch Gesunde (aus Lebensmitteln, als Nahrungsergänzungsmittel) verhindern kann, dass Alzheimer überhaupt ausbricht.

Da Alzheimer so viele Menschen betrifft, sind künftig neue Studien zum Thema zu erwarten [4]. Um besser abzuschneiden als bisherige Arbeiten, sollten die Autoren genau prüfen, ob sich Faktoren wie Gedächtnisleistung und Alltagsbewältigung günstig beeinflussen lassen.

Auch wenn sich bei diesen Tests herausstellen sollte, dass Alpha-Liponsäure zur Vorbeugung und Therapie taugt, ist wohl nicht zu erwarten, dass diese Substanz die alleinige Schlüsselrolle spielt. Denn zu Entstehung und Verlauf von Demenzerkrankungen tragen offenbar mehrere Einflüsse bei. Dies macht ihre gezielte Bekämpfung vermutlich auch in Zukunft schwierig.

[1] Klugmann u.a. (2008)
Studientyp: systematische Übersichtsarbeit und Meta-Analyse der Cochrane Collaboration
Eingeschlossene Studien: keine
Fragestellung: Beeinflusst die Einnahme von Alpha-Liponsäure den Verlauf von Alzheimer?
mögliche Interessenskonflikte: keine

Klugman A, Sauer J, Tabet N, Howard R. Alpha lipoic acid for dementia. Cochrane Database of Systematic Reviews 2004, Issue 1. Art. No.: CD004244. (Zusammenfassung der Übersichtsarbeit)

[2] Fava u.a. (2014)
Studientyp: nicht-randomisierte Studie
Eingeschlossene Studien: prospektive Beobachtungsstudie
Teilnehmer: 126 Alzheimer-Patienten, davon jeweils 50% mit/ohne Diabetes
Fragestellung: Profitieren Alzheimer-Patienten mit/ohne Diabetes von Alpha-Liponsäure?

Fava, A., Pirritano, D., Plastino, M., Cristiano, D., Puccio, G., Colica, C., … & Bosco, D. (2013). The Effect of Lipoic Acid Therapy on Cognitive Functioning in Patients with Alzheimer’s Disease. Journal of Neurodegenerative Diseases, 2013. (Studie in voller Länge)

[3] Shinto u.a. (2014)
Studientyp: Randomisiert-kontrollierte Studie
Teilnehmer: 39 Alzheimer-Patienten, aufgeteilt auf 3 Behandlungsgruppen
Fragestellung: Profitieren Alzheimer-Patienten von einer Kombination aus Omega-3-Fettsäuren und Alpha-Liponsäure (im Vergleich zu Omega-3-Fettsäuren sowie Placebo)?

Shinto L, Quinn J, Montine T, Dodge HH, Woodward W, Baldauf-Wagner S, Waichunas D, Bumgarner L, Bourdette D, Silbert L, Kaye J. A randomized placebo-controlled pilot trial of omega-3 fatty acids and alpha lipoic acid in Alzheimer’s disease. J Alzheimers Dis. 2014;38(1):111-20. (Studie in voller Länge)

Weitere wissenschaftliche Quellen

[4] Clinical Trials
abgerufen am 25.2.2015 unter www.clinicaltrials.gov

[5] IQWIG (2013)
Alzheimer-Demenz. Abgerufen am 25.2.2015 unter www.gesundheitsinformation.de

[6] UpToDate (2014)
Prevention of dementia. abgerufen am 25.2.2015 unter www.uptodate.com/contents/prevention-of-dementia

Andere Quellen

[7] ARD Mediathek
‚Menschen hautnah – Leben, lieben, vergessen. Alzheimer mit 40’ [abgerufen am 25.2.2015

[8] Österreichische Alzheimer-Gesellschaft
abgerufen am 25.2.2015 unter www.alzheimer-gesellschaft.at

In über 500 Faktenchecks suchen